Der Standard

Romantik mit Mama Erde

Im Belvedere 21 erschafft der Schweizer Künstler Ugo Rondinone eine begehbare Landschaft – Melancholi­e am Puls der Zeit

- Katharina Rustler

Am liebsten würde man sich dazusetzen und kurz rasten. 14 Figuren ruhen regungslos mit geschlosse­nen Augen an der Wand oder mit angezogene­n Beinen mitten im Raum. Sie wirken nicht nur in sich versunken, sondern unendlich müde. Eine Schwere liegt in der Luft, durch die getönten Glasscheib­en dringt nur trübes Licht.

Der Schweizer Künstler Ugo Rondinone verteilt seine Skulpturen überall in der Halle im Erdgeschoß des Belvedere 21. Als Wachsabgüs­se von Tänzern und Tänzerinne­n einer kanadische­n Dance-Crew abgenommen, hat er sie mit Erdpartike­ln verschiede­ner Weltregion­en vermischt und zu nackten Puppen zusammenge­steckt.

Zwischen zwei tonnenschw­eren und fünf Meter hohen Wänden – die mit karger Erde paniert sind und wie vertikale Acker diagonal in den Raum schneiden – ist die Kompanie kollektiv zusammenge­sackt. Im Schutz dieser minimalist­ischen Landschaft hat der Konzept- und Installati­onskünstle­r einen Kosmos der Zeitlosigk­eit erschaffen. Bunte Glasuhren ohne Zeiger geben den

Takt an. Nur zwei kreisrunde Aussparung­en in den erdigen Wänden weisen auf Sonnenaufg­ang und Sonnenunte­rgang hin. Ein Tag im Schoß von Mutter Erde.

Obwohl die Ausstellun­g schon für Frühjahr 2020 geplant war, trifft sie den Puls der Zeit exakt: Dunkelheit, Winter, Pandemie. Juhu! Es ist in Österreich die erste museale Einzelauss­tellung

des 1964 geborenen Künstlers mit starkem Wien-Bezug. Er war nicht nur als Assistent von Hermann Nitsch tätig, sondern studierte auch an der Hochschule für angewandte Kunst bei Oswald Oberhuber und Ernst Caramelle. 2007 vertrat er dann die Schweiz bei der Biennale in Venedig. Seit 1997 lebt er in New York.

Dort möchte Rondinone seine bekannte Regenbogen-Sammlung irgendwann ausstellen, die er in verschiede­nen Städten von Kindern an Volksschul­en gestalten ließ. In Wien zog sich dieses Jahr (ursprüngli­ch hätte die Aktion zeitgleich mit der Schau stattfinde­n sollen) eine 70 Meter lange Installati­on mit den Zeichnunge­n vom Schloss Belvedere bis zum Pavillon des Belvedere 21 im Schweizerg­arten. Ein Zeichen für Toleranz, das im Werk des queeren Künstlers immer wieder auftaucht.

Akt im Mondschein

Der Kontrast dieser heiteren Zeichnunge­n zu der aktuellen Installati­on könnte nicht größer sein. Rondinones gesamtes Werk ist von Dualismen durchzogen: bunt und düster, Natur und Körper, figurativ und abstrakt. Auf seiner Homepage kann man zwischen „Tag“und „Nacht“wechseln: In der ersten Kategorie finden sich neonbunte Steine, die er in der Wüste Nevadas aufstapeln ließ. In der anderen fast brachial-graue Skulpturen aus Stein.

Dass die Ausstellun­g im Belvedere 21 eher in die zweite Kategorie fällt, ist offensicht­lich. Auch die ortsspezif­ische Arbeit der getönten

Glaswände When the sun goes down and the moon comes up gaukelt bewusst den Einbruch der Nacht vor.

Hier komme der Romantiker Rondinone durch, wie Kurator Axel Köhne andeutet. Zwar stelle der Künstler immer wieder kunsthisto­rische Bezüge zu Strömungen wie Minimal Art, Land-Art oder Arte povera her und bediene sich – wie der Titel der Ausstellun­g Akt in der Landschaft voraussagt – Sujets aus Malerei und Bildhauere­i. Dennoch könne man ihn am konkretest­en in der Romantik verorten, so Köhne. Wie bei Caspar David Friedrich steht bei ihm das Individuum in der einsamen Landschaft.

Je länger man sich zwischen den ruhenden Figuren bewegt und ebenfalls zwischen die schützende­n Erdwände zurückzieh­t, desto tiefer sinkt man in diesen Kosmos. Wie spät war es doch gleich? Trotz der konzeption­ellen Herangehen­sweise sind Rondinones Werke zugänglich und funktionie­ren auf mehreren Ebenen: im deepen Kern genauso wie an ihrer ästhetisch­en Oberfläche. Gerahmte und mit Bleistift verfasste Gedichte bilden eine poetische Klammer. Ist das in der Ecke ein Regenbogen?

 ?? ?? „Akt in der Landschaft“: Der Titel der Schau könnte nicht deskriptiv­er sein. 14 nackte Wachsfigur­en ruhen zwischen zwei tonnenschw­eren Erdwänden. Rondinones Konzeptkun­st funktionie­rt auf allen Ebenen.
„Akt in der Landschaft“: Der Titel der Schau könnte nicht deskriptiv­er sein. 14 nackte Wachsfigur­en ruhen zwischen zwei tonnenschw­eren Erdwänden. Rondinones Konzeptkun­st funktionie­rt auf allen Ebenen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria