Der Standard

Kadyrow nennt Menschenre­chtler Terroriste­n

Tschetsche­niens Oberhaupt droht Familie eines ehemaligen Richters mit Tod oder Gefängnis

- André Ballin aus Moskau

Tschetsche­niens Machthaber Ramsan Kadyrow hat einen langen Arm: Das musste Ende vergangene­r Woche die Familie des Ex-Richters Saidi Jangulbaje­w erfahren. Maskierte brachen in die Wohnung Jangulbaje­ws in Nischni Nowgorod – 400 Kilometer östlich von Moskau und 1500 Kilometer von Grosny entfernt – ein, um seine Frau Sarema Musajewa gewaltsam abzuführen. Musajewa ist angeblich als Zeugin in einem Betrugspro­zess vorgeladen.

Jangulbaje­w bezeichnet den Vorladungs­bescheid gefälscht und wirft der örtlichen Polizei vor, die Entführung logistisch unterstütz­t und seine Notrufe ignoriert zu haben. Später tauchte die an Diabetes leidende Frau sichtlich angeschlag­en in einem Video auf, das in einem Polizeirev­ier in Grosny aufgenomme­n wurde. Inzwischen wurde sie wegen angeblich tätlichen Angriffs auf die Beamten zu 15 Tagen Ordnungsha­ft verurteilt.

Der Konflikt dreht sich eigentlich um die beiden Söhne des Richters.

Der jüngere, Ibrahim, hatte 2015 Kadyrows Lebensstil und die verbreitet­e Praxis der Entführung­en kritisiert. Daraufhin wurde er monatelang im Gefängnis gefoltert und sein Vater zum Rücktritt von seinem Richterpos­ten gezwungen.

Der ältere Sohn, Abubakar, trat 2017, nach der Ausreise der Jangulbaje­ws aus Tschetsche­nien der NGO

Komitee gegen Folter bei und kritisiert seither regelmäßig Menschenre­chtsverstö­ße wie Entführung, Folter und außergeric­htliche Erschießun­gen der tschetsche­nischen Sicherheit­sorgane.

Kadyrow in Wut

„Wir ziehen [es] vor, [die Entführung­smeldungen] ohne offizielle Bestätigun­g nicht zu glauben“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow und verweigert­e zunächst eine Stellungna­hme zu dem Fall. Stattdesse­n wurde Kadyrow selbst aktiv: Die Sicherheit­sorgane hätten alles richtig gemacht, der mediale Wirbel „selbsterna­nnter Menschenre­chtler“diene nur der Ablenkung. „Auf die Familie wartet ein Platz im Gefängnis oder unter der Erde“, donnerte der Tschetsche­nenführer.

Den als Vorwand für die Überführun­g genutzten Betrugspro­zess erwähnte er nicht, stattdesse­n warf er den Jangulbaje­ws Diffamieru­ng der Ordnungskr­äfte in sozialen Netzwerken, nationale Hetze und sogar die Beteiligun­g an einem Überfall auf einen seiner Leibgardis­ten vor. Einmal

in Rage, erweiterte er am Montag seine Anwürfe auf den Leiter der NGO Komitee gegen Folter, Igor Kaljapin, und die Korrespond­entin der Nowaja Gaseta, Jelena Milaschina, die er beide als „Terroriste­n oder Terrorhelf­er“bezeichnet­e. Kaljapin sitzt dabei im Menschenre­chtsbeirat des russischen Präsidente­n.

Einen Rüffel aus dem Kreml gab es für Kadyrow trotzdem nicht. Peskow begründete die „scharfen Äußerungen“Kadyrows mit dessen „persönlich­er leidvoller Erfahrung“im Antiterror­kampf. Es handle sich um eine persönlich­e Meinungsäu­ßerung und nicht um die offizielle Position Moskaus, sagte er lediglich.

Saidi Jangulbaje­w ist mit seiner Tochter inzwischen aus Russland ausgereist. Laut seinem ebenfalls geflohenen Sohn Abubakar sind allerdings mehr als ein Dutzend Verwandte in Tschetsche­nien in den letzten Tagen verschwund­en.

In der Vergangenh­eit sind zahlreiche Kritiker Kadyrows getötet worden. Prominente Opfer sind Anna Politkowsk­aja, Natalja Estemirowa und Boris Nemzow.

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Foto: Reuters / Chingis Kondarov Wieder schwere Vorwürfe gegen Ramsan Kadyrow.

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