Was man tun kann gegen niedrige Formalabschlüsse
Im Regierungsprogramm der neuen deutschen Ampelkoalition bekommt die Erwachsenenbildung einen neuen Stellenwert. Hierzulande gibt es zwar innovative Ansätze, Lücken klaffen vor allem bei der Finanzierung.
Eine aktuelle Studie der Statistik Austria zeigt, wie sich der formaleBil dungs abschluss auf das Fortkommen im Arbeitsleben und auf das Gehalt auswirkt (siehe DER STANDARD, 23. 12. 2021), und legt gleichzeitig auch die Finger auf einige offene Wunden im österreichischen Bildungssystem.
Allgemein bekannt ist das – im internationalen Vergleich fast schon einzigartig–frühe Erst selektion sa lt er von zehn Jahren. Dieses droht nicht nur Kinder frühzeitig auf ein bestimmtes Bildungsniveau festzulegen, sondern wirkt auch faktisch so. Ebenso ist das System im Hinblick auf den Zugang zu höherer Bildung wenig durchlässig. Nicht traditionelle Hochschulzugänge bewegens ich in Österreichs eit vielen Jahren lediglich im einstelligen Prozentbereich. Hinzu kommen, ebenso bekannt, enorme Hürden bei der Anerkennung von aus dem Ausland mitgebrachten Abschlüssen. Die neue deutsche Regierung hat übrigens die Verbesserung genau dieser letztgenannten Problemstellung in ihrenKoalit ions vertrag aufgenommen. Wir sollten hier dringend nachziehen!
Gleichzeitig verfügt Österreich – auch im internationalen Vergleich – im Rahmen der Erwachsenenbildung übe reinige erprobte Instrumente und innovative Ansätze. Dazu gehören Angebote des sogenannten zweiten Bildungsweges, vor allem die Studienb er echtigungs beziehungsweise Berufsreife prüfung( inklusive des Programms Lehre mitMatura)od er das Programm Initiative Erwachsenenbildung (IEB). Die durch Bund, Länder und EU (ESF) geförderte IEB ermöglicht seit zehn Jahren kostenlose und qualitätsge sicherte Lehrgänge für Personen mit Basisbildungsbedarf oder ohne Pflichtschulabschluss.
Die Erfolge sind hier durchaus beeindruckend: Menschen, die über die Studienberechtigungs- beziehungsweise Berufsreifeprüfung ihr Studium aufnehmen, sind von jeher in der Gruppe der am schnellsten Studierenden besonders stark vertreten. Ebenso liegen die Erfolgsquoten bei den Kursen zur Absolvierung des Pflichtschulabschlusses beispielsweise an den Wiener Volkshochschulen bei 80 bis 90 Prozent. Das galt übrigens auch für die letzten beiden Jahre; trotz Pandemie!
Strukturelle Mängel
Nichtsdestoweniger existieren hier aus Perspektive der Erwachsenenbildung weiter strukturelle Herausforderungen. Eine bereits sehr eng definierte Bedarfsschätzung umfasst österreichweit rund 240.000 Personen für die Basisbildung und rund 340.000 Personen für den Pflichtschulabschluss. Die Bedarfsdeckung in der Basisbildung liegt aber hochgerechnet bei den kostenlosen Angeboten der IEB bei maximal 28 Prozent, beim Pflichtschulabschluss sogar bei nur acht Prozent. Hinzu kommen, trotz aller Bemühungen der unmittelbar Verantwortlichen, regelmäßig Lücken in der Finanzierung. Gesicherte Budgets für die Träger, massiver Ausbau durch Bund und Länder und nicht zuletzt eine professionelle, breitflächig getragene Werbekampagne wären hier das Gebot der Stunde.
Angebote der Studienberechtigungund Berufsreifeprüfung sind demgegenüber grundsätzlich kostenpflichtig (Ausnahme: Lehre mit Matura). Die individuellen Fördermöglichkeiten auf Landesebene stellen sich unterschiedlich und zum Teil auch unübersichtlich dar. Auch hier wäre ein flächendeckendes und kostenloses Angebot ein logischer nächster Schritt.
Abschließend lohnt einmal mehr der Blick ins deutsche Koalitionspapier. In diesem wird die Auf- und Ausrüstung der Erwachsenenbildung explizit mit der Digitalisierungsstrategie des Bundes verknüpft. Nicht zuletzt das verzweigte Netz der Volkshochschulen und deren niederschwelliger Zugang sollen hier speziell unterstützt werden, um wirklich alle Teile der Bevölkerung für die kommenden Herausforderungen zu rüsten.
Mobile Volkshochschule
Auch durch die österreichische Erwachsenenbildung wurden in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen gesetzt. Das gilt auch für die Digitalisierung von Bildungsangeboten selbst, aber nicht nur (nicht zuletzt die oben genannten Bereiche waren übrigens während der Lockdowns durchgängig im Betrieb). Ebenso wurden aufsuchende und beratende Formate entwickelt. So tourt etwa durch Kärnten ein VHS-Mobil, ein mobiler, kleiner Seminarraum, der an Orten ohne weitere Infrastruktur digitale Coachings anbietet.
Innovations- und Interventionspotenzial ist im Hinblick auf das lebenslange Lernen somit ausreichend vorhanden und wird von den Lernenden auch angenommen. Es muss aber ebenso von den politisch Verantwortlichen genutzt, also letztlich auch finanziert werden.
JOHN EVERS (Jahrgang 1970) ist Geschäftsbereichsleiter der „Initiative Erwachsenenbildung“(IEB) an den Wiener Volkshochschulen und hat sein Diplomund Doktoratsstudium mit Auszeichnung über den zweiten Bildungsweg abgeschlossen.