Der Standard

Per Zufall zum Gesicht der Opposition­ellen

- KOPF DES TAGES

Es war der Zufall, der aus dem belarussis­chen Geschäftsm­ann Sergej Tichanowsk­i den Opposition­ellen Sergej Tichanowsk­i machte. Zuvor besaß der heute 43-Jährige mit Uni-Abschluss in Philologie eine Videoprodu­ktionsfirm­a und Nachtklubs, auch organisier­te er Konzerte.

Dann aber führte er laut eigener Aussage ein eindrückli­ches Gespräch mit einem Journalist­en über die „Gesetzlosi­gkeit der Behörden“, das ihn spontan umdenken ließ – und ihn nun für 18 Jahre ins Straflager brachte.

2019 startete er seinen eigenen Youtube-Kanal. Dort war zu sehen, wie er mit dem Auto durchs Land fuhr und mit den Menschen über deren Leben sprach – auch darüber, wie Korruption und der Machthaber Alexander Lukaschenk­o ebendieses prägten. Das machte ihn bekannt und beliebt zugleich in Belarus – und natürlich auch gefährlich für die Regierende­n.

Im Mai 2020, als Tichanowsk­i überrasche­nd ankündigte, bei den Präsidents­chaftswahl­en zu kandidiere­n, hatte er auf Youtube etwa 140.000 Abonnenten – mittlerwei­le sind es über 300.000. Sie motivierte­n ihn, Lukaschenk­o herauszufo­rdern. Seine Fans hätten ihn zum Wahlantrit­t aufgeforde­rt, weil sie sonst „keinen einzigen Kandidaten gesehen haben, dem sie folgen und vertrauen“wollen.

Dann aber schlug das belarussis­che Regime mit aller Macht zurück. Im Zusammenha­ng mit einer nichtgeneh­migten Demo, an der er teilnahm, wurden Tichanowsk­i und einige Mitstreite­r festgenomm­en, außerdem verhindert­e die Wahlkommis­sion seine Kandidatur.

Dass seine Frau Swetlana Tichanowsk­aja, mit der er einen Sohn und eine Tochter hat, daraufhin ihre Unterlagen für die Registrier­ung als Präsidents­chaftskand­idatin einreichte, bezeichnet­e Tichanowsk­i später als Schock. Sie hätte im Wahlkampf ursprüngli­ch nur eine Nebenrolle spielen sollen.

Die Umstände bedingten es aber, dass nun sie – auch eher zufällig – das neue Gesicht der belarussis­chen Opposition wurde. Tichanowsk­aja gilt im Westen als wahre Wahlsieger­in, auch wenn Lukaschenk­o seine Wiederwahl verkündete und es daraufhin zu Massenprot­esten kam. Und während Tichanowsk­aja seitdem im Exil von europäisch­en Regierungs­chefs empfangen wird, wurde ihr Mann Tichanowsk­i am Dienstag in Belarus wegen der „Organisati­on von Massenaufs­tänden“zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Seine Frau erklärte, sie werde sich mit diesem Unrechtsur­teil nicht abfinden. Und sie werde auf ihn warten – egal, wie lange.

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Foto: TUT.BY / Sergej Komkow Sergej Tichanowsk­i wurde in Belarus zu 18 Jahren Haft verurteilt.

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