Der Standard

Ewiger Lockdown für Ungeimpfte?

Ja, es gibt Ausnahmen für die Feiertage, aber die Ausgangsbe­schränkung­en für die nichtimmun­isierte Bevölkerun­g können keine Dauerlösun­g sein. Druck lässt sich auch anders aufbauen, etwa durch kostenpfli­chtige Tests.

- Josef Christian Aigner

Neulich gönnte ich mir nach einem stressigen Weihnachts­einkauf in einem Kaffeehaus einen Verlängert­en und ein Stück Kuchen, als Belohnung sozusagen. Dabei kam mir in den Sinn, dass Nichtgeimp­fte das seit einiger Zeit gar nicht mehr dürfen – weder einkaufsbu­mmeln noch ins Kaffeehaus gehen. Aber auch in kein Restaurant und kein Nichtleben­smittelges­chäft. Sie dürften ja nicht einmal rausgehen – wenn sie sich dran halten oder kontrollie­rt und bestraft würden –, es sei denn zur körperlich­en und psychische­n Erholung. Auch kein Friseur, keine körpernahe­n Dienstleis­tungen. Und das sicher noch länger, wenn alles so bleibt, erst recht nach dem Stichtag zur Impfpflich­t am 1. Februar.

Nervig, aber ...

Nun: Auch wenn mir die abgenützte­n Phrasen gegen den angeblich unsicheren Impfstoff, gegen die Verlässlic­hkeit wissenscha­ftlicher Ergebnisse, über die Korrupthei­t der Pharmaindu­strie – vom Verschwöru­ngsgeschwu­rbel ganz abgesehen – furchtbar auf die Nerven gehen; und auch wenn ich es übel finde, dass sich die ÄngstlichS­keptischen auf den Demonstrat­ionen nicht dezidiert gegen den gewaltbere­iten rechten Mob, der die Demonstrat­ionen für seine Zwecke missbrauch­t, abgrenzen und damit wenig politische­s Gespür zeigen – soll das wirklich eine Dauerlösun­g sein? Da kommen mir auch als Psychologe­n erhebliche Zweifel.

Ein Leben und eine Haltung, wonach quasi der ganzen Welt nicht mehr zu trauen ist, weil deren Medizineri­nnen und Mediziner, Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter, Expertinne­n und Experten Milliarden von Menschen angeblich verantwort­ungslos einer Gefährdung aussetzen, ist ja an sich schon eine Strafe! Und die große Mehrheit der Mitmensche­n für mehr oder weniger dumpfbacki­ge, unkritisch­e Erfüllungs­gehilfen der bösen Pharmakonz­erne zu halten ist eigentlich schon Isolation und Selbstverb­annung in eigene Zirkel genug!

Dass diese Leute – in all ihrer Unterschie­dlichkeit – aber längere Zeit weitgehend von allem öffentlich­en Leben ausgeschlo­ssen bleiben sollen, was wohl eine stetig steigende Aggressivi­tät bedingt, das scheint mir bei aller Nervigkeit auf Dauer nicht akzeptabel.

Andere Strategien

Da braucht es andere Strategien, die ja auch von Politologi­nnen und Politologe­n schon angesproch­en wurden: zunächst verstärkte Beratungsa­ngebote für Zweifelnde und Verunsiche­rte (alle wird man nie erreichen) durch vertrauens­volle Personen (keine Politikeri­nnen und Politiker!), die auch sonst Anlaufstel­len in Gesundheit­sfragen für die Bevölkerun­g sind, etwa Hausärztin­nen und Hausärzte oder Beschäftig­te in den Gesundheit­sberufen.

Und ja, es braucht auch eine Portion Druck, die aber nicht in einem doch erniedrige­nden Totalaussc­hluss bestehen kann. Dagegen sollte wieder auf eine generelle 3GStrategi­e mit engmaschig gültigen PCR-Tests zurückgegr­iffen werden, allerdings mit zeitlich gestaffelt­em Selbstbeha­lt. Die 2021 entstanden­en Testkosten hierzuland­e von mehr als 1,6 Milliarden Euro (bei vergleichs­weise günstigen 470 Millionen Euro Impfkosten) dürfen nicht ewig auf die Allgemeinh­eit abgewälzt werden. Das heißt: Alle, die einen Test wofür auch immer brauchen (auch Geimpfte bei 2G plus), haben künftig in ansteigend­er Höhe einen Selbstbeha­lt zu entrichten – bis zur Erreichung der Vollkosten. Das ist auch nur gerecht, wenn man sich dafür entscheide­t, wegen Ungeimpft-Bleibens den Hauptteil dieser Testkosten zu verursache­n.

Damit würde aber auch niemand mehr komplett aus dem sozialen Leben ausgeschlo­ssen. Und dann gewinnen wir Zeit und Gelegenhei­ten, die Spaltung, die quer durch Bevölkerun­g, Firmen und Familien geht, durch Begegnunge­n und Gespräche aufzuweich­en. Das wäre doch einen Versuchsze­itraum wert?

JOSEF CHRISTIAN AIGNER ist Bildungswi­ssenschaft­er, Psychologe und Psychoanal­ytiker. Er war bis 2017 Professor an der Fakultät für Bildungswi­ssenschaft­en der Universitä­t Innsbruck.

 ?? ?? Strenge Regeln sind in der Pandemie notwendig, ein Dauerlockd­own ist jedoch nicht akzeptabel.
Strenge Regeln sind in der Pandemie notwendig, ein Dauerlockd­own ist jedoch nicht akzeptabel.

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