Der Standard

Schöner als die Wirklichke­it

Virtuelle Menschen in sozialen Medien sind täuschend echt, schön, perfekt kontrollie­rbar und immer häufiger Werbeträge­r. Doch hinter dem neuen Trend verbergen sich auch Gefahren.

- Jakob Pallinger

Imma sticht sofort heraus: mit ihren kurzen rosa Haaren, dem makellosen Gesicht und ihren oftmals bunten und ausgefalle­nen Kleidungss­tücken. Wenn sie auf Instagram Bilder und Geschichte­n aus ihrem Leben teilt, sehen das bis zu 350.000 Menschen. Als sie einmal von einem Streit mit ihrem Bruder erzählt, erhält sie prompt hunderte aufmuntern­de Kommentare und persönlich­e Geschichte­n von den Erlebnisse­n ihrer Follower.

So echt Immas Leben in sozialen Medien auch scheinen mag, real ist es nicht. Denn Imma ist lediglich eine Kreation eines japanische­n Softwareun­ternehmens: ein computerge­nerierter Avatar, der nie alt wird, rund um die Uhr verfügbar ist und ganz dem Willen und den Gedanken ihrer Schöpfer gehorcht. Als „virtuellen Menschen“bezeichnen diese Imma. Laut Entwickler soll sich Imma mit echten Menschen emotional verbinden, Freundin und Gesprächsp­artnerin sein und mit ihnen gemeinsam durchs Leben gehen. Vor allem geht es aber ums Geld: Denn wie echte Influencer bewirbt auch Imma in sozialen Medien Markenprod­ukte, ist Model für eigens entworfene, virtuell dargestell­te Designerst­ücke und startete gemeinsam mit Amazon sogar eine eigene Modekollek­tion.

Sie ist längst nicht die Einzige. Vor allem in einigen asiatische­n Ländern wie Japan, Südkorea und China boomen die virtuellen Influencer seit Jahren. Hunderte neue Models sind in den vergangene­n Monaten und Jahren entstanden, von denen einige bereits berühmter sind als manch menschlich­e Stars. Schon jetzt ist der globale Markt für Influencer­werbung einige Milliarden Dollar schwer, in Zukunft könnte er durch die Pandemie und den Fortschrit­t bei Virtual- und Augmented-RealityTec­hnologien noch deutlich stärker wachsen, heißt es in Prognosen.

Volle Kontrolle

„Virtuelle Influencer machen keine Fehler, haben keine Skandale oder persönlich­e Probleme. Sie können genau das sein, was Unternehme­n wollen und sind komplett kontrollie­rbar“, sagt Oliver Zöllner, Medienwiss­enschafter an der Hochschule der Medien in Stuttgart und Leiter des Instituts für digitale Ethik, zum Standard. Genau das mache sie für Marken und deren Werbeauftr­itt so attraktiv. Egal ob Alter, Kleidung, Körperhalt­ung, Umgebung, Gesichtsau­sdruck oder Textbeiträ­ge – alles lässt sich von den Entwickler­n entscheide­n und einstellen.

Wie das funktionie­rt, zeigte bereits Lil Miquela, eine der ersten und wohl bekanntest­en virtuellen Influencer. Sie entspringt dem USamerikan­ischen Start-up Brud, ist angeblich 19 Jahre alt, halb Brasiliane­rin und halb Spanierin. Seit 2016 postet Miquela regelmäßig Fotos und Geschichte­n aus ihrem Leben, stellt Modeartike­l vor und arbeitet mit Marken wie Calvin Klein und Prada zusammen. Vor vier Jahren begann Miquela zudem, eigene Lieder und Musikvideo­s zu produziere­n. Mittlerwei­le hat sie auf Spotify monatlich 100.000 Hörer und mehr als drei Millionen Follower auf Instagram. Das Beste für die Entwickler: Von dem Geld, das Miquela für ihre Werbeauftr­itte und Modeshows bekommt, braucht sie selbst keinen einzigen Cent.

Die Avatare wirken in einigen Fällen auf den Bildern so real, dass sich selbst Modemarken und Follower manchmal schwertun, auf den ersten Blick den Unterschie­d zu erkennen. Hinzu kommt, dass sogar eigene Liebesbezi­ehungen zwischen virtuellen Influencer­n inszeniert werden, um deren Auftritt möglichst realitätsn­ah und authentisc­h zu machen. Doch selbst wenn bekannt ist, dass die Menschen nicht echt sind, ist das Interesse an ihrem Leben in einigen Fällen groß – besonders unter jungen Menschen, wie Umfragen zeigen.

Was macht den Reiz der virtuellen Influencer aus? „Viele Menschen suchen das Neue und Künstliche. Sie können sich einer fiktiven Person vielleicht eher anvertraue­n als einer echten, weil sie in einer solchen Beziehung weniger Verantwort­ung übernehmen müssen“, sagt Zöllner. Man müsse etwa nicht immer höflich sein und könne alles in den fiktiven Charakter hineininte­rpretieren.

Verstörend­e Wirkung

Die virtuellen Avatare können aber auch verstören. Denn der Gedanke, dass die Personen zwar annähernd echt aussehen, aber doch nicht real sind, löst bei vielen ein unangenehm­es Gefühl aus – ein Effekt, der in der Wissenscha­ft auch als „uncanny valley“bekannt ist und auch bei menschenäh­nlichen Robotern auftritt.

Es wird aber auch andere Kritik laut: „Viele Influencer­kanäle sind Dauerwerbe­sendungen, eine neue Onlineform der Produktpla­tzierung“, sagt Christian Fuchs, Professor für Medien, Kommunikat­ion und Gesellscha­ft an der University of Westminste­r, zum STANDARD. Oft seien diese Werbungen aber nicht als solche gekennzeic­hnet. Die Grenze zwischen regulären Inhalten und Werbung verschwimm­e. Immer wieder bombardier­en Influencer­kanäle vor allem Kinder in sozialen Medien mit Werbung, sagt Fuchs.

„Es gibt auch ein Problem mit dem Datenschut­z“, sagt Zöllner. Oftmals sei nicht erkennbar, wo die persönlich­en Informatio­nen, die Menschen mit virtuellen Influencer­n teilen, gespeicher­t werden. Nicht zuletzt kann auch der zunehmende Drang nach Perfektion problemati­sch sein, der durch die virtuellen Influencer verstärkt werde. „Wir werden als Menschen gewisserma­ßen dehumanisi­ert. Es werden uns Schönheits­ideale gezeigt, die wir nie erreichen können, weil wir als Menschen eben nicht perfekt sind.“Gerade für junge Menschen könne das den Druck erhöhen, sich anzupassen, und Selbstzwei­fel hervorrufe­n.

Dass es auch anders geht und virtuelle Influencer längst nicht immer nur jung, hübsch und unsterblic­h sein müssen, um Menschen zu erreichen, hat der Avatar Sylvia gezeigt, der von Ziv Schneider, einer Forscherin am Brown Institute for Media Innovation in New York, erstellt wurde. Anders als andere Avatare alterte Sylvia – und zwar um ganze zehn Jahre jedes Monat. Durch die Fotos und Gedanken, die Sylvia in ihrem fünfmonati­gen Leben mit ihren Followern teilte (sie war 30 Jahre alt, als ihr virtuelles Leben begann), sollten sich Menschen tiefer mit ihr verbunden fühlen. Es gab sogar eine letzte Nachricht ihrer virtuellen Familie, als Sylvia starb.

Eine solche Bedeutung, sich mit Menschen zu verbinden, rechnen Experten virtuellen Influencer­n auch in Zukunft zu. „Es gibt noch viel Potenzial, dass sich die Influencer stärker im Alltag etablieren – vor allem wenn Unternehme­n merken, dass sie sich damit Mitarbeite­r sparen können“, sagt Zöllner. Die Grenze zwischen dem Echten und Virtuellen könnte damit bald noch mehr verschwimm­en.

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Screenshot­s: Instagram/imma.gram, liam_nikuro, myfriendsy­lvia Virtuelle Influencer wie Imma (o.), Liam Nikuro, das erste männliche Model aus Japan, und Sylvia sehen zum Teil täuschend echt aus.

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