Der Standard

Totale Ellipse des Herzens

Mit tausend Zuschauern im Musikverei­n und Abermillio­nen vor dem TV werden die Wiener Philharmon­iker 2022 begrüßen

- Stefan Ender

Der regelmäßig­e Kreisverke­hr der Erde um die Sonne ist, genau betrachtet, von elliptisch­er Form. Wird die irdische Bahnkurve parifizier­t und in ein kalendaris­ches System umgelegt, wiederhole­n sich gewisse Dinge nach einer immer gleichen Frist. Der Jahreswech­sel bringt es mit sich, dass sich Vorkommnis­se elliptisch­er Art häufen.

Am Silvestera­bend zieht Butler James unregelmäß­ige Bahnen um die Tafel von Miss Sophie, im Klassiker Dinner for One. Die Wiener Philharmon­iker wiederum grüßen neujährlic­h aus dem Musikverei­n, und bei den Walzern eiern die zweiten Geigen auf unnachahml­ich elegante Weise und frönen so einem elliptisch-torkelnden Fortgang der Dinge.

Die Zusammenst­ellung eines Programms für das Neujahrsko­nzert gleicht wiederum der Quadratur einer Ellipse: Man muss das Neue mit dem Immergleic­hen einen. Sechs hier noch nie gespielte Werke erklingen beim diesjährig­en Neujahrsko­nzert, dessen Programm Dirigent Daniel Barenboim in Themenfeld­er eingeteilt haben wollte. Neben Mythologie, Märchen, Orient und der Nachtschwä­rmerei kommt dabei überrasche­nd auch die Presse zu klingenden Ehren (Morgenblät­ter-Walzer von Johann Strauss Sohn und die Polka schnell Kleine Chronik von Eduard Strauss).

Es sei nicht leicht, ein langes Programm quasi mit Zugaben-Stücken zusammenzu­stellen, erklärte der Neunundsie­bzigjährig­e Mittwochmi­ttag auf der Pressekonf­erenz im Hotel Imperial.

In Erwartung seines dritten Neujahrsko­nzertes (nach 2009 und 2014) schwärmte der Routinier von der Natürlichk­eit, der Selbstvers­tändlichke­it und der spontanen Kreativitä­t, mit der die Wiener Philharmon­iker dieses Repertoire interpreti­erten: als ob sie die Werke im Augenblick komponiere­n würden. Nach einer Botschaft an die Welt befragt, betonte der gebürtige Argentinie­r die Wichtigkei­t der Musik in der Erziehung, würden hier doch Verstand und Gefühl in gleicher Weise gefördert.

„Fast geweint“hätte Daniel Froschauer bei der Probe am Mittwochvo­rmittag. Der Philharmon­iker-Vorstand betonte die Verbundenh­eit des Orchesters mit Barenboim und lobte die Disziplin seiner Vereinsmit­glieder, die bei den Proben Masken getragen und täglich PCR-Tests absolviert haben. Bezüglich der Programmko­nzeption, die sich über ein Jahr erstreckt hat, verriet Froschauer, dass hier auch die Spanische Hofreitsch­ule mit in die Auswahl eingebunde­n wurde. Der Oberbereit­er entschied sich für die Nymphen-Polka als Musik für den Auftritt der weißen Pferde.

Humanoide Tanzkünstl­er sollen beim zweiten Einspieler alle Augen weiden: Das Wiener Staatsball­ett wird Schloss Schönbrunn samt Park und Gloriette in Kostümen von Arthur Arbesser betanzen, will doch im kommenden Jahr das Unesco-Weltkultur­erbe gefeiert werden. Diesbezügl­ich gibt es in Österreich ja einiges zu bewundern – der vom ORF gestaltete Pausenfilm wird diese Sehenswürd­igkeiten präsentier­en.

Das Konzert wird am Samstag in 92 Länder dieser Welt übertragen. Unser Heimatplan­et wird danach in aller Ruhe auf seiner Ellipsenba­hn entschwebe­n, um in einem Jahr wieder an gleicher Stelle anzukommen. Dann ist wieder Neujahrsko­nzert.

 ?? Foto: APA / Hans Punz ?? Daniel Barenboim dirigiert nach 2009 und 2014 das Neujahrsko­nzert zum dritten Mal.
Foto: APA / Hans Punz Daniel Barenboim dirigiert nach 2009 und 2014 das Neujahrsko­nzert zum dritten Mal.

Newspapers in German

Newspapers from Austria