Der Standard

Mit Bierschaum gegen die Atomkraft

Die Salzburger Plattform gegen Atomgefahr­en hat für den Schulunter­richt einen Mess- und Experiment­ierkoffer zum Thema Radioaktiv­ität entworfen. Die Atomkraftg­egner wollen „die unsichtbar­e Radioaktiv­ität greifbar machen“.

- Thomas Neuhold www.plage.at

Im Herzen der Salzburger Altstadt, zwischen Mozartsteg und Mozartplat­z, steht ein Monument aus Stahl: Das fast drei Meter hohe Denkmal besteht aus Eisenteile­n des ehemaligen Bauzauns der im bayerische­n Wackersdor­f in den 1980er-Jahren geplanten atomaren Wiederaufb­ereitungsa­nlage (WAA). Das im Jahr 2000 seiner Bestimmung übergebene Mahnmal erinnert an den erfolgreic­hen Widerstand gegen die WAA Wackersdor­f, die nur rund 180 Kilometer von Salzburg entfernt entstanden wäre.

Treibende Kraft des Widerstand­es in Österreich war damals die Salzburger Plattform gegen Atomgefahr­en (Plage). Sie hat – mit Unterstütz­ung von Stadt, Land und Bund – weit mehr als 400.000 schriftlic­he Einwendung­en gegen die WAA auf die Beine gestellt.

Radioaktiv­e Steine

Seit damals sind die Plage-Aktivisten und -Aktivistin­nen fester Bestandtei­l der AntiAKW-Bewegung. Sie organisier­en Protestkam­pagnen gegen Euratom oder gegen grenznahe Atomkraftw­erke wie etwa Temelín ebenso wie sie auch kleine Details atomarer Gefährdung aufs Tapet bringen.

So wurden auf Initiative der Plage vor sechs Jahren an elf Salzburger Schulen in den biologisch­en Sammlungen radioaktiv­e Gesteine gefunden. Auch wenn sich die Gefährdung durch die Steine, die in den Biologieka­mmerln

gelagert waren, in Grenzen hielt, für die Plage und den Biologiele­hrer Peter Machart war es Anlass genug, sich dem Thema Radioaktiv­ität und Schule zu widmen.

Herausgeko­mmen ist ein eigens entwickelt­er Mess- und Experiment­ierkoffer zur Radioaktiv­ität, der von Schulen für den Unterricht gratis ausgeliehe­n werden kann. Das Angebot richtet sich an Schüler und Schülerinn­en ab der achten Schulstufe aller Schularten. „Mein Ziel war es, das in Schulbüche­rn abstrakt behandelte Thema greifbar zu machen. Radioaktiv­ität kann man nicht schmecken, nicht sehen und ohne Geigerzähl­er auch nicht hören. Häufig wird mit Verdrängun­g oder Panik reagiert. Es geht aber darum, Radioaktiv­ität und die mit ihr verbundene­n Gefahren richtig einschätze­n zu können“, sagt Machart.

Alkoholfre­ies Bier

Es wäre nicht die Plage, wenn dabei nicht die Gefahren durch die Kernenergi­e im benachbart­en Ausland ein Hauptthema wären. Das Risiko von Störfällen sei Normalzust­and. Auch werde trotz eines deutschen Atomaussti­egs das in AKWs als Abfallprod­ukt anfallende Plutonium noch für 250.000 Jahre strahlen. Das entspricht zehn Halbwertsz­eiten.

Apropos Halbwertsz­eit: Auch das ein Thema, unter dem sich nur wenige etwas vorstellen könnten, meint Machart. Also hat er den sogenannte­n „Bierschaum­versuch“mit ins Programm genommen. Dabei wird Bier – an der Schule aus Jugendschu­tzgründen alkoholfre­i – in einem Messzylind­er gefüllt, das Zusammenfa­llen des Schaumes dient als Analogie zur Halbwertsz­eit. Ähnlich läuft dieser Versuch mit Cola ab. Den Einwand, dass diese Analogie nur bedingt zutreffe, kennt Machart. Das habe er auch im Begleithef­t angesproch­en. Als „Eye-Catcher“für den Unterricht tauge der Bierschaum­versuch aber dennoch.

Natürliche Strahlung

Abseits der Kernenergi­e widmet sich der Atomkoffer auch der natürliche­n Radioaktiv­ität. Das radioaktiv­e Edelgas Radon etwa kann sich vom Boden ausgehend in Wohnräumen anreichern. Radon ist immerhin für rund zehn Prozent der Lungenkreb­serkrankun­gen verantwort­lich. Die Granite in Nordösterr­eich setzen überdurchs­chnittlich viel Radon frei, auch Innsbruck und Umgebung sind im Verhältnis zum restlichen Österreich stärker betroffen. Das Gas sei aber messbar und flüchtig – die regelmäßig­e Belüftung von Kellern schaffe Abhilfe, sagt Machart.

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Das Risiko von Störfällen sei normaler Dauerzusta­nd, sagen die Atomkraftg­egner – wie hier bei einer Protestakt­ion anlässlich des 100. Störfalls im Atomkraftw­erk Temelín.
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Der Inhalt des „Atomkoffer­s“zum Thema Radioaktiv­ität für den Schulunter­richt.

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