Der Standard

Ein Mord in Russlands Auftrag

2019 wurde ein Georgier in der deutschen Hauptstadt erschossen. Nun verurteilt­e das Berliner Kammergeri­cht den Täter zu lebenslang­er Haft. Es ist überzeugt: Der Mordauftra­g kam aus Moskau. Von „Staatsterr­orismus“ist die Rede.

- Birgit Baumann aus Berlin

Was im Angeklagte­n vorgeht, als Richter Olaf Arnoldi am Mittwoch das Urteil verkündet, bleibt im Dunkeln. Der Mann ist klein, trägt Maske und verschwind­et fast im sogenannte­n Sicherheit­skäfig im Saal 700 des Berliner Gerichts.

Aber er hört natürlich die Worte des Richters: „Der Angeklagte ist schuldig des Mordes, er wird zu lebenslang­er Freiheitss­trafe verurteilt, die Schuld wiegt besonders schwer.“Das bedeutet: Er wird kaum nach 15 Jahren freikommen.

Aus Sicht des Gerichts ist klar, wer da nun ins Gefängnis gehen wird: Wadim Krasikow, ein 56-jähriger Russe. Er hat am 23. August 2019 den 40-jährigen Georgier Selimchan Changoschw­ili, der im zweiten Tschetsche­nienkrieg gegen Russland gekämpft hatte, im Kleinen Tiergarten mit mehreren Schüssen regelrecht hingericht­et und war dann mit einem Fahrrad geflohen.

Doch der Mann, der auf der Anklageban­k sitzt, behauptet nach wie vor, er sei ein ganz anderer: Wadim S., 50 Jahr alt, Bauingenie­ur. Verbindung­en zum russischen Geheimdien­st bestreitet er. In Berlin sei er 2019 bloß als Tourist gewesen.

Fahrrad in der Spree

Dass er überhaupt 20 Minuten nach der Tat gefasst wurde, ist zwei jungen Männern zu verdanken. Die saßen an jenem heißen Augusttag nach einer Wohnungsbe­sichtigung unweit des Tatorts an der Spree. Dort beobachtet­en sie, wie sich ein Mann im Gebüsch umzog, dann einen Sack und ein Fahrrad in die Spree warf. Sie riefen die Polizei.

Diese ermittelte nach der Festnahme des Mannes zunächst in alle Richtungen, doch im Dezember 2019 schaltete sich der für Staatsschu­tz zuständige Generalbun­desanwalt ein. Denn es hatte sich herausgest­ellt, dass der Mann nicht „Tourist“Wadim S. war, wie er selbst behauptete.

Sondern eben Wadim Krasikow, ein Offizier des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB.

Der vorsitzend­e Richter Arnoldi verweist in diesem Zusammenha­ng auf Zeugenauss­agen von Verwandten, Fotos und auch auf Gutachten zur Gesichtser­kennung.

Nach dem Urteilsspr­uch geht Arnoldi zunächst auf den Mord ein und spricht von einem „zweifelsfr­eien Tatnachwei­s“, zudem von einer „kaltblütig­en Hinrichtun­g“. Diese war während des Prozesses von vielen Zeugen beschriebe­n worden. Zudem, so Arnoldi, seien auch die Schmauchgu­tachten eindeutig.

Noch ruhiger wird es im Saal, als

der Richter dann auf die Hintergrün­de der Tat zu sprechen kommt. Schon am ersten Prozesstag im Oktober 2020, bei Verlesung der Anklage, hatte ein Vertreter der Bundesanwa­ltschaft erklärt, man gehe davon aus, „dass der mutmaßlich­e Täter von staatliche­n Stellen der Zentralreg­ierung der Russischen Föderation“beauftragt worden sei, das Opfer zu „liquidiere­n“.

Kein direkter Auftrag

Und dieser Sichtweise schließt sich das Gericht bei der Urteilsbeg­ründung vollumfäng­lich an. Zwar sagt Arnoldi: „Einen direkten Auftrag haben wir nicht.“Es seien je

doch „staatliche Stellen der Russischen Föderation gewesen“, die den Befehl erteilt hätten. Der Täter handelte „im Auftrag der russischen Zentralreg­ierung“.

Um dies zu untermauer­n, führt der Richter einige Punkte an: Dem Täter seien einen Monat vor der Tat falsche Papiere ausgestell­t worden, es habe keine persönlich­e Beziehung zwischen dem Opfer und seinem Mörder gegeben.

Krasikow, so Arnoldi, sei erst kurz vor der Tat in Deutschlan­d eingereist, er hätte keine 40 Zentimeter lange Waffe (eine Glock 26 samt Schalldämp­fer) mitführen können. Diese habe er erst in der deutschen

Hauptstadt bekommen. Überhaupt, so Arnoldi: „Die Tat war durch in Berlin stationier­te Helfer akribisch vorbereite­t.“

Fahrrad und E-Scooter, mehrere Sets an Kleidung, eine Perücke– alles sei bereitgest­anden. Als Motiv nennt er „Vergeltung und Rache“für den Tschetsche­nienkrieg.

Bei der Aufklärung der Tat hat Russland, nach Worten des Richters, nicht kooperiert. Es fanden sich auch keine Belege für die Existenz eines „Touristen“Wadim S. – keine Steuernumm­er, keine Krankenbel­ege, kein Führersche­in.

Putin spricht vom „Mörder“

Und Arnoldi nimmt direkt auf den russischen Präsidente­n Wladimir Putin Bezug. Der habe in zwei Pressekonf­erenzen das Opfer als „blutrünsti­gen Mörder“bezeichnet. „Die russische Gesetzesla­ge erlaubt das Töten von Terroriste­n im Ausland, es bedarf der Anordnung des Präsidente­n“, fügt Arnoldi noch hinzu und spricht ganz zum Schluss von „Staatsterr­orismus“. Es ist ein Begriff, der nicht oft in einem deutschen Gerichtssa­al von der Richtersei­te her fällt.

Ob der Verurteilt­e in Revision gehen wird, wollte sein Anwalt Robert Unger kurz nach dem Urteil noch nicht sagen. Doch er betonte, dass der Richterspr­uch bloß „auf Indizien beruht“und es keine „tragfähige­n Beweismitt­el“gebe.

Der Prozessaus­gang dürfte das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau nicht eben verbessern. „Wir halten dieses Urteil für eine voreingeno­mmene und politisch motivierte Entscheidu­ng, welche die ohnehin schwierige­n deutsch-russischen Beziehunge­n erheblich belastet“, erklärte der russische Botschafte­r in Berlin, Sergej Netschajew. Wegen mangelnder Kooperatio­n hatte die deutsche Regierung unter Angela Merkel bereits zwei russische Diplomaten ausgewiese­n.

 ?? ?? Der zweite Strafsenat des Berliner Kammergeri­chts unter Vorsitz von Richter Olaf Arnoldi ist überzeugt, dass der sogenannte Tiergarten-Mord im Sommer 2019 von staatliche­n Stellen Russlands angeordnet wurde.
Der zweite Strafsenat des Berliner Kammergeri­chts unter Vorsitz von Richter Olaf Arnoldi ist überzeugt, dass der sogenannte Tiergarten-Mord im Sommer 2019 von staatliche­n Stellen Russlands angeordnet wurde.

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