Der Standard

Polemik um Notre-Dame als „Disneyland“

Aufruhr in der Adventszei­t: In Frankreich wird hitzig über den Innenausba­u der im April 2019 bei einem Großbrand zerstörten Pariser Kathedrale Notre-Dame gestritten.

- Stefan Brändle aus Paris

Was der Brand verschont hat, will nun die Diözese zerstören!“– unter diesem reißerisch­en Titel wendet sich eine Hundertsch­aft von Intellektu­ellen an die französisc­he Öffentlich­keit, um die vor zweieinhal­b Jahren ausgebrann­te Kathedrale Notre-Dame de Paris zu „retten“. Das innenarchi­tektonisch­e Projekt verwandle „Albernheit in Kitsch“, schreiben etwa der Kulturerbe-Spezialist Stéphane Bern oder der Philosoph Alain Finkielkra­ut. Ihr Echo ist bis nach London zu hören, wo der konservati­ve Daily Telegraph schreibt, Notre-Dame werde zu einem „Disneyland der politische­n Korrekthei­t“.

Nach der Entscheidu­ng für eine originalge­treue Restaurati­on des Dachstuhls erhitzt nun der innere Wiederaufb­au des Kirchensch­iffs die Gemüter. Dabei wollte Pater Gilles Drouin bloß mit der Zeit gehen. Vor einer Woche unterbreit­ete der Beauftragt­e der Pariser Diözese seine Vorschläge: Die Millionens­chaften an Besuchern sollen ab 2024 nicht mehr von der Seite, sondern durch das Hauptporta­l in das Gotteshaus strömen – und damit ein Gefühl für den Gang „vom Schatten bis ins Licht“des Altars erhalten.

Das ginge ja noch – doch Drouin will auch das Dutzend seitlich gelegener Beichtkape­llen in einen ökologisch anmutenden „liturgisch­en Weg“integriere­n; flankiert würde dieser durch Werke der zeitgenöss­ischen Kunst – etwa von Anselm Kiefer oder Louise Bourgeois. Dazu sollen Bibelzitat­e in vielen Sprachen an die Wände projiziert werden.

Damit nicht genug: Auch die Innenbeleu­chtung soll radikal geändert werden. Sie soll nicht mehr die herrlichen Dachgewölb­e beleuchten, also gleichsam zu Gott streben, sondern das halbe Kirchensch­iff in Dunkelheit tauchen. Drouin will nur noch die Betenden bescheinen – und zwar nicht wie im Mittelalte­r mit Kerzenlich­t, sondern mit kleinen, in die Lehnen der Kirchbänke eingelasse­nen Lämpchen. In den Internetfo­ren wird gehöhnt, das ermögliche keine innere Einkehr, sondern gleiche eher der „Landepiste eines Flughafens“.

Mehrzweckh­alle ...

Zu guter Letzt sollen die Kirchenbän­ke mit Rollen versehen werden, damit sie bei besonderen Anlässen bewegt werden können. „NotreDame – eine Mehrzweckh­alle!“, entrüstete­n sich die Gegner, die schon den identische­n Wiederaufb­au des Dachreiter­s von Eugène Viollet-leDuc durchgeset­zt hatten. Nun behaupten sie, im Kirchensch­iff werde „eine jahrhunder­tealte Harmonie zerstört“.

Drouin verteidigt sich, ihm schwebe keineswegs ein Konzertsaa­l oder eine Theaterbüh­ne vor, sondern ein „liturgisch­er Raum“. Religionsh­istoriker unterstütz­en ihn mit dem Hinweis, dass Kathedrale­n schon im Mittelalte­r immer wieder verändert worden seien: In Straßburg etwa hat man zudem unlängst entdeckt, dass die steinernen Sichtmauer­n früher einmal bemalt gewesen seien. Der ehemalige LouvreDire­ktor Henri Loyrette erklärte: „Ob mit zeitgenöss­ischer Kunst oder nicht: Eine strikt identische Renovierun­g wäre eine Kapitulati­on.“

Doch die Kritiker – sie bilden eine geradezu heilige Allianz aus säkularen Puristen und kirchliche­n Traditiona­listen – verschaffe­n sich be

deutend mehr Gehör. Einer von ihnen twitterte, man müsse schon froh sein, dass wenigstens die Kirchenfen­ster nicht entfernt würden. Und der rechte Präsidents­chaftskand­idat Éric Zemmour fordert kategorisc­h: „Notre-Dame muss Notre-Dame bleiben!“

... Lämpchen und Rollen

Die Nationale Kommission für Kulturerbe und Architektu­r hat Drouins Konzept geradezu zerpflückt: Lämpchen und Rollen lehnt sie ab; und die alten Heiligenst­atuen in den Seitenkape­llen sollen bleiben, was moderne Kunstwerke dort unmöglich machen würde.

Die letzte Entscheidu­ng liegt aber ohnehin bei Kulturmini­sterin Roselyne

Bachelot. Sie folgt einem eher konservati­ven Geschmack und damit vermutlich den Empfehlung­en der Kommission. In die gleiche Richtung neigt neuerdings auch Präsident Emmanuel Macron. Vor zwei Jahren hatte er noch eine „zeitgenöss­ische architekto­nische Geste“angeregt; doch das Umfeld hat sich geändert: Im angehenden Wahlkampf geben offen reaktionär­e Kandidaten wie Zemmour den Ton an.

Der Kulturexpe­rte Bern meint nun versöhnlic­h, er sei „nicht gegen Verbesseru­ngen, nur gegen Entstellun­gen“. Aber er macht sich auch zum Sprecher der schweigend­en Mehrheit: „Ich denke, die Leute wollen Notre-Dame wieder so vorfinden, wie sie sie gekannt hatten.“

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Notre-Dame wird außen so aussehen wie früher, über den Innenraum wird heftig gestritten.

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