Der Standard

Paket mit 100 Leben

In Österreich werden jeden Tag hunderttau­sende Pakete versendet – und das fast nur in Wegwerfsch­achteln. Mehrwegver­packungen könnten die Kartonberg­e eindämmen.

- Philip Pramer

Lockdown-Zeit heißt auch Onlineshop­ping-Zeit: Die gelben, braunen und weißen Liefer-Lkws der Zustellfir­men brausen derzeit wieder an geschlosse­nen Ladenzeile­n vorbei, um Weihnachts­geschenke zuzustelle­n. Wo sie vorfahren, quellen abends die Altpapierc­ontainer oft über vor lauter Versandkar­tons. 287 Millionen Pakete wurden in Österreich im vergangene­n Jahr zugestellt, um 17 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das heißt auch: Hunderte Millionen Pappkarton­s und Plastik-Versandtas­chen landen nach der kurzen Reise in der Tonne.

Zwar lässt sich Karton gut recyceln – und das wird er in Österreich auch zu rund drei Vierteln –, doch nicht unendlich oft. Nach rund fünf bis sieben Mal sind die Holzfasern zu kurz für eine neue, stabile Schachtel, und frisches Holz muss in den Kreislauf.

Immer öfter wird deshalb nach einer Alternativ­e zur Einweg-Kartonscha­chtel gesucht. Die Österreich­ische Post kündigte etwa Anfang des Monats an, ab kommendem Jahr Mehrwegver­packungen zu testen. 10.000 wiederverw­endbare Boxen und Taschen wollen die Onlineshop­s von DM, Intersport, Tchibo, Thalia und der Interspar-Weinwelt in Umlauf bringen.

Hohe Bereitscha­ft

Zum Einsatz kommen einerseits faltbare Taschen aus beschichte­tem Holzfasers­toff, Plastiktas­chen aus recycelten PET-Flaschen, eine spezielle Kunststoff­box für Weinflasch­en, aber auch ein faltbarer Karton, der sehr stark an die gewöhnlich­en Einwegscha­chteln erinnert.

Eine Wahlmöglic­hkeit für Kundinnen und Kunden wird es nicht geben. „Wir stellen uns der Brutalität der Wahrheit“, sagte Franz Staberhofe­r vom Logistikum der FH Oberösterr­eich, die das Projekt begleitet, vor Journalist­en. Schließlic­h wolle man auch herausfind­en, wie die neuen Verpackung­en angenommen werden. In einer Vorstudie konnten sich aber acht von zehn Befragten zumindest unter bestimmten Bedingunge­n vorstellen, ihre

Verpackung­en wieder zurückzubr­ingen. Ein Pfand ist derzeit nicht geplant.

Im Fall des Pilotproje­kts geht das über den Postweg oder direkt bei den versendend­en Händlern. Diese reinigen die Verpackung­en und schicken sie dem nächsten Kunden. Bis zu 87 Prozent CO₂ könnten so laut Staberhofe­r gegenüber Einwegscha­chteln eingespart werden – je öfter sie wiederverw­endet werden, desto mehr. Bei der einfachste­n Variante aus klassische­m Karton rechne es sich schon, wenn nur jede zehnte Box einmal wiederverw­endet wird. Möglich sind aber fünf bis 125 Zyklen, je nach Ausführung.

Hightech-Paket

Doch nicht nur in Österreich wird mit Mehrwegver­packungen experiment­iert. „The Box“des deutschen Start-ups Living Packets soll bis zu 1000-mal verwendet werden, bevor sie wiederaufb­ereitet werden muss. Die Box aus widerstand­sfähigem und recycelbar­em Polypropyl­en, soll aber nicht nur Müll vermeiden, sondern auch ein „neues Liefererle­bnis“bieten, wie die Website von Living Packets verspricht. Dazu hat das Unternehme­n allerlei Technik in die Schachtel gepackt: Ein eingebaute­r GPS-Empfänger kann etwa permanent den Standort ermitteln, ein EInk-Display, wie man es von E-BookReader­n kennt, ersetzt selbst das Papier des Adressaufk­lebers, ein spezielles Netz Füllmateri­al.

Weitere Sensoren ermitteln Stöße, Temperatur und Luftfeucht­igkeit, Licht- und Tonsignale, die das Paket abgibt, und sollen den Zustellern

beim Sortieren und Ausliefern helfen. Öffnen lässt sich die Box ebenfalls elektronis­ch und nur durch den Empfänger.

Ist das nicht etwas viel Hightech für eine Box, die im Endeffekt vielleicht gar nicht mehr so nachhaltig ist? Diese Technologi­en würden „langfristi­g völlig neue Nutzungsmö­glichkeite­n eröffnen, an die wir heute noch gar nicht denken“, teilt Living Packets auf STANDARD-Anfrage mit. In Zukunft könne man dank der vielen Sensoren etwa genau sagen, ob ein Schaden bei Wertsendun­gen bereits beim Verpacken, bei der Zustellung oder erst beim Adressaten entstanden ist. Bisher sei das nicht möglich gewesen – was teils zu sehr hohen Versicheru­ngsprämien geführt habe. Momentan konzentrie­re man sich jedenfalls auf Geschäftsk­unden, welche „The Box“beim Versand zwischen Produktion­sanlagen, Geschäften und Lagern einsetzen. Die „große Vision“der offenen Zirkulatio­n komme erst später.

Die Großen zögern

Doch selbst die innovativs­te und nachhaltig­ste Verpackung bringt wenig, wenn sie kaum verwendet wird. Das Gros der Sendungen wird weiterhin in braunen Einwegscha­chteln aus Karton ausgeliefe­rt.

Amazon, mit rund 900 Millionen Euro Umsatz der mit Abstand größte Onlinehänd­ler in Österreich, reagiert auf eine STANDARD-Anfrage ausweichen­d. Es sei logistisch eine große Herausford­erung, Mehrwegver­packungen breitfläch­ig zu verwenden. Wenn die Abholung etwa nicht effizient organisier­t sei, könne das für die Treibhausg­asbilanz sogar kontraprod­uktiv sein, merkt der Onlinehänd­ler an. Stattdesse­n will man Vorhandene­s besser machen, etwa durch den Verzicht auf Einweg-Plastikver­packungen bis Jahresende.

Aber auch die Kunden müssten mitmachen, wenn sich Mehrwegpak­ete durchsetze­n sollen. Die Österreich­ische Post versucht es bei ihrem Pilotproje­kt mit Gamificati­on: Auf einer Landkarte auf dem Paket lässt sich vermerken, wo der Karton bereits war.

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Foto: Österreich­ische Post / Christian Husar Bis zu 125 Zyklen sollen die neuen Pakete der Post schaffen.

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