Die „Evidenzen“der 199 impfskeptischen Ärzte
In einem offenen Brief taten Mediziner Gründe dafür kund, warum sie in den meisten Fällen von Impfungen gegen Covid-19 abraten
Vor zwei Wochen verschickte Thomas Szekeres, der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), ein kurzes Rundschreiben an die Kollegenschaft. Darin hieß es, „dass es aufgrund der vorliegenden Datenlage aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich keinen Grund gibt, Patientinnen/Patienten von einer Impfung gegen Covid-19 abzuraten“. Einzig medizinisch und wissenschaftlich belegte Gründe (wie etwa eine Allergie) könnten dagegensprechen. Eine allfällige Verletzung einer Berufspflicht werde durch die Disziplinarkammer der ÖÄK geprüft.
Impfskeptische Ärzte, angeführt von Andreas Sönnichsen (der als Facharzt für interne Medizin firmiert), reagierten auf das Schreiben allergisch und erwiderten es am Dienstag mit einem offenen Brief. Der scharf formulierte Text, der in einer Rücktrittsaufforderung an
Szekeres gipfelt, argumentiert mit dem Verweis auf „evidenzbasierte Medizin“und auf verschiedene Studien einmal mehr gegen den Nutzen der Impfungen.
Deren Schutzwirkung sei, „wenn überhaupt, lediglich für Personen mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf relevant“. Bei gesunden Menschen unter 65 Jahren würden „mit hoher Wahrscheinlichkeit die Risiken durch die Impfung den potenziellen Nutzen“überwiegen. Die Liste der unterzeichnenden Ärzte ist auf den ersten Blick beeindruckend lang und nimmt mehr als die Hälfte der sieben Seiten ein.
Wie ist der Brief zu bewerten, den die Ärztekammer gerade selbst noch prüft? Beginnen wir bei den Unterzeichnenden, die zum Teil aus einschlägigen Foren bekannt sind: 199 sieht nach viel aus. Im Verhältnis zu den gut 47.000 Ärztinnen und Ärzten in Österreich sind das gut 0,4 Prozent – nur um die Relationen zu wahren.
Das heißt selbstverständlich nicht, dass nicht auch eine sehr kleine, aber lautstarke Minderheit recht haben kann. Deshalb ist ein Blick auf die Hauptargumente und die verlinkten Studien nötig, auch wenn der Platz hier knapp ist.
Der offene Brief enthält einige richtige Argumente zum Nachlassen der Impfwirkung. Die angeführte Studie dazu, dass es keinen Zusammenhang zwischen Impfquote und Fallzahlen gebe, steht zum einen im Widerspruch zu zahlreichen anderen Untersuchungen. Zum anderen kommt es weniger auf die Fallzahlen als auf die Hospitalisierungen und Sterbefälle an, deren Häufigkeiten durch die Impfungen signifikant gesenkt werden.
Mit Verweis auf eine Studie über den Impfstoff von Biontech/Pfizer wird argumentiert, dass die Effekte der Booster-Impfungen „allenfalls marginal“seien „und sicher am Verlauf der Pandemie insgesamt nichts ändern werden“. Die Hauptaussage dieser Studie ist freilich wörtlich: „Wir fanden heraus, dass bei jenen, die einen Booster mit BNT162b2 erhielten, die Raten der bestätigten Covid-19-Fälle und der schweren Erkrankungen substanziell niedriger waren.“
Nicht fehlen dürfen die 600.000 Nebenwirkungsmeldungen zu Comirnaty, „wenn auch die Kausalität für den individuellen Fall nicht nachweisbar bleibt“, so Sönnichsen und Kollegen. Die pauschale Deklarierung der Impfstoffe als „sicher“durch Ärztekammer, Politik und Medien offenbare sich als „unwissenschaftliche Propaganda“.
Dazu ist erstens zu sagen, dass niemand je behauptet hat, dass es keine Nebenwirkungen gibt. Und zweitens geht es immer um die Nutzen-Risiko-Relation. Die häufigste schwere Nebenwirkung bei Comirnaty ist eine Herzmuskelentzündung.
Die bisher umfassendste Studie dazu wurde an jenem Tag in Nature Medicine publiziert, an dem der Brief der impfskeptischen Ärzte abgeschickt wurde. Ergebnis: Das Risiko für Erwachsene, nach einer Impfung an Myokarditis zu erkranken, ist deutlich niedriger als nach einer CoV-Infektion, die bekanntlich zu sehr viel mehr schweren Lungen- als Herzerkrankungen führt. (tasch)