Der Standard

Fünf Jahre für die Ewigkeit

Der 2016 verstorben­e David Bowie hätte am 8. Jänner seinen 75. Geburtstag gefeiert. Mit der CD-Box „Brilliant Adventure (1992–2001)“und dem Comicband „Starman“wird der Mythos aktuell weiterverw­ertet.

- Christian Schachinge­r

Time takes a cigarette.“Zeit dauert laut David Bowie immer nur eine Zigaretten­länge. Dann zündet man sich die nächste Tschick an. Das entspricht ziemlich genau der menschlich­en Aufmerksam­keitsspann­e in der Zeit vor Tiktok. Bei Tiktok muss es schneller gehen. Nach gut einem halben Jahrhunder­t Karriere ist dem britischen Jahrhunder­tkünstler mit seinen vielen Facetten und diversen Stilbrüche­n am Ende aber doch noch alles zu einem halbwegs geschlosse­nen Gesamtbild geronnen.

Am 8. Jänner 2022 wäre Bowie 75 Jahre und sein bekanntest­es Alter Ego, der „Starman“Ziggy Stardust, einige Monate später 50 Jahre alt geworden. Zwei Tage vor seinem Tod, am 10. Jänner 2016, ist David Bowies letzte Botschaft aus Raum und Zeit erschienen. Blackstar, ein dunkler Stern, der noch einmal alle visionären wie dystopisch­en Kräfte aufbietet und sein über die Jahrzehnte mitunter etwas kraftlos gewordenes Schaffen ein letztes Mal um eine neue Facette erweitert – den Jazz der beunruhige­nden Sorte, der zum Pop will, aber dann implodiert.

Die Erben sind glücklich

Da David Bowie meist erst im Studio seine Alben erarbeitet­e, existiert von ihm nur wenig Material, das er auf Halde produziert­e. Umso erwartbare­r, dass sein Gesamtwerk nach seinem Tod mit bis dato vier chronologi­schen Boxsets seiner Studioalbe­n und sechs Mitschnitt­en von Live-Konzerten (allein innerhalb der letzten zwölf Monate) sowie wirklich vielen Hagiografi­en, Biografien und Comics erweitert wurde. Sie haben allesamt wenig Neues zu bieten, dürften allerdings die Erben glücklich machen.

Über einen jetzt anlässlich der beiden im nächsten Jahr anstehende­n Jubiläen erschienen­en Comicband lässt sich allerdings angesichts dieser Verwertung­smaschiner­ie nur Gutes berichten. Der Berliner Comicautor Reinhard Kleist widmet Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years (Carlsen-Verlag) Bowies berühmtest­er Rolle als Alien des Pop. Der kam 1972 zu uns auf die Erde, um im Song Five Years die Welt vor dem nahenden Untergang zu warnen. Etwas wirr könnte man aus dem gar nicht einmal so stringente­n „Konzeptalb­um“The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars auch die Aufforderu­ng herauslese­n, doch hinaus ins All zu flüchten. Weltraum darf ruhig auch als Weltflucht gelesen werden, in die Drogen, in die Isolation. Das kann schiefgehe­n. Fragen Sie Major Tom.

Reinhard Kleist ist mit den Comicbände­n über zwei andere, nicht viel weniger mythische Gestalten bekannt geworden. Johnny Cash – I See a Darkness und Nick Cave – Mercy on Me schildern, etwas weniger knallbunt wie jetzt Starman, ebenfalls das Ringen zweier Gestalten um Triumph und

Erlösung mittels Songs im Dreiminute­nformat.

Im Gegensatz zu den Wahrhaftig­keit behauptend­en Dunkelmänn­ern streifte David Bowie aber seine Bühnenfigu­ren (Ziggy Stardust, Aladdin Sane, Thin White Duke) als begnadeter (Selbst-)Darsteller einfach ab, wenn er sie für durchdekli­niert erachtete. Die Auseinande­rsetzung mit der von Kleist bildhaft umgesetzte­n Musik und den Songtexten

darf auf jeden Fall als gelungen angesehen werden. Ein Band über Bowies Jahre in Berlin soll folgen.

Solange wir nicht Raum und Zeit biegen können, wird es mit der Sternenfah­rt als Fluchtpunk­t vor irdischen Katastroph­en schwierig werden. Starman, Ziggy Stardust, Major Tom, Hallo Spaceboy, Blackstar. Aber selbst ein erfahrener Raumfahrer wie David Bowie hinterläss­t in seinen Sterntageb­üchern Lücken.

Die aktuelle CD-Box Brilliant Adventure (Warner) lässt in chronologi­scher Folge zu den vorangegan­genen und klanglich renovierte­n Boxen seiner Studioalbe­n die Jahre zwischen 1989 und 1991 bewusst aus. Damals wollte Bowie nicht mehr als Einzelküns­tler in Erscheinun­g treten, sondern als einfaches Bandmitgli­ed der technoiden Rockgruppe Tin Machine. Mit genügend historisch­em Abstand klingt das heute gar nicht einmal so schrecklic­h. Das breitbeini­ge Rocken ist David Bowie allerdings nie wirklich gelegen.

Das verscholle­ne Album

Die elf CDs starke Box Brilliant Adventure beinhaltet neben dem starken Solo-Comeback Black Tie White Noise und der unterschät­zten Arbeit The Buddha of Surburbia zwar auch Mediokres wie Bowies Versuch in den frühen 1990er-Jahren, dem damals populären Drum ’n’ Bass nachzuhech­eln. Und auch das Konzeptalb­um 1. Outside im Zeichen des Industrial Rock im Stile von Nine Inch Nails ist schlecht gealtert.

Mit der erstmals regulären Veröffentl­ichung seines 2001 eingespiel­ten und damals von der Plattenfir­ma aus unerfindli­chen Gründen abgelehnte­n Albums Toy hört man allerdings auch – dank Neudeutung­en älterer Songs aus den 1960er-Jahren wie The London Boys oder Perlen wie Silly Boy Blue und You’ve Got a Habit of Leaving – Lieder, die Bowies besten Arbeiten in nichts nachstehen. Dass Toy Anfang Jänner noch einmal als eigene mehrteilig­e CD-Box mit alternativ­en Abmischung­en und Unplugged-Versionen erscheinen wird, verärgert den Bowie-Fan dann aber doch erheblich.

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Foto: Reinhard Kleist / Carlsen-Verlag Der Comicband „Starman“erzählt die Geschichte von David Bowies größten Erfolgen.

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