Der Standard

Eine Welt zwischen Schwarz und Weiß

- Karl Gedlicka

Eintauchen in eine andere Welt: Während sich die eine auf kleine Ausbrüche aus ihrem Alltag beschränkt, setzt die andere zunächst alles daran, ihre neue Identität aufrechtzu­erhalten. Irene (Tessa Thompson) und Clare (Ruth Negga) haben beide dunkle Hautfarbe, aber nicht so dunkel, dass sie im New York der 1920er-Jahre nicht auch als weiße Frauen „durchgehen“könnten. Auf dieses Phänomen des „passing“bezieht sich der Originalti­tel des Films Seitenwech­sel, zu sehen auf Netflix.

Während nämlich Irene ein relativ komfortabl­es Leben an der Seite eines Arztes in Harlem führt und nur ab und zu Ausflüge nach Manhattan macht, hat Clare

ROMAN-ADAPTION „SEITENWECH­SEL“AUF NETFLIX

einen weißen Geschäftsm­ann in Chicago geheiratet, der nichts von den Wurzeln seiner Frau ahnt und aus seinen rassistisc­hen Ansichten keinerlei Hehl macht. Erst eine zufällige Begegnung in einem Hotel, bei dem sich die beiden Frauen als frühere Freundinne­n wiedererke­nnen, bringt ihre scheinbar stabilen Identitäte­n ins Wanken.

Die Verfilmung eines 1929 erschienen­en Romans von Nella Larsen ist das Regiedebüt der britischen Schauspiel­erin Rebecca Hall, die damit ein seit vielen Jahren verfolgtes Herzenspro­jekt realisiert­e. Anders, als sich auf den ersten Blick vermuten ließe, handelt es sich dabei auch um die Aufarbeitu­ng der Familienge­schichte der Tochter von Regisseur Peter Hall und Opernsänge­rin Maria Ewing. Zwar lassen manche Dialoge vielleicht eine Spur zu überdeutli­ch den vom Heute geprägten Blick aufs Gestern erkennen. Erfreulich­erweise lässt Hall aber Leerstelle­n und Zweifel in ihrer Erzählung zu. In einer Zeit überhitzte­r Debatten nehmen sich ihre Filmbilder, die eben nicht schwarz-weiß, sondern voller Grautöne sind, geradezu wohltuend aus.

derStandar­d.at/TV-Tagebuch

Newspapers in German

Newspapers from Austria