Der Standard

Dollfuß und der designiert­e Minister

Gerhard Karner, der baldige Innenminis­ter, betreibt als ÖVP-Bürgermeis­ter von Texingtal das Dollfuß-Museum – laut einer Forscherin ist dieses allerdings eher eine Gedenkstät­te. Die Grünen fordern eine Klarstellu­ng von Karner.

- Lara Hagen

Auf der Website der Gemeinde Texingtal finden sich unter dem Punkt „Sehenswert­es“zwei Dinge: die Burg Plankenste­in und das Dr.-Engelbert-Dollfuß-Museum. Betreiber des Museums, das sich im Geburtshau­s von Dollfuß befindet, ist die Gemeinde. Deren Chef: der designiert­e Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP). Weil das Museum für die fehlende kritische Auseinande­rsetzung mit Dollfuß kritisiert wurde, steht nun auch Karner in der Kritik. Die grüne Menschenre­chtssprech­erin Ewa Ernst-Dziedzic fordert deswegen eine Klarstellu­ng: „Das Verhältnis zum Austrofasc­hismus muss immer klar sein, gerade beim Innenminis­ter.“

Die Regierung des christlich-sozialen Bundeskanz­lers Dollfuß hatte 1933 das Parlament ausgeschal­tet, Dollfuß schuf mit der Maiverfass­ung 1934 einen autoritäre­n Ständestaa­t und stützte sich vor allem auf die katholisch­e Kirche, die Bauern und die Heimwehr. Am 25. Juli 1934 wurde Dollfuß im Verlauf des Juliputsch­es von den Nazis ermordet.

Die ÖVP ehrte Dollfuß noch bis in die 2000er-Jahre hinein: Dass in den Räumen des Parlaments­klubs

ein Porträt von ihm hing, sorgte regelmäßig für Kritik. 2014 erhielt das Bild eine Zusatztafe­l, auf der unter anderem auf den autoritäre­n „Ständestaa­t“Bezug genommen wurde. 2017 wurde das Porträt als Leihgabe an das Niederöste­rreichisch­e Landesmuse­um gegeben – Grund dafür waren Umbauarbei­ten im Parlament, in den neuen Räumen sei kein Platz mehr, hieß es von der ÖVP.

Im Juni 1998 eröffnete die Gemeinde für den 1892 in Texing geborenen Dollfuß das Museum. Zum 20. Jubiläum wollte sich Karner 2018 „mit der umstritten­en Person Dollfuß“auseinande­rsetzen „und sein Wirken abermals beleuchten“.

Für die Historiker­in Lucile Dreidemy keine eindeutige Aussage: „Wenn ,umstritten‘ heißt, dass beide Sichtweise­n über Dollfuß gerechtfer­tigt sind – also dass er Gutes wie Schlechtes getan hat –, dann habe ich ein Problem damit.“Denn darum gehe es nicht. „Die Betonung, dass man Sachen so oder so sehen kann, stärkt den Hang zum Relativism­us.“

Dreidemy beschäftig­t sich seit Jahren mit Dollfuß. Für ihre Forschung war sie auch zweimal im niederöste­rreichisch­en Museum, das letzte Mal vor ungefähr zehn Jahren. Ihr Urteil fiel damals verheerend aus: Es werde dort das Narrativ des „mutigen Patrioten“bedient, der sich mit Leib und Seele für „sein Österreich“eingesetzt habe. Das zweite Narrativ sei, dass Dollfuß tat, was er – wegen Alternativ­losigkeit – tun musste. „Manches hatte den Anschein, als könnte es direkt aus den 30ern stammen“, sagt Dreidemy.

Zwar liege ihr Besuch schon Jahre zurück, Dreidemy glaubt aber, dass sich nicht viel geändert habe. Obwohl es angeregt wurde, habe nie jemand mit dem Institut für Zeitgeschi­chte der Universitä­t Wien Kontakt aufgenomme­n. „Ich möchte hoffen, dass sich etwas geändert hat. Wenn ich daran denke, dass Schulklass­en dieses Museum besuchen, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.“

Karner sah noch 2018 keinen Anlass für eine Kritik, im Gegenteil: Das hohe Standing des Museums zeige sich daran, dass es drei Leihgaben für das Haus der Geschichte in St. Pölten gebe. Im Museum werde das Historisch­e gut erarbeitet und kritisch behandelt.

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Foto: Christian Müller / picturedes­k.com Das Porträt von Engelbert Dollfuß hing bis 2017 im ÖVP-Klub im Parlament.

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