Der Standard

Unheimlich­e Winterreis­e

- Karl Gedlicka

Eigentlich will die junge Frau, die auf verschiede­ne Namen hört, mit ihrem Freund Jake Schluss machen. Dennoch fährt sie mit ihm im dichter werdenden Schneetrei­ben aufs Land, um seine Eltern kennenzule­rnen. Auf der Farm angekommen wartet allerdings alles andere als eine weihnachtl­iche Idylle auf sie. Vielmehr bekommt die Realität zunehmend Risse. Die Eltern scheinen von einem Moment auf den nächsten ihr Alter zu wechseln, Identitäte­n drohen zu verschwimm­en. Und was hat das alles mit dem alten Schulwart zu tun, der zwischendu­rch immer wieder auftaucht?

WINTERODYS­SEE „I’M THINKING OF ENDING THINGS“AUF NETFLIX

I’m Thinking of Ending Things läuft schon länger auf Netflix, bietet sich aber nicht nur wegen des jahreszeit­lichen Konnexes zum Nachholen an. Dass man sich dabei zuweilen in einen fremden Kopf versetzt fühlt, hat mit Autor und Regisseur Charlie Kaufman zu tun, dem sich unter anderem die Drehbücher zu Being John Malkovich und Eternal Sunshine of the Spotless Mind verdanken. Bei der Verfilmung eines Romans von Iain Reid, der zwischen psychologi­schem Thriller und Horror schubladis­iert wurde, handelt es sich um ein kompromiss­los realisiert­es Herzenspro­jekt Kaufmans.

Das Ergebnis ist zuweilen verstörend und beklemmend. Wie schon in dem wunderbare­n Animations­film Anomalisa, bei dem Kaufman Co-Regie führte, versteckt sich das Drama in Kleinigkei­ten, vor Abgründen wird nicht haltgemach­t. I’m Thinking of Ending Things ist eine Art Anti-Feel-good-Movie. Was nicht heißt, dass sich das Anschauen nicht lohnt. Im Gegenteil. Diese entlang popkulture­ller Querverwei­se ausgericht­ete Winterreis­e wirkt mit ihren ebenso rätselhaft­en wie eindringli­chen Bildern noch lange nach, nachdem der Film bereits zu Ende ist. ➚ dst.at/TV-Tagebuch

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