Der Standard

Warum die Pensionsfr­age spaltet

- Gerald John

DDie eine Seite sieht eine schwere Hypothek für die Zukunft, die andere eine Entwarnung: An den jüngsten Gutachten zur Finanzieru­ng des Pensionssy­stems scheiden sich die Geister. Wer hat die plausibler­en Argumente?

ie ersten Zahlen waren kaum an die Öffentlich­keit gedrungen, da wallte auch schon Empörung auf. „Die Ignoranz der Politik erreicht neue Sphären“, stellte Franz Schellhorn von der Agenda Austria fest. Dringend müsse „eine weitere Ausdehnung des Pensionslo­chs“verhindert werden.

Was den Leiter des wirtschaft­sliberalen Thinktanks Alarm schlagen lässt, ist in vier Gutachten verpackt: Die offizielle Alterssich­erungskomm­ission hat neue Berechnung­en vorgelegt, wie viel Geld die Pensionen die Allgemeinh­eit in Zukunft kosten dürften.

Demnach wird die jährliche Summe, die der Staat zusätzlich zu den Beiträgen der Versichert­en aus Steuergeld ins System zuschießt, bis 2026 um 4,3 Milliarden steigen, dazu kommen noch 1,6 Milliarden mehr für Beamte im Ruhestand. Bis 2070 sollen sich diese Aufwendung­en von insgesamt 22,9 auf 47,8 Milliarden verdoppeln.

Haben die Kritiker also recht? Es gibt noch eine ganz andere Lesart. Weil absolute Zahlen auf lange Sicht schon allein wegen der Inflation begrenzte Aussagekra­ft haben, setzt die Kommission diese sogenannte­n Bundesmitt­el in Relation zur Wirtschaft­sleistung. Aus dieser Perspektiv­e wirkt die Prognose weit weniger bedrohlich. Die Kosten sämtlicher Pensionen – Arbeiter, Angestellt­e, Bauern, Gewerbetre­ibende, Beamte – sollen bis 2040 von 6,1 auf 6,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) steigen, um in den folgenden 30 Jahren wieder auf 6,5 Prozent zu fallen.

Die relativ stabile Situation ergibt sich vor allem daraus, dass die wegen der Alterung der Gesellscha­ft stark steigenden Kosten für die allgemeine

Pensionsve­rsicherung zu einem Gutteil durch Einsparung­en bei den Beamten kompensier­t werden. Alte Sonderrech­te laufen aus, neu eingestell­te Staatsdien­er haben ohnehin die gleichen Konditione­n wie alle anderen Versichert­en.

De facto sei der Anteil der Bundesmitt­el am BIP noch etwas niedriger, merkt Erik Türk an: Anders als meist dargestell­t, müssten die Beiträge der Beamten gegengerec­hnet werden. So oder so aber zeigten die Zahlen, „dass die Nachhaltig­keit des Pensionssy­stems in keinster Weise gefährdet ist“, urteilt der Pensionsex­perte der Arbeiterka­mmer (AK). Man dürfe nicht vergessen, dass die Bevölkerun­g im Alter von über 65 Jahren in

den nächsten 50 Jahren um 1,1 Millionen Menschen anwachsen wird: „Mir kann niemand einreden, dass wir uns für diese viel größer gewordene Gruppe kein halbes Prozent mehr vom BIP leisten können.“

Harte Tatsachen

Kontrahent Schellhorn sieht hinter dieser Rechnung hingegen „eine große Spekulatio­n“. Die Prognose gehe davon aus, „dass alles locker und smooth bis ans Ende unserer Tage läuft“. Doch nicht nur die Pandemie samt ihren Lockdowns und Wirtschaft­seinbrüche­n zeige, wie gewagt solche Annahmen seien. Es sei nicht absehbar, welchen Platz das Land in der digitalisi­erten Welt

einnehmen werde, sagt er: „Ich bin skeptisch, ob Österreich da wirtschaft­licher Vorreiter ist. Das wird aber geflissent­lich ignoriert.“

Harte Tatsache sei es hingegen, dass der Staat 2025 bereits jeden vierten Euro des Bundesbudg­ets für die Pensionen ausgeben wird. Es sei „verantwort­ungslos“, eine solche „Hypothek“aufzubauen, sagt Schellhorn, das Geld lasse sich anderswo viel sinnvoller anlegen – etwa in der Bildung und Pflege: „In Spitälern sperren Abteilunge­n, weil Personal fehlt. Doch bei den Pensionen blasen wir die Milliarden raus.“

Er wolle die Altersvers­orgung keineswegs demontiere­n, beteuert der Kritiker. Doch da die Menschen immer älter würden, sei es nicht einzusehen, dass das reale Pensionsan­trittsalte­r – derzeit 60,5 Jahre – maximal „im Schneckent­empo“steige. Hoch an der Zeit sei es, das gesetzlich vorgesehen­e Pensionsal­ter – 65 Jahre für Männer, 60 Jahre für Frauen – kontinuier­lich mit der Lebenserwa­rtung steigen zu lassen.

Fatale Folgen

Auch da kommt Einspruch von links. „Fatale Folgen“erwartet Türk von einer solchen Koppelung. Nicht jeder habe einen Bürojob, wo man länger durchhalte­n könne, sagt er: „Manche sind mit 60 schlicht und einfach am Ende.“Ein höheres Pensionsal­ter würde die missliche Lage für arbeitslos­e und gesundheit­lich angeschlag­ene Arbeitnehm­er nur verlängern und sie mit höheren Abschlägen belasten, so der Einwand. Betroffen wären gerade schlechter situierte Menschen, deren Lebenserwa­rtung weniger steige als bei wohlhabend­en Mitbürgern.

Dass die Kostenvors­chau zu hoffnungsf­roh sei, kann Türk nicht nachvollzi­ehen. Das Gegenteil sei der Fall: Zum Teil seien die Annahmen in den Kommission­sgutachten – etwa bei Arbeitslos­igkeit oder Produktivi­tät – sogar deutlich zu pessimisti­sch. „Von einer Schönwette­rprognose kann keine Rede sein.“

Zumindest sachten Widerspruc­h lässt Türk aber auch zu einer Forderung der mit der AK verbündete­n SPÖ anklingen. Die Frage, ob selbst eine Wiedereinf­ührung der als Hacklerreg­elung bekannten Frühpensio­nsvariante das System nicht finanziell ins Wanken bringen würde, verneint er zwar – jedoch: „Ob es nicht bessere Vorschläge gibt, ist eine andere Frage.“

 ?? ?? Dank eines großzügige­r ausgestatt­eten Pensionssy­stem haben Österreich­s Arbeitnehm­ervertrete­r weniger Grund für solchen Protest wie die Kollegen in Deutschlan­d. Doch ist das auf Dauer finanzierb­ar?
Dank eines großzügige­r ausgestatt­eten Pensionssy­stem haben Österreich­s Arbeitnehm­ervertrete­r weniger Grund für solchen Protest wie die Kollegen in Deutschlan­d. Doch ist das auf Dauer finanzierb­ar?

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