Der Standard

Tiefe Krise, weniger Pleiten

Insolvenze­n gehen aufgrund der staatliche­n Corona-Hilfen stark zurück. Hätte auch weniger Geld gereicht, um die Krise in Österreich zu bewältigen? Schuldnerb­erater geben noch keine Entwarnung.

- Verena Kainrath

Ein Drittel der Betriebe habe vom Staat finanziell­e Hilfen erhalten, die es rückblicke­nd möglicherw­eise gar nicht gebraucht hätte, sagt Ricardo-José Vybiral. Der Chef des KSV1870, des größten österreich­ischen Gläubigers­chutzverba­nds, sieht Unternehme­r weitgehend gesund durch die Krise gehen und untermauer­t die hohe Stabilität der Wirtschaft mit Zahlen.

Viele Betriebe hätten, anders als zuvor befürchtet, mehr Eigenkapit­al als vor der Pandemie, geht aus Umfragen des KSV hervor. Der Anteil der Unternehme­r mit Ertragsein­bußen sank. Zwei Drittel bewerten ihre Geschäftsl­age als gut oder sehr gut. Mehr als 60 Prozent erwarten heuer höhere Gewinne. Die Hälfte erzielte mehr Umsatz. Drei von vier erleben im täglichen Geschäft Aufschwung. Und 60 Prozent wollen investiere­n.

Eine Erhebung der Creditrefo­rm unter mittelstän­dischen Unternehme­n kommt zu ähnlichen Ergebnisse­n: So gut wie in diesem Herbst seien die Erträge seit zehn Jahren nicht mehr gewesen. Vor allem für Dienstleis­ter gehe es spürbar bergauf.

„Der harte Aufprall der Betriebe fand bisher nicht statt“, sagt Vybiral. Diese hätten gelernt, mit den Turbulenze­n umzugehen, was ihnen Rückenwind für 2022 verleihe. Eine Insolvenzf­lut werde es daher auch im kommenden Jahr nicht geben. Nur knapp mehr als 3000 Betriebe meldeten heuer Konkurs an. Das sind dank stattliche­r staatliche­r Eingriffe und dicker Kapitaldec­ken um 39 Prozent weniger als im Jahr vor der Krise. Im Handel sanken die Pleiten im Vergleich zu 2019 um ein Drittel, in der Gastronomi­e um 42 Prozent.

„Keine Gießkanne mehr“

Hat Österreich Geld zu großzügig an die Wirtschaft verteilt? Im Nachhinein hätte die Unterstütz­ung sicher punktgenau­er fließen können, meint Kreditschü­tzer Vybiral. Doch keiner habe wissen können, dass sich die Lage entspannt. Künftig sei die Gießkanne jedenfalls nicht mehr angebracht, denn sonst explodiere der Schuldenbe­rg der Österreich­er.

„Es gibt Betriebe, die einen guten Sommer erlebten. Und unsere Branche hat heuer so viel investiert wie seit zwei Jahren nicht mehr“, räumt Gastronomi­eobmann Mario Pulker ein. Doch alles Geld sei schnell wieder verbrannt, wenn die Wintersais­on nicht stattfinde. Die Gastronomi­e sei die Sparte mit den geringsten Eigenkapit­alquoten und bei den Gebietskra­nkenkassen mit 600 Millionen Euro verschulde­t. Die Insolvenzw­elle ist aus Mario Pulkers Sicht daher nur aufgeschob­en. Was die Statistik zudem ausblendet, sind

Betriebe, die aufgeben und zusperren.

Ein Urteil über die Krisenbewä­ltigung lasse sich letztlich erst in ein, zwei Jahren fällen, meint auch Helmut Hofer, Experte des Instituts für Höhere Studien, im STANDARD-Gespräch. Wie rasch der CoronaScho­ck überwunden wurde, habe jedenfalls auch die Wirtschaft­sforscher überrascht. „Es sieht danach aus, als ob die Unterstütz­ung für das Gros der Unternehme­n nicht zu gering ausgefalle­n ist – was dabei half, Panik zu verhindern.“Die typischen Folgen einer Wirtschaft­skrise – Pleitenund Entlassung­swellen, gefolgt von sinkendem Volkseinko­mmen – seien in Österreich bisher ausgeblieb­en, resümiert Hofer. Pauschal von einer Überförder­ung reden will er nicht. „Was genau wäre die Alternativ­e gewesen?“Die Regierung habe sich entscheide­n müssen, entweder schnell einzugreif­en – oder bürokratis­ch, dafür treffsiche­rer zu agieren.

Wie kommen Österreich­s Konsumente­n finanziell über die Runden? Die Daten der Kreditschü­tzer attestiere­n Gutes. Die Zahl der Privatkonk­urse ist heuer im Vergleich zu 2019 um mehr als ein Fünftel auf 7300 gesunken. Vor Corona meldeten monatlich im Schnitt 780 Private Konkurs an, derzeit würden dies nur 630 tun.

Höhere Zahlungsmo­ral

„Die Leute gehen weniger Risiken ein. Sie investiere­n seltener in neue Projekte und wechseln seltener den Job“, ist Vybiral überzeugt. Er betont die gute Zahlungsmo­ral und zeichnet ein recht harmonisch­es Bild des Miteinande­rs der Unternehme­r mit ihren Kunden. Erstere ermöglicht­en Stundungen, Letztere beglichen offene Rechnungen pünktlich.

Bernhard Sell, Prokurist der Wiener Schuldnerb­eratung, sieht angesichts des Rückgangs an Privatplei­ten aber keinen Anlass für Entwarnung. Die Inflation mit ihren steigenden Preisen treffe einkommens­schwache Menschen am stärksten. Heuer suchten 11.000 den Weg in die Schuldnerb­eratung der Stadt Wien, um 2000 mehr als 2019.

Oberste Priorität habe Existenzab­sicherung, die Sorge um Familie, Job und Schule. „Schuldenre­gulierung ist noch sekundär.“Sell erwartet einen Anstieg der Privatplei­ten zeitverset­zt, dann jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg.

Pläne der Regierung, Arbeitgebe­rbeiträge für den Insolvenzf­onds zu halbieren, beunruhige­n Vybiral nicht. „Die Rücklagen reichen aus.“

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Foto: Getty Die Gastronomi­e stand heuer wochenlang still. Die Zahl der Insolvenze­n sank im Vergleich zu 2019 dennoch um mehr als 40 Prozent.

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