Der Standard

19./20. November

Wien (60 Jahre) S. E. „Sie hat gesagt, sie will ihre Enkerln erleben“

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Das mit dem Kopftuch war so eine Sache für S. Erst trug sie es, dann wieder nicht, doch stets deshalb, weil sie es wollte – und meist genau das Gegenteil von dem, was die anderen von ihr wollten.

Als sie noch jung war, so erzählte sie später ihren beiden mittlerwei­le erwachsene­n Kindern, da habe sie es getragen, nachdem sie aus dem Iran nach Österreich kam. „Das hatte etwas Antiimperi­alistische­s für sie“, beschreibt es ihr Sohn heute. Vor den Eltern versteckte sie das Kopftuch unter der Matratze, die seien dagegen gewesen, dass sie es trug.

Später, als Erwachsene, da besetzte S. im Zuge der iranischen Revolution die Botschaft in Österreich – und dann fing sie an, dort zu arbeiten. Da ereignete sich jener Moment, an dem sie sich dazu entschiede­n haben soll, das Kopftuch abzunehmen.

Nach der Revolution, so erzählt die Tochter von S. heute nach, „da gab es einen Vorfall in der Botschaft: Eine Frau trug kein Kopftuch, darum wollte der Botschafte­r nicht mit ihr sprechen. Dann hat meine Mutter ihr eigenes Kopftuch abgelegt und es der Frau gegeben. Seitdem hat sie kein Kopftuch mehr getragen – aus Solidaritä­t der Frau gegenüber.“

Als durch und durch politisch beschreibe­n die beiden erwachsene­n Kinder ihre Mutter, als sie dem STANDARD von ihr erzählen: zum Beispiel als glühenden Johanna-Dohnal-Fan. Nachdem die Frauenmini­sterin 1995 aus der österreich­ischen Regierung entlassen worden sei, da habe die Mutter vor dem Fernseher geweint, erinnern sich die Kinder. Und auch im Alter hörte das Engagement nicht auf: Bei Fridays for Future sei sie mitmarschi­ert, erzählt der Sohn, und: „Sie war auch immer am Start, wenn Kinder abgeschobe­n wurden.“Geflüchtet­e und vor allem geflüchtet­e Frauen bei sich zu Hause aufzunehme­n, das sei selbstvers­tändlich gewesen für S.

Abseits des Politische­n spielten Kinder eine große Rolle in S. Leben. Einerseits freilich die eigenen, anderersei­ts freute sie sich auf Enkel. „Sie hat immer gesagt, sie will so lange leben, bis wir eigene Kinder haben“, sagt der Sohn heute – ein Enkerl hat sie erlebt. Dazu kam bis zuletzt, bevor sie während der Pandemie in Pension ging, der Job, den S. nach der Botschaft angenommen hatte: Sie arbeitete in einem Kindergart­en, erst als Helferin, dann als Pädagogin. Einige der Kinder seien Mitte Dezember auch zur Beerdigung gekommen, erzählt der Sohn. Sie wollen nun einen Gedenkbaum für S. pflanzen. Der Tatverdäch­tige, ihr Partner, wurde noch nicht gefasst.

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