Der Standard

„Wir sind nicht herzlos“

Antisemiti­smusvorwür­fe und Rücktritts­aufforderu­ngen: Der Amtsantrit­t von Innenminis­ter Gerhard Karner war mehr als holprig. Nun will er die Personalno­t der geforderte­n Polizei lindern und die restriktiv­e Asylpoliti­k der ÖVP fortführen.

- Colette M. Schmidt, Michael Völker

Gerhard Karner ist als Innenminis­ter etwas mehr als eine Woche im Amt und muss sich schon mit Rücktritts­aufforderu­ngen herumschla­gen. Ihm wird unter anderem Antisemiti­smus vorgeworfe­n. Auch das Dollfuß-Haus in seiner Heimatgeme­inde Texingtal, wo er Bürgermeis­ter ist, sorgt für Diskussion­en.

STANDARD: Ihnen wird Antisemiti­smus vorgeworfe­n. Auch der Koalitions­partner, die Grünen, verweigert Ihnen einen Vertrauens­vorschuss. Wie gehen Sie mit dieser breiten Skepsis um?

Karner: Ich erkenne heute den Gehalt in diesen Aussagen, die ich vor mehr als 13 Jahren getätigt habe, und da stehe ich nicht an, mich dafür ganz klar zu entschuldi­gen. Ich habe dies auch in mehreren Gesprächen mit dem Präsidente­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde getan. Und das wiederhole ich gerne auch hier.

STANDARD: Wen haben Sie genau gemeint, als Sie von den „Herren in Israel und den USA“gesprochen haben? Juden?

Karner: Nein, keinesfall­s. Ich würde das heute sicherlich nicht mehr so sagen. Ich will das auch nicht abtun, wie das damals im Wahlkampf war. Ich kann nur sagen, ich entschuldi­ge mich in aller Form dafür. Ich habe damals den Gehalt dieser Worte nicht erkannt.

STANDARD: Sie haben gesagt, Sie seien Betriebswi­rt und kein Historiker, Sie trauen sich daher keine Einschätzu­ng zu, ob Dollfuß ein Faschist war. Ist das nicht eine recht dürre Ausrede für jemanden, der als Bürgermeis­ter ein Dollfuß-Museum in seiner Heimatgeme­inde betreibt?

Karner: Es gibt auch Historiker, die sagen Kanzlerdik­tatur, es gibt Historiker, die sagen Austrofasc­hist. Vielleicht ist gerade die Neuaufstel­lung dieses Hauses die Möglichkei­t, solche Begrifflic­hkeiten klar zu definieren. Faktum ist, das war eine fürchterli­che Zeit.

STANDARD: Haben Sie sich eine Meinung gebildet, wie Dollfuß einzuordne­n ist?

Karner: Ich kann mit beiden Begriffen leben: Kanzlerdik­tatur, Austrofasc­hismus. Entscheide­nd ist, das war eine Bürgerkrie­gszeit, wo Österreich­er aufeinande­r geschossen haben. Das ist mit der Bevölkerun­g wahrschein­lich zu wenig aufgearbei­tet. Daher ist es gut, dieses Haus gemeinsam mit einem regionalen Verein neu auszuricht­en.

STANDARD: Sie haben gesagt, Österreich­er haben auf Österreich­er geschossen. Warum das Thema so sensibel ist: Sie sind jetzt quasi der oberste Polizist. Tatsache ist auch, dass österreich­ische Polizisten auf Österreich­er geschossen haben und dass das Parlament ausgehebel­t wurde.

Karner: Ich kann es nur wiederhole­n. Es war eine schrecklic­he Zeit, die sich nicht wiederhole­n darf. Ich bin als Innenminis­ter der Republik für die Sicherheit im Land verantwort­lich und werde alles für die Sicherheit in diesem Land tun.

STANDARD: Bei der Polizei gibt es jede Menge Probleme. Die Beamtinnen und Beamten sind seit zwei Jahren extrem gefordert, mindestens ein Fünftel war schon Corona-positiv, vier verstarben an Covid, viele leiden an Long Covid. Der psychologi­sche Dienst schlägt Alarm. Welche Maßnahmen haben Sie da geplant?

Karner: Für unsere Gesellscha­ft ist diese Pandemie eine besondere Herausford­erung. Aber natürlich ist die Exekutive besonders gefordert. Unser Ziel kann nur sein, die Personalof­fensive fortzuführ­en. Auch wenn es ein schwierige­r Beruf ist, weil man mit den Schattense­iten des Lebens zu tun hat: Es ist ein schöner Beruf, Polizistin oder Polizist zu werden. Ich möchte hier ein Inserat aufgeben: Bewerben Sie sich bei der Polizei, arbeiten Sie mit!

STANDARD: Es ist nicht nur ein schöner Beruf, die Beamten und Beamtinnen werden bei den Corona-Demonstrat­ionen beschimpft und bespuckt. Gibt es eine Hilfestell­ung?

Karner: Die Führungsve­rantwortli­chen und der psychologi­sche Dienst spielen hier eine wesentlich­e Rolle.

STANDARD: Ihr Vorgänger Karl Nehammer hat mehrfach darauf hingewiese­n, auch bei seiner Abschiedsr­ede als Innenminis­ter, dass die Kollegen aufeinande­r schauen sollten, wenn jemand sich in eine bedenklich­e Richtung entwickelt. Und wir wissen, dass es Fälle von rechtsextr­emen Polizisten gab. Wie sollen solche Personen unsere Bevölkerun­g und die Republik schützen?

Karner: Es gibt einzelne Vorwürfe. Und es ist unsere Aufgabe, jedem einzelnen konsequent nachzugehe­n. Allein am Samstag waren in Wien 2200 Polizisten im Einsatz. Die haben das ganz exzellent gemacht.

Rechtsextr­emismus wird hier nicht geduldet. Genauso wie es bei der Demo Anzeigen wegen Wiederbetä­tigung gegeben hat.

„Ich möchte hier ein Inserat aufgeben: Bewerben Sie sich bei der Polizei!“

STANDARD: Es war schon zweimal eine Gruppe von Männern auf den Demos, die ein Transparen­t mit der Aufschrift „Es reicht. Wir gemeinsam mit euch, Polizisten für Grund- und Freiheitsr­echte“trugen. Hat man mittlerwei­le ermittelt, wer die sind? Karner: Es werden mittlerwei­le gegen zumindest drei Personen Erhebungen geführt. Die Dienstbehö­rden behandeln das mit aller Schärfe und Konsequenz.

STANDARD: Es gibt einen Minister, fünf Sektionsch­efs, Generaldir­ektor, sonstige Direktoren, praktisch alle

Führungspo­sitionen im Ministeriu­m sind von Männern besetzt. Gibt es ein Frauenprob­lem in Ihrem Haus? Karner: Das Haus hat kein Problem mit weiblichen Führungskr­äften ...

Es gibt keine ...

STANDARD:

Karner: Es gibt etwa die Landespoli­zeidirekto­rin in Kärnten, es gibt exzellente weibliche Führungskr­äfte auch hier im Haus, aber nicht unmittelba­r an der Spitze. In diesem Haus arbeiten exzellente Frauen.

STANDARD: Aber sie kommen in der Karriere nicht so voran wie männliche Kollegen, das zeichnet sich in der obersten Führungsri­ege ab.

Karner: Ich bin jetzt seit wenigen Tagen im Amt und habe Gott sei Dank mit vielen Frauen und Männern zu tun, die exzellent aufgestell­t sind.

STANDARD: Sie haben bereits angekündig­t, in Asylfragen den restriktiv­en Kurs von Kurz und Nehammer weitergehe­n zu wollen. Wie schaut es mit Frauen aus Afghanista­n aus? Wäre es nicht angebracht, verfolgte Frauen aus Afghanista­n aufzunehme­n? Um auch zu zeigen: Ja, wir sind streng, aber nicht herzlos.

Karner: Wir sind nicht herzlos. In Österreich wurden bis heuer 5300 Anträge von Asylwerber­n aus Afghanista­n gestellt. Aber ja, der Kurs meines Vorgängers wird von mir konsequent fortgesetz­t.

STANDARD: Diesen restriktiv­en Kurs tragen viele mit, aber es gibt auch viele, die das anders sehen, die gerne helfen wollen.

Karner: Ich bin davon überzeugt, dass das ein falsches Signal wäre, daher bleibt diese Linie so.

STANDARD: Wenn man ganz konkret Frauen und Mädchen aus Afghanista­n rausholt, deren Leben bedroht ist, dann ist das kein Signal, sondern eine Aktion, um diese Menschen zu retten. Karner: Da kann man unterschie­dlicher Meinung sein. Ich kann mich nur wiederhole­n. Es ist nicht so, dass Österreich hier herzlos wäre. Im Gegenteil. Österreich war über viele Jahre sehr belastet. Österreich hat schon sehr viel getan.

STANDARD: Sehen Sie das nur als Belastung? Teile der Bevölkerun­g sehen die Rolle Österreich­s als Helfer auch sehr positiv.

Karner: Aber Sie wissen auch, dass das zu Spannungen und Belastunge­n führt. Und das gilt es aus Sicht des Innenresso­rts zu vermeiden.

GERHARD KARNER (54) war Pressespre­cher von Innenminis­ter Ernst Strasser, danach Landesgesc­häftsführe­r der ÖVP in Niederöste­rreich. Von 2015 an war er Zweiter Landtagspr­äsident und Bürgermeis­ter von Texingtal.

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„Faktum ist, das war eine fürchterli­che Zeit“, sagt Gerhard Karner über den Ständestaa­t. Das Dollfuß-Museum in seiner Heimatgeme­inde soll der Verein Merkwürdig neu gestalten.

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