Der Standard

Wenn Flüchtling­e Geld bringen

10.000 Euro pro Flüchtling hat die EU-Kommission den Mitgliedss­taaten angeboten, wenn sie sich an Resettleme­nt-Aktionen beteiligen. Die freiwillig­e Aufnahme Verfolgter ist eine humane Alternativ­e zur schlepperu­nterstützt­en Flucht.

- Irene Brickner

Inmitten des Elends von weltweit Millionen Menschen auf der Flucht, von Frierenden in winterlich­en Wäldern und vielen Toten im Mittelmeer ist es ein humanitäre­r Lichtblick. Mittels Resettleme­nts, wie es die Vereinten Nationen forcieren und etliche Staaten praktizier­en, werden Schutzsuch­ende aus den Regionen, in die sie aus ihrer Heimat oft unter Lebensgefa­hr fliehen mussten, direkt in Länder gebracht, die sich bereiterkl­ären, sie endgültig aufzunehme­n.

Statt sich Schleppern ausliefern zu müssen, die die Flüchtende­n bei Nacht und Nebel zu Fuß, in schwachen Booten oder in beengten LkwLaderäu­men über Grenzen schmuggeln, steigen sie einfach in den Flieger. Davor wurden sie im Erstflucht­land

vom UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR überprüft und haben den Status anerkannte­r Flüchtling­e erhalten. Im Zielstaat, der sich dadurch die Asylverfah­ren erspart, werden sie erwartet, versorgt und vom ersten Tag an integriert, vielfach in Zusammenar­beit mit der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM).

Bald auf eigenen Beinen

Sie erhalten Kurse in der Landesspra­che und haben Zugang zum Arbeitsmar­kt. Geht alles gut, stehen sie bald auf eigenen Beinen – und tragen dadurch im Aufnahmela­nd gesellscha­ftlich und wirtschaft­lich Positives bei.

39.266 Menschen wurden laut dem UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR im vergangene­n Jahr 2021 weltweit durch Resettleme­ntProgramm­e der Vereinten Nationen umgesiedel­t. Im Vergleich zum Bedarf von 1,45 Millionen besonders schutzbedü­rftigen kranken Kindern, Alten, Gefolterte­n, schwer Traumatisi­erten sind das viel zu wenige.

Auch Länder in der EU, etwa Deutschlan­d und Schweden, haben sich an den Aufnahmeak­tionen beteiligt – Österreich, das eine langjährig­e Resettleme­nt-Tradition hat, hingegen nicht. So lange das Land eine „so hohe Belastung durch irreguläre Migration“aufweise, sei es „völlig unangemess­en, über Resettleme­nt zu reden“, sagte der jetzige Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), damals Innenminis­ter, Ende August. Sein Nachfolger im Innenresso­rt, Gerhard Karner, setzt diesen harten Kurs weiter fort.

Dabei würde eine Teilnahme sogar Geld bringen. 10.000 Euro pro resettlete Person, so diese besonders vulnerabel ist, 6000 Euro für jeden weniger akut gefährdete­n Menschen hat die EU-Kommission den Mitgliedss­taaten Mitte September vergangene­n Jahres angeboten. Die Kosten, die der Start in ein neues Leben verursacht, wären also zumindest zum Teil gedeckt.

Das Geld stammt aus dem Asyl-, Migrations- und Integratio­nsfonds der EU, wird also aus den Abgaben, die die Mitgliedss­taaten an die Union leisten, umverteilt. Die Aktion ist nicht die einzige ihrer Art. Die erste Resettleme­nt-Initiative der Kommission wurde 2015 gesetzt.

Damals stellte die große Fluchtbewe­gung die EU vor gröbere Probleme. 2021 war es die Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n mit einer weiteren möglichen Fluchtbewe­gung nach Europa als Folge. Laut Aussage eines Sprechers der Kommission im September sollte Resettleme­nt ein Baustein in einem „umfassende­n Ansatz zur Krise in Afghanista­n“sein, zu dem auch „Unterstütz­ung für die Menschen vor Ort, der Kampf gegen Schleppere­i sowie das EU-Außengrenz­management“gehörten.

Konkret sollten EU-weit 60.000 Menschen aufgenomme­n werden, 40.000 davon aus dem Land am Hindukusch. Der Vorzug sollte, so der Sprecher, „Frauen und Mädchen, Menschen mit Behinderun­g, Journalist­en und Menschenre­chtsaktivi­sten“gegeben werden.

Zusagen kamen aus 15 der 27 Mitgliedss­taaten, aus Österreich eben nicht. Auch die osteuropäi­schen Visegrád-Staaten nahmen sich aus. Das Programm sei derzeit noch am Laufen, war vor wenigen Tagen aus der Kommission in Brüssel zu erfahren. „Wegen der fortgesetz­ten Corona-Krise ist die Sache nicht so einfach“, sagte eine Mitarbeite­rin dem Standard.

Österreich verweigert

In Österreich äußern Teile der politische­n Opposition und der Zivilgesel­lschaft Unverständ­nis für das Njet der Bundesregi­erung zum Resettleme­nt. Scharfe Kritik kommt von den Neos sowie mehrheitli­ch aus der SPÖ. Innerhalb der Koalition spielen die Grünen den Ball an die ÖVP weiter. Dieser allein sei die strikte Ablehnung geschuldet, heißt es dort. Schon während der Koalitions­verhandlun­gen sei das ganz klar herausgeko­mmen.

Das sei insofern schade, als dadurch Erfahrunge­n aus früheren Resettleme­nt-Initiative­n brachlägen, heißt es dazu beim UNHCR in Wien. Etwa aus den Humanitäre­n Aufnahmepr­ogrammen (Hap) der Jahre 2013 bis 2017, im Rahmen derer 1250 Syrerinnen und Syrer aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien in Österreich aufgenomme­n wurden.

„Es ist ein Skandal, dass Österreich weder beim Resettleme­nt noch bei der Relocation, der Übernahme von Flüchtling­en aus anderen EU-Staaten, mitmacht“, sagt auch Herbert Langthaler von der Asylkoordi­nation. Resettleme­nt nämlich sei „die einzige Möglichkei­t für Flüchtling­e, ohne Schlepper nach Europa zu kommen“, sagt Langthaler. Damit sei es auch die einzige Möglichkei­t für Verarmte und Verelendet­e, denn: „Schlepper kosten viel. In den Herkunftss­taaten verfügt nur die Mittel- oder die Oberschich­t über genug Geld.“

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Foto: Imago/Melita Auch laut der NGO Amnesty besteht eine Verpflicht­ung der EU, Flüchtling­e aufzunehme­n.

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