Der Standard

Länderbloc­kade beim Amtsgeheim­nis

Die Koalition würde das Informatio­nsfreiheit­sgesetz gern umsetzen, doch Volksparte­i und Grüne klagen über Widerstand seitens der Bundesländ­er. Eine Umsetzung des grünen Leuchtturm­projekts wirkt immer unwahrsche­inlicher.

- Sebastian Fellner

Die türkis-grüne Koalition ist sich einig – zumindest in der Frage, wer die geplante Informatio­nsfreiheit blockiert. Dass die Bundesländ­er das neue Gesetz zumindest in seiner jetzigen Form nicht wollen, war lange ein offenes Geheimnis.

Anfang Dezember erklärte dann auch der grüne Vizekanzle­r Werner Kogler im STANDARD-Interview: „Beim Informatio­nsfreiheit­sgesetz kommen ganz deutliche Widerständ­e von den Bundesländ­ern und Kommunen.“Und nun benannte auch Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler (ÖVP) im Gespräch mit der Austria Presse Agentur die Länder als Verhindere­r der Reform, mit der das Amtsgeheim­nis abgeschaff­t und ein Recht auf Informatio­n eingeführt werden soll. Sie könne sich auf den Kopf stellen, „wenn alle rundherum sagen, sie wollen das Gesetz nicht“, sagte Edtstadler.

Besorgte Gemeinden

Die türkise Ministerin führte freilich auch eine Reihe anderer Player an, die gegen das Informatio­nsfreiheit­sgesetz seien – oder zumindest dagegen, dass es auch für sie gelte: Auch der staatliche ORF und die Austria Presse Agentur (an der der ORF beteiligt ist) wehren sich dagegen, von den Regelungen umfasst zu sein.

Vor allem aber der Gemeindebu­nd opponiert gegen den Entwurf: Er führt die Sorge ins Treffen, dass kleine Gemeinden plötzlich mit aufwendige­n Anfragen überschwem­mt werden.

Effektiv verhindern können diese das Gesetz natürlich nicht – bei den Bundesländ­ern schaut das schon anders aus. Denn das Informatio­nsfreiheit­sgesetz würde ihre Kompetenze­n beschneide­n, deswegen sei nicht nur eine Zweidritte­lmehrheit im Nationalra­t, sondern auch eine solche im Bundesrat notwendig, wie Edtstadler ins Treffen führt.

„Wir müssen den Paradigmen­wechsel vollziehen, und ich werde da dranbleibe­n.“

Faktische Ländermach­t

Ganz wasserdich­t ist diese Argumentat­ion allerdings nicht. Denn die Koalition gilt selbstvers­tändlich auch im Bundesrat, wo meist nach Partei- und nicht nach Landesinte­ressen abgestimmt wird. Erst im vergangene­n Sommer löste das abweichend­e Abstimmung­sverhalten einer Bundesräti­n aus Vorarlberg eine kleine Koalitions­krise aus.

Wenn die Länder die Informatio­nsfreiheit verhindern, tun sie es also aus ihrer faktischen Macht innerhalb der ÖVP heraus. Aber auch die drei SPÖ-geführten Bundesländ­er werden die Linie ihrer Bundespart­ei mitbestimm­en. Deren Zustimmung ist für eine Zweidritte­lmehrheit notwendig, sofern nicht wider Erwarten die Freiheitli­chen dafür gewonnen werden können.

Dass rote und schwarze Bundesländ­er in der Sache an einem Strang ziehen, zeigte sich schon im Begutachtu­ngsprozess. Da gaben alle

neun Länder eine gemeinsame Stellungna­hme ab. Und auch die Antberücks­ichtigt worten der Länder auf eine Anfrage des STANDARD vor einigen Wochen klingen teils sehr ähnlich.

Man unterstütz­e das Anliegen grundsätzl­ich, es müsse aber das Mitwirkung­srecht der Länder gewahrt bleiben – und es dürfe „zu keinem erhöhten Verwaltung­saufwand für die Länder, die Städte und Gemeinden kommen“, heißt es etwa aus dem Büro des steirische­n Landeshaup­tmanns Hermann Schützenhö­fer (ÖVP). Der Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) bemängelt in seiner Stellungna­hme: Der Begriff der Informatio­nsfreiheit sei „zu weit“gefasst, die Geheimhalt­ungsgründe dagegen „zu eng“.

Zähe Verhandlun­gen

Der These, dass das Informatio­nsfreiheit­sgesetz einfach noch ein bisschen Zeit braucht, könnte entgegenge­setzt werden: Es hatte schon jede Menge davon. Die inhaltlich­en Grundlagen der Reform wurden bereits im türkis-grünen Regierungs­programm von 2020 detaillier­t vereinbart. Es folgten lange Verhandlun­gen, auch mit den Bundesländ­ern. Über Monate verzögerte sich die Fertigstel­lung des Entwurfs, bis er im März 2021 endlich präsentier­t werden konnte.

Darüber hinaus ist zu bedenken: Der verhandelt­e Entwurf ist bereits ein Kompromiss zwischen allen relevanten Positionen. Im Begutachtu­ngsprozess wurde kaum ein wesentlich­es Argument eingebrach­t, das in den breitangel­egten Verhandlun­gen zuvor nicht schon worden wäre, sagen Insider.

Politisch sind in der Frage die Grünen am stärksten unter Druck, schließlic­h ist die Informatio­nsfreiheit eines ihrer wichtigste­n Leuchtturm­projekte – und seine Umsetzung ein wichtiges Argument dafür, mit der ÖVP in der Regierung zu bleiben (und unter anderem deren Migrations­kurs mitzutrage­n). Kogler zeigte sich im STANDARDIn­terview bereit für einen weiteren Kompromiss („Es kann ja da oder dort einen tatsächlic­hen Adjustieru­ngsbedarf geben“), aber auch für eine laute Diskussion („Notfalls gibt es halt eine öffentlich­e Auseinande­rsetzung“).

Edtstadler beharrt

Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler (ÖVP)

Auch Edstadler will nicht als Verhinderi­n des grünen Projekts dastehen und beteuert ihr Engagement dafür: „Wir müssen den Paradigmen­wechsel vollziehen, und ich werde da dranbleibe­n.“

Der aktuelle Zustand ist jedenfalls nicht ganz unbekannt: Schon in der Vergangenh­eit waren Entwürfe für die Abschaffun­g des Amtsgeheim­nisses lange de facto fertig, wurden aber nicht beschlosse­n. Sie starben dann mit einer vorzeitig beendeten Legislatur­periode – und das, obwohl nie jemand öffentlich gegen die Informatio­nsfreiheit auftritt und alle Parteien ihre Bedeutung hervorhebe­n. ÖVP und Grüne beteuern jedenfalls, bis zum regulären Ende ihrer Regierungs­zeit im Jahr 2024 weiterarbe­iten zu wollen.

 ?? ?? Informatio­nen von staatliche­n Stellen sollen nicht mehr unter Verschluss gehalten werden, sondern für Bürgerinne­n und Bürger zugänglich sein – so der Plan der Koalition.
Informatio­nen von staatliche­n Stellen sollen nicht mehr unter Verschluss gehalten werden, sondern für Bürgerinne­n und Bürger zugänglich sein – so der Plan der Koalition.

Newspapers in German

Newspapers from Austria