Der Standard

Abschussan­leitung für Planetenki­ller

Welche Anleihen die Satire „Don’t Look Up“beim echten Leben macht, und warum es trotz der drohenden Apokalypse Anlass zur Hoffnung gibt.

- Rainer Schüller

Es ist schwere Kost, die nach den Schlemmere­ien während der Feiertage trotz der Komik nicht einfach runtergeht. Selten hat ein Film den desolaten Zustand der Menschheit so treffsiche­r beschriebe­n wie Don’t Look Up, der seit Weihnachte­n über Netflix zu sehen ist. Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein riesiger Komet rast auf die Erde zu und trifft sie dann auch mit voller Wucht, obwohl Wissenscha­fter davor gewarnt hatten. Spoiler-Warnung! Es geht nicht gut aus. Gar nicht gut.

Regisseur Adam McKay wollte mit dem Film die Welt angesichts der Klimakatas­trophe aufrütteln. Seine Zustandsbe­schreibung passt aber genauso gut zum Umgang mit der Corona-Pandemie.

Die zentrale Aussage des Films stammt von dem von Leonardo DiCaprio verkörpert­en, etwas abgehalfte­rten Astronomie­professor Randall Mindy: „Wenn wir uns nicht einmal darauf einigen können, dass es keine fucking gute Sache ist, dass ein Komet in der Größe des Mount Everest auf die Erde zurast, was zur Hölle ist mit uns passiert? Wie können wir das lösen?“Ja, was zur Hölle ist los mit uns?

Die Satire, die näher an der Realität liegt als wünschensw­ert, liefert jede Menge Anhaltspun­kte zur Beantwortu­ng dieser Frage. Der Katastroph­enfilm zeichnet eine toxische Mischung aus einer völlig versauten Politik, Verheißung­en neuer Digitalgöt­ter, die gierig Daten sammeln, um diese dann doch nur für die Optimierun­g ihres eigenen Wohls zu nutzen, und willfährig­en, quotengeil­en Medien, deren Smartphone-süchtiges Publikum zu selbstbezo­gen und abgelenkt ist, um für Fakten zugänglich zu sein.

Bei ihrem ersten Auftritt in einer Talkshow erklärt die Astronomie­doktorandi­n Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) hysterisch, wie gefährlich der nach ihr benannte Komet ist. Sie erntet jede Menge negative Kritik auf Social Media, obwohl sie nur die unbequeme Wahrheit sagt.

Das erinnert an die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg oder an heimische Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter, deren Aussagen verkürzt und verdreht werden oder die auf ihr Äußeres reduziert werden, während ihre eigentlich­en Botschafte­n kein Gehör finden. Die dargestell­ten Medienvert­reter sind mehr an der Quote und ihrem eigenen Sexleben interessie­rt als am Journalism­us – auch das soll in Österreich mutmaßlich schon vorgekomme­n sein.

Vertraute Muster

Am stärksten schmerzt, wie realitätsn­ah die Rolle der Politik in Person der Präsidenti­n Janie Orlean wirkt, gespielt von Meryl Streep. Sie und ihr Berater aus der Familie ordnen ihr gesamtes Tun den Umfragen und Wahlerfolg­en unter. Die Wissenscha­ft kommt zunächst auf die Wartebank, und dann wird ihr Inhalt über den Filter der MessageCon­trol so umformulie­rt, dass sie der Wiederwahl nützt.

Mittels eines massen- und PRtauglich­en Slogans rät die Präsidenti­n ihrem Wahlvolk bezüglich des herannahen­den Kometen, doch einfach nicht nach oben zu schauen: „Don’t Look Up!“

Janie Orlean ist eine Legierung aus Donald Trump, Sebastian Kurz und Herbert Kickl. Der Tech-Guru und Milliardär Peter Isherwell (Mark Rylance) bekommt den lukrativen Auftrag, den Kometen in Stücke zu zerbomben und aus diesen seltene Materialie­n für die Handy-Produktion zu gewinnen, weil er zu den Großspende­rn der Partei zählt. Auch das klingt vertraut.

All das wäre nicht möglich, wäre die Gesellscha­ft nicht eine derart narzisstis­che, kritiklose Masse, wie im Film dargestell­t. Die große Mehrheit unterwirft sich blind den Versprechu­ngen der Tech-Giganten, den dummen Slogans der Politik und dem Infotainme­nt der Medien.

Hier unterschei­det sich jedoch die Fiktion von der Realität: Immer mehr erkennen den Unterschie­d zwischen Fake-News und Fakten. Immer mehr erkennen durch die direkten Auswirkung­en der Klimakatas­trophe und der Pandemie den Wert der Wissenscha­ft. Seriöse Medien setzen auf Wissen schafts journalism­us, der komplexe Themen verständli­ch erklärt und aufbereite­t. Wissenscha­fter verschaffe­n sich selbst mehr Gehör, auch über soziale Netzwerke. Immer mehr blicken hinter die Kulissen populistis­cher Politik und die Methoden von Datensamml­ern. Trump wurde schließlic­h doch abgewählt, das Klimathema ist in westlichen Demokratie­n so hoch im Kurs, dass die Leugner immer mehr ins Hintertref­fen geraten.

In der Realität wie im Film kommt der stärkste Ho ff nungs schimmer von der jungen Generation. Ari an aG randes pieltdieSä­ng er inRileyBin­a, die mit dem Song Just Look Up die Gegenbeweg­ung zur Skeptikerf­ront unterstütz­t. Sie zeigt, dass SocialMe dia trotz allerSelb std ar stellungs nebenwirku­ngen auch für Sinnvolles eingesetzt werden können.

Am Ende bringt Yule (Timothée Chalamat), ein junger Ladendieb mit Skateboard, beim letzten Abendmahl vor der Apokalypse die versammelt­e Runde noch einmal dazu, einander die Hände zu reichen. Selbst Zweifler wagen doch einen Blick nach oben.

Das cineastisc­he Ende ist definitiv kein optimistis­ches. Der Film kann jedoch als Auftrag gesehen werden. Der echte Komet (Klimaverän­derung, Pandemie) ist zwar unterwegs, er kann aber noch abgewehrt werden. Die Waffe haben wir in der Hand, wir müssten sie nur gemeinsam bedienen, damit sie wirkungsvo­ll ist. Das ist die Antwort auf Professor Mindys Fragen.

 ?? Foto: Niko Tavernise / Netflix via AP ?? Die Wissenscha­ft muss sich hintanstel­len, die Politik marschiert vor. Der Berater hat nur Umfragewer­te in der Handtasche. Das Setting von „Don’t Look Up“zeigt, wie falsch Katastroph­enbekämpfu­ng laufen kann.
Foto: Niko Tavernise / Netflix via AP Die Wissenscha­ft muss sich hintanstel­len, die Politik marschiert vor. Der Berater hat nur Umfragewer­te in der Handtasche. Das Setting von „Don’t Look Up“zeigt, wie falsch Katastroph­enbekämpfu­ng laufen kann.

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