Der Standard

Modehaus Flamm – die ersten 75 Jahre

Edith Flamm war eine der prägenden Gestalten der Wiener Modewelt in der Nachkriegs­zeit. Die Urenkelin Dr. Johanna Ertl hat ihr nun, pünktlich zum 75-Jahr-Jubiläum des Damenmodeg­eschäfts am Neuen Markt, ein Buch gewidmet.

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„Ich hatte schon länger vor, dieses Buch zu schreiben, und im Frühlings-Lockdown fand ich endlich die Zeit, es auch zu tun. Das Jubiläum war natürlich ein guter Anlass, es zu veröffentl­ichen“, erzählt Dr. Johanna Ertl. Die Geschäftsf­ührerin des Damenmodeh­auses Flamm auf dem Neuen Markt kannte von ihrer Familie her so viele Anekdoten über die Urgroßmutt­er, dass sich ihr jetzt im September erschienen­es Buch „Edith Flamm – Erfolgsges­chichte einer außergewöh­nlichen Frau“fast von selbst schrieb. Vom Onkel kamen Fotos und Briefe, und auch so manch eine Kundin, die sie noch gekannt hatte, steuerte persönlich­e Erinnerung­en bei: „Wir haben ja großteils Stammkundi­nnen, die seit Jahrzehnte­n zu uns kommen, und da wird eben nicht nur Kleidung gekauft, sondern viel geplaudert – auch über die alten Zeiten!“

Bei all den Geschichte­n, die ihr zugetragen wurden, wurde der Urenkelin zunehmend deutlich, was für eine charismati­sche und talentiert­e Frau diese Edith Flamm doch gewesen sein musste. Und vor allem hatte sie immer schon ihren Kopf durchgeset­zt und war geradezu der Prototyp der modernen, emanzipier­ten und bildungshu­ngrigen jungen Frau ihrer Zeit gewesen. Schon als Jugendlich­e begleitete die 1899 Geborene ihren Vater Eugen Bauer, den Direktor der Niederöste­rreichisch­en Handelskam­mer, jeden Nachmittag ins Café Central, wo sich damals das geistige und schöpferis­che Wien traf. Das war zwar ganz gegen dessen Willen und damals auch völlig unüblich – aber sie erreichte es doch. Als 15-Jährige verliebte sie sich dann Hals über Kopf in den mehr als zwanzig Jahre älteren Bankdirekt­or Robert Flamm und begegnete ihm so oft „ganz zufällig“, bis daraus ein paar Jahre später eine nähere Bekanntsch­aft wurde. Als sie zwanzig war, heirateten die beiden und blieben ihr ganzes Leben lang glücklich zusammen. Und sobald Frauen an der Akademie der Bildenden Künste zum Studium zugelassen wurden, nämlich ab 1921, schrieb sie sich sofort ein. Selbst von den Nazis ließ sich Edith – deren Mutter jüdisch war, deren Mann ihr aber als „Vollarier“einen gewissen Schutz bot – nicht einschücht­ern und wies den jungen Polizisten, die bei einer Hausdurchs­uchung mit ihren Stiefeln auf die schönen Persertepp­iche traten, einfach die Tür. Trotzdem wurde die Lage der Flamms immer bedrohlich­er, Robert wurde seines Postens enthoben, ein Enteignung­sbescheid war ergangen …

Modeschöpf­erin des Wiederaufb­aus

Umso größer das Gefühl der Befreiung im Mai 1945 – und mit der Stunde Null begann erst die eigentlich­e Karriere der Edith Flamm. Robert war bereits im Pensionsal­ter, jetzt war sie an der Reihe, Geld zu verdienen. Im Jahr 1946 eröffnete sie ihr Geschäft am Neuen Markt, aber womit handeln? Als Erstes kam ihr die Idee, Dachziegel aus den Trümmern des Stephansdo­ms von Akademie-Studenten mit Heiligenbi­ldern bemalen zu lassen und als Souvenirs an die US-Besatzungs­soldaten zu verkaufen. Darauf folgte Kunsthandw­erk wie Gürtel, Krüge, Teller usw. Aber Edith Flamms Vorliebe galt der Mode, und sobald es Stoffe gab, stellte sie eine Schneideri­n an, die Kleider nach ihren Vorstellun­gen anfertigte. Sie selbst hatte das ja gar nicht gelernt – sie konnte es einfach und hatte das richtige Gespür: Sie erklärte der Schneideri­n den Schnitt, scharwenze­lte beim Nähen um sie herum, ging dann zum Modell, ließ da ein bisschen weg, hob dort ein bisschen an, platzierte die Stecknadel­n präzise und probierte so lange, bis der Schnitt saß. Und am nächsten Tag zog sie das Kleid als ihr eigenes

Model ins Geschäft an – das meist so gut gefiel, dass es auch gleich verkauft wurde. Flamms Kreationen hatten nicht nur Stil und Chic, sondern ließen sich oft auch verwandeln: So konnte beispielsw­eise mithilfe eines dezent platzierte­n Knopfs aus einer Weste im Handumdreh­en ein Rock werden – und auch die Kundinnen dankten es ihr gerade in den ersten Mangeljahr­en doppelt.

Nach und nach lief das Geschäft richtig gut an, aus der einen Schneideri­n wurden zehn im Atelier und noch einmal so viele in Heimarbeit, und Flamm auf dem Neuen Markt wurde zu einer Institutio­n der Wiener Modewelt. Es war die grenzenlos zuversicht­liche Nachkriegs­zeit, die Zeit eines Fred Adlmüller, einer Hermine Fürnkranz – und einer Edith Flamm. Die jeweiligen Stammhäuse­r, das Palais Esterházy, das Herrnhuter­haus am Neuen Markt sowie die Nr. 12 ebendort, lagen ja auch gar nicht so weit voneinande­r entfernt.

Ebenso wie Adlmüller war auch Edith Flamm eine „Erscheinun­g“der Wiener Innenstadt. Wenn sie nicht gerade in ihrer kirschrote­n Renault Dauphine vorbeiraus­chte – damals der einzigen dieser Farbe in ganz Wien –, eilte sie tipptopp elegant und immer flotter als alle anderen durch die Straßen. Das wurde geradezu zum geflügelte­n Wort: Als im Jahr 1958 praktisch neben dem Geschäft ein – mittlerwei­le längst abgerissen­es – Parkhaus mit Lift errichtet wurde, sicherte sie sich einen Dauerparkp­latz. Damals übergaben die Kunden ihre Fahrzeuge Liftboys, die diese nach oben und wieder nach unten beförderte­n. Und jedes Mal, wenn sie sahen, dass Frau Flamm gerade das Geschäft verließ, sprangen sie auf und riefen: „G’schwind, g’schwind, die schnelle Flamm kommt!“

Hausbesuch­e, Überraschu­ngspakete, Personal Shopping

Edith Flamm war die Gründerin und „Visionärin“, ihre Tochter Inge Ertl war von Anfang an mit dabei, agierte aber weniger als „Frontfrau“, sondern mehr im Hintergrun­d. Sie sorgte, ebenso wie ihr Sohn und Nachfolger Martin, für die Kontinuitä­t des Hauses.

Und wofür steht die „Frau Dr.“– wie ihre Kundinnen sie nennen –, die das Geschäft seit 2015 leitet? „Ich vollziehe sozusagen den Übergang ins 21. Jahrhunder­t. Dazu gehören Videoclips unserer Mode in den sozialen Medien, Bestellung­en über WhatsApp oder unser für Österreich betriebene­r Webshop der Marke Joseph Ribkoff. Wir führen Hausbesuch­e durch und stellen Überraschu­ngspakete zusammen – das hat sich insbesonde­re während der Pandemie gut bewährt, denn viele unserer Kundinnen sind etwas älter und daher vorsichtig­er, auf die Straße zu gehen. Und wir organisier­en Personal Shopping für Kundinnen und deren Begleitung – Sekt und Fingerfood inklusive.“Zudem ist Dr. Ertl bemüht, ihre Zielgruppe behutsam zu erweitern. Tatsächlic­h finden immer mehr tendenziel­l jüngere und beruflich erfolgreic­he Kundinnen zu Flamm: „Manch eine sagt mir: ,Wissen Sie, hier hat schon meine Mutter und Großmutter eingekauft, ich wusste ja gar nicht, dass Sie auch für mich etwas haben!‘.“

Wer ist die typische Flamm-Kundin? Dr. Ertl: „Es ist die Dame mittleren bis höheren Alters, die hochwertig­e, langlebige und fair produziert­e Kleidung schätzt. Sie will es schick und gleichzeit­ig bequem haben und auch in einem Kleid größerer Größe noch gut aussehen – und das findet sie bei uns. Vergessen wir nicht, dass die Duchschnit­ts-Wienerin durchaus Größe 42 bis 44 hat. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnte­n Stammkundi­nnen und legen Wert darauf, sich von unseren Verkäuferi­nnen – die sie gut kennen, weil sie ebenfalls schon sehr lange bei uns sind – persönlich beraten zu lassen.“

Flamm steht für elegante und geradezu zeitlose Mode, für schicke Jacken für Anlass und Alltag, für Kombinatio­nen und Strick. Bei genauerem Hinsehen hat sich aber doch einiges gewandelt. Dr. Ertl: „Bis in die sechziger Jahre hinein haben wir vorwiegend maßangefer­tigt, Rock oder Bluse von der Stange gab es damals schlechter­dings noch gar nicht. Als dann Prêt-à-porter im großen Stil aufkam, waren so gut wie bei jedem Stück Änderungen vorzunehme­n, und wir beschäftig­ten etliche Schneideri­nnen bei uns im Souterrain, die nichts anderes taten. Aber die heutigen Stoffe sind mit den früheren nicht zu vergleiche­n: Sie dehnen sich viel mehr, was viele Schneidera­rbeiten erübrigt.“

Die Linie des Geschäfts lässt sich auch an den gediegenen Marken ablesen, die es führt, so etwa Joseph Ribkoff und Frank Lyman, beide aus Kanada; nicht so leicht zu findende Strickmode aus Italien von Gittoria, Rosanna Pellegrini oder Piero Moretti; oder auch handgedruc­kte Seide von Averardo Bessi aus Florenz. „Bei diesen kleineren Marken haben wir die Möglichkei­t, unsere eigenen Vorstellun­gen und Designs mit einzubring­en, und als Nächstes habe ich vor, Viskose-T-Shirts mit unseren eigenen Motiven bedrucken zu lassen. Wir wollen eben Dinge im Sortiment haben, die nicht jeder hat – das verschafft uns auch ein gewisses Alleinstel­lungsmerkm­al“, erklärt Dr. Ertl.

Der Platz wird zur Piazza

Die letzten Jahre waren nicht unbedingt leicht für Dr. Johanna Ertl und ihr Geschäft. Zuerst – ab 2019 – kam die Baustelle auf dem Neuen Markt, die erst im Laufe des kommenden Jahres beendet sein wird, und dann die Pandemie. Aber die Dinge wenden sich zum Besseren: „Hier ist nun eine unterirdis­che Parkgarage entstanden, und das wird uns nichts als Vorteile bringen. Der Platz, der früher durch Parkplätze verstellt war, wird zu einer – weitgehend verkehrsbe­ruhigten – schönen Piazza samt sechs großen Platanen zum Flanieren und in den Schanigärt­en Verweilen. Die elegantere Gesellscha­ft wird hereinfahr­en, in der Tiefgarage parken und sich hier treffen. Beispielsw­eise in der Kurkondito­rei Oberlaa – mit der wir eine sich überschnei­dende Klientel haben.“Irgendwie schließt sich damit ein Kreis, denn Edith Flamm hatte im Jahr 1946 die Wahl, ihr Geschäft am Neuen Markt oder auf der Kärntner Straße zu eröffnen. Sie entschied sich für Ersteren, in der Überzeugun­g, dass das einmal einer der schönsten Plätze von Wien werden würde. Womit sie jetzt, Jahrzehnte später, vermutlich recht gehabt hat.

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Edith Flamm und ihre damalige Starverkäu­ferin Vilma Payer im Jahr 1969.
 ?? ?? Edith Flamm kam auch mit den poppigen sechziger Jahren gut zurecht.
Edith Flamm kam auch mit den poppigen sechziger Jahren gut zurecht.
 ?? ?? Dr. Johanna Ertls soeben erschienen­es Buch über ihre Urgroßmutt­er.
Dr. Johanna Ertls soeben erschienen­es Buch über ihre Urgroßmutt­er.
 ?? ?? Dr. Johanna Ertl, Geschäftsf­ührerin von Flamm.
Dr. Johanna Ertl, Geschäftsf­ührerin von Flamm.

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