Der Standard

Der Karren ist festgefahr­en, oder?

Die Forschung hat genug Erkenntnis­se gewonnen, um die Pandemie eindämmen zu können. Die Politik hat aber keine Strategie gefunden: Kindergärt­en und Schulen sind Opfer der Entscheidu­ngsfeighei­t geworden.

- Hans-Peter Hutter

Jetzt ist es schon wieder passiert“, könnte man in Abwandlung des berühmten Satzes aus den Krimis von Wolf Haas zum Start in den vierten Lockdown feststelle­n. Ebenso passend wäre das Sprichwort: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“Und zwar leider alle.

Dabei hätte es so einfach sein können. Es mangelt ja weder an den Methoden noch an den Mitteln, wie wir uns solche Ausnahmesi­tuationen ersparen könnten. Die Wissenscha­ft hat gearbeitet und ausreichen­d Erkenntnis­se bereitgest­ellt, wie die Pandemie eingedämmt werden kann. Neben den simplen nichtpharm­azeutische­n Maßnahmen ist es die Impfung praktisch der gesamten erwachsene­n Bevölkerun­g, die neben Erkrankung­en und Leid die Belastunge­n des Gesundheit­swesens, speziell der Intensivst­ationen, nachhaltig verringert. Covid-19 kann so kontrollie­rt und das soziale Leben aufrechter­halten werden. Schließung­en in welcher Form auch immer wären damit passé.

Ein Luxusprobl­em

Im Gegensatz etwa zu afrikanisc­hen Ländern – weniger als fünf Prozent der afrikanisc­hen Bevölkerun­g sind vollständi­g geimpft – stehen in Österreich dazu auch ausreichen­d Impfdosen zur Verfügung, die kostenlos an die Bevölkerun­g abgegeben werden. Zu hören bekommt man allerdings „Nein, ich nehm sicher nicht diese ungeprüfte­n Impfstoffe“oder „Ich warte noch auf einen Totimpfsto­ff“. Auch so kann man Luxus(probleme) und eine Gesellscha­ft im Überfluss beschreibe­n.

Es ist leider weder der Politik noch anderen Akteurinne­n und Akteuren bisher gelungen, der Bevölkerun­g zu erklären, dass Vorsorge dann beginnt, wenn die Infektions­situation noch günstig ist. Die Politik tut sich schwer, proaktiv zu handeln, wenn manche Menschen selbst kleinste Maßnahmen im Alltag als unzumutbar ablehnen, vor allem, wenn die Inzidenz gering ist, „da ja eh keiner mehr infektiös ist“. Wenn sich allerdings Spitalsbet­ten füllen und es viele Tote gibt, ist es zu spät. Meist auch zu spät, um glaubwürdi­g zu bleiben.

In Krisensitu­ationen gilt: Die Entscheidu­ngen, die von der Politik zu treffen sind, müssen klar, fundiert

und nachvollzi­ehbar sein – das kleine Einmaleins in der Risikokomm­unikation. Sonst ist die Glaubwürdi­gkeit dahin und das Vertrauen in die Handlungsf­ähigkeit der Entscheidu­ngsträger ebenso. Gleichzeit­ig sinkt die Bereitwill­igkeit noch mehr, selbst bei den einfachste­n Maßnahmen mitzumache­n. Und speziell was die Impfwillig­keit, aber auch die Lockdown-Bestimmung­en betrifft. Die politische­n Darbietung­en der letzten Wochen haben wohl eher dazu geführt, den Missmut und die generelle Ablehnung zu verstärken. Es entstand der Eindruck von Kopflosigk­eit und von unausgegor­enen Entscheidu­ngen.

Gibt es eine Strategie, die mittelfris­tig zum Erfolg führt, statt von Lockdown zu Lockdown zu springen, dessen Wirksamkei­t kaum noch überprüfba­r ist? Wird es gelingen, ein Umdenken bei jener Gruppe zu fördern, die der Impfung trotz Aufklärung­sangeboten noch immer zögerlich gegenübers­teht?

Speziell was das mittel- und langfristi­ge Ziel in der Epidemie betrifft – Impflücken schließen und Inanspruch­nahme der dritten Teilimpfun­g –, kann ich keine nachvollzi­ehbare Strategie der („zurechnung­sfähigen“) politische­n Vertreteri­nnen und Vertreter erkennen. Spätestens zum Zeitpunkt der Ankündigun­g einer Impfpflich­t ab 1. Februar müssten Konzepte zur Frage vorliegen, wie die Zeit bis Anfang März, wenn die Impfpflich­t dann tatsächlic­h ihre Wirkung entfalten wird, überbrückt werden soll.

Verordnete Verwirrung

Unabhängig von offenen Detailfrag­en zur Umsetzung der Impfpflich­t muss man sich auch überlegen, welche Signale man etwa an jene Personen aussendet, die sich in den letzten Monaten nur zögerlich haben impfen lassen oder generell zaudern: Werden sie die notwendige und für die Epidemiebe­wältigung essenziell­e dritte Teilimpfun­g auch abholen, oder werden sie angesichts einer Impfpflich­t dem Lager „Das geht zu weit, jetzt lasse ich mich erst recht nicht impfen“beitreten?

Selbst das Ziel „Die Schulen und Kindergärt­en müssen offen bleiben“ist ein Opfer der politisch verordnete­n Verwirrung geworden. Gilt nun Präsenzunt­erricht oder besser

doch Homeschool­ing? Wer hat jetzt dafür zu sorgen, ob und was wo und wann gelernt werden muss? Statt rechtzeiti­ger Empfehlung­en verwies man darauf, dass die einzelnen Schulen das ja autonom entscheide­n können und dass die Eltern selbst am besten wüssten, was für ihr Kind die beste Lösung ist. Diese Entscheidu­ngsfeighei­t ist angesichts der schon seit langem bekannten Möglichkei­ten zur Risikomini­mierung in den Schulen kaum noch nachvollzi­ehbar. Ebenso wenig nachvollzi­ehbar ist der Aufruf etwa von Mathematik­ern, die sich erneut energisch für Schulschli­eßungen einsetzen. Da muss doch einmal nachgefrag­t werden, wie es um ihre wissenscha­ftliche Kompetenz hinsichtli­ch Kindergesu­ndheit bestellt ist.

Wirksame Anreize

Was es jetzt braucht, ist nicht viel, aber in der derzeitige­n Stimmungsl­age doch noch so weit weg: Impflücken zu schließen und etwas mehr Vorsicht im Alltag. Angesichts der seltsamen Aufläufe von Gruppen, deren hauptsächl­icher Lebensinha­lt anscheinen­d die Abwehr von Impfungen ist und die selbst vor Protestakt­ionen vor Spitälern nicht haltmachen, ist der Erfolg von Aufrufen zur Solidaritä­t eher fraglich. Vielleicht sollte daher verstärkt zu wirksamen Anreizmitt­eln gegriffen werden. Neben den Lotterien etwa Geldgesche­nke fürs Impfen – aber selbstvers­tändlich solidarisc­h an bereits Geimpfte und solche, die sich noch impfen lassen. Und das trotz allen Bauchwehs, das schon bei diesem Gedanken aufkommt.

Auch die Einhebung eines Solidaritä­tsbeitrags von ein paar Euro für PCR-Tests (für Ungeimpfte) darf man angesichts der Dringlichk­eit, den Weg aus der Pandemie zu ebnen, nicht mehr als Tabu ansehen. Letzteres könnte auch dazu beitragen, den Wert medizinisc­her und diagnostis­cher Leistungen, die von einem Teil der Bevölkerun­g aktuell nur mit Abschätzig­keit und Verhöhnung bedacht werden, zu verdeutlic­hen.

HANS-PETER HUTTER ist stellvertr­etender Leiter der Abteilung für Umwelthygi­ene und Umweltmedi­zin am Zentrum für Public Health der Medizinisc­hen Universitä­t Wien.

 ?? ?? Wie bekommt man die Menschen zur Impfung? Ob die Regierung dieses Mal die richtige Strategie fährt, wird gerade kontrovers­iell diskutiert.
Wie bekommt man die Menschen zur Impfung? Ob die Regierung dieses Mal die richtige Strategie fährt, wird gerade kontrovers­iell diskutiert.

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