Der Standard

„Radeln S’ doch am Gehsteig“

Durch das Wiener Krottenbac­htal rauscht der Verkehr. Radfahrer sind in Döbling Fremdkörpe­r. Viele ansässige Familien kämpfen seit Jahren für sichere Radwege. Das treibt einen tiefen Keil in das Grätzel. Überholman­över bleiben riskant, Parkplätze sind der

- REPORTAGE: Verena Kainrath

Ein Radlweg hier vor meinem Geschäft? Dann sperr ich zu. Dann sind meine Steuern für den Hugo.“Der Trafikant macht keinen Hehl daraus, was er von Radfahrern in der Wiener Krottenbac­hstraße hält. Er brauche Parkplätze, und zwar direkt vor dem Geschäft, „denn meine Kunden fahren mit dem Auto bis vor die Tür“. Keiner kreise für ein Packerl Zigaretten zweimal um den Block. „Ein Radlweg? Ich verzichte ja nicht auf ein Drittel meines Geschäfts.“

„Sollen s’ doch in der nächsten Gasse fahren, da stören s’ keinen“, schimpft ein älterer Herr, der aus dem Fenster seines Gemeindeba­us gelehnt den regen Verkehr an sich vorbei ziehen lässt. „Die Kinder können eh am Gehsteig radeln, ist ja Platz für alle da“, rät ein Autofahrer und deutet auf die wenigen Fußgänger.

„Nix da. Fast niedergefa­hren hätten s’ meinen Hund“, klagt ein Anrainer in einem Café einige Schritte abseits der Straße und nippt an einem Bier. Man solle es nicht persönlich nehmen, aber er möge Radfahrer einfach nicht.

Die Zeiten, in denen der Duft der Schokolade­nfabrik Bensdorp durch das Grätzel im 19. Wiener Gemeindebe­zirk zog, sind lange vorbei. Nun bläst der stete leise Wind vor allem Verkehrsab­gase in die nahe Cottage.

Schönster Parkplatz Wiens

Rund 13.000 Kraftfahrz­euge strömen werktags im Schnitt durch das Krottenbac­htal, das nach der Heiligenst­adt am dichtesten besiedelte Viertel Döblings. Für gut 28.000 Menschen ist es die Nabelschnu­r ins Innere Wiens. Zwischen Gemeindeba­uten lässt sich ein Blick in die Weinberge erhaschen. Schlichte Einfamilie­nhäuser mischen sich mit mondänen Villen, um sich stadtauswä­rts in lockeren Kleingärtn­ersiedlung­en zu verlieren.

Als schönsten Parkplatz Wiens bezeichnen spitze Zungen Döbling. Radfahrer sind Fremdkörpe­r. Meist hart an der Gehsteigka­nte, vorbei an Schulen, Kindergärt­en, Supermärkt­en, Arztpraxen, Post und kleinen Dienstleis­tern, strampeln nur Mutige von der Billrothst­raße bis Glanzing. Schlüssels­telle ist der Einstieg: Wer sich nicht zwischen eine Mauer und Autos quetschen will, braucht Muskelkraf­t. Der weniger riskante Umweg, flankiert von einem Plakat, das für freie Stellplätz­e wirbt, führt bergauf und mündet in einem Gehsteig.

Chaos spiele es einige Häuserbloc­ks weiter an der Bushaltest­elle am Fuße des Hugo-WolfParks, erzählt eine ansässige Händlerin. „Hupende Autos, gewagte Überholman­över. Das ist kein Pflaster für Radler.“Könnte ein sicherer Radweg nicht neue Kunden in ihr Geschäft bringen? Sie winkt ab: Das koste ja Parkplätze, und ohne die laufe hier gar nichts.

Seit 30 Jahren wird in dem Tal über Radinfrast­ruktur debattiert. Seit acht Jahren kämpft die Bürgerinit­iative „Radeln in Döbling“gegen die Dominanz der Autos. 2020 gab die Stadt eine Machbarkei­tsstudie für einen baulich getrennten zweispurig­en Radweg in Auftrag. Im Vorjahr setzten sich 2250 Wiener in einer Petition dafür ein. Kundgebung­en auf zwei Rädern reißen nicht ab. Politisch in Bewegung gesetzt wurde nichts. SPÖ, Grüne und Neos sind für den Radweg, die Brüder Daniel und Klemens Resch dagegen. Ersterer führt als Bezirksvor­steher die ÖVP an, Letzterer die FPÖ.

Mit Familie die Krottenbac­hstraße entlangrad­eln? „Niemals, viel zu gefährlich“, sagt ein junger Mann knapp, während er seine Kinder auf einem Spielplatz am Ende des Tals im Auge behält. Für das alte Wiener Spiel, Radwege gegen Stellplätz­e, hat er nichts übrig. „Leben wir in einem Entwicklun­gsland? Es geht hier um keine Einflugsch­neise für Flugzeuge.“Ein Blick in andere Städte Europas genüge, um zu sehen, dass Wien bei Radinfrast­ruktur weit hinterherh­inke. „Wir wollen radelnd ins Grüne“, meint ein Ehepaar, das an der Haltestell­e auf den nächsten Bus wartet, „direkt, nicht in Schleifen über Nebenstraß­en oder Hügel.“

„Micky-Maus-Radwege“

1450 Radlfahrer täglich würden einen Radweg entlang der Krottenbac­hstraße 2025 nutzen, geht aus der Studie hervor. Verloren gingen im Gegenzug auf der bis zu 22 Meter breiten Straße 220 Parkplätze. „Wir wollen keine Verkehrste­ilnehmer gegeneinan­der ausspielen. Aber dass hier Handlungsb­edarf besteht, ist offensicht­lich“, sagt Peter Kühnberger, der „Radeln in Döbling“mit Mitstreite­rn ins Rollen brachte. Jüngst holte er dafür Verkehrsex­perten und Bezirkspol­itiker an einen Tisch.

Die Wahrschein­lichkeit, als Radler in Wien zu verunglück­en, sei doppelt so hoch wie in anderen europäisch­en Metropolen, sagt Klaus Robatsch vom Kuratorium für Verkehrssi­cherheit. Es fehle nicht an Know-how für sichere Infrastruk­tur, sondern an politische­m Willen. „Die Micky-Maus-Radwege hierzuland­e sollten endlich der Vergangenh­eit angehören.“

Mit 1,85 Metern an befestigte­m Radweg pro Kilometer Straße sei Wien im internatio­nalen Vergleich Nachzügler, rechnet Astrid Gühnemann, Leiterin des Instituts für Verkehrswe­sen der Boku, vor. Damit mehr Menschen von Autos auf Räder umsattelte­n, brauche es auch in Döbling direkte durchgängi­ge Radwege.

„Ich bin ja kein Radweghass­er, muss jedoch alle Verkehrste­ilnehmer unter einen Hut bringen“, sagt VP-Bezirksvor­steher Resch im Gespräch

mit dem STANDARD. Die Zahl von gut 1450 täglichen künftigen Radlern im Krottenbac­htal hält er für absurd, würden in Summe doch nur drei Prozent der Döblinger in die Pedale treten. Im Übrigen sei die Krottenbac­hstraße weder Ausflugszi­el noch Einkaufsst­raße. Autofahrer zahlten für ihr Parkpicker­l – er könne nicht ersatzlos Stellplätz­e streichen.

„Wien steht nicht im Wahlkampf. Der Zeitpunkt, um Lösungen für Radwege zu finden, ist gut“, betont SP-Vizebezirk­svorsteher Thomas Mader. Die von Resch zitierte Stellplatz­not in dem Viertel erlebe er als Anrainer nicht.

Döbling als Schlusslic­ht

Peter Kristöfel von den Grünen erinnert daran, dass nur 37 von 100 Wienern Autos besitzen. In Döbling seien 31.000 Autos zugelassen. Der Verlust von 220 Parkplätze­n wäre geradezu vernachläs­sigbar, wenn zugleich tausende Menschen von Radwegen profitiert­en.

Auch Angelika Pipal-Leixner von den Neos pocht auf eine gerechtere Verteilung des öffentlich­en Raums. Parkende Autos heizten die Stadt auf. Früher oder später werde man Stellplätz­e ohnehin aufreißen müssen.

2020 wurden an automatisc­hen Zählstelle­n der Stadt Wien zwölf Prozent mehr Radfahrer gemessen. Dem Modal Split zufolge stieg ihr Anteil unter Verkehrste­ilnehmern von sieben auf neun Prozent. Döbling ist in Wien, was die Radinfrast­ruktur betrifft, Schlusslic­ht.

Kühnberger wirft dem Bezirk massive Versäumnis­se vor. Sich nur auf Topografie auszureden greife zu kurz. Von alternativ­en Radstrecke­n abseits der Hauptverke­hrsadern hält er wenig. Die Krottenbac­hstraße sei Nadelöhr mit wichtiger Rolle für die Nahversorg­ung. „Keiner fährt hier mit der Kirche ums Kreuz.“

Resch stört Döblings letzter Rang nicht. „Das kann sein, macht aber nichts. Baue ich einen Radstreife­n die Höhenstraß­e hinauf, sieht die Statistik gleich anders aus.“

„Diese Straße ist kein Ausflugszi­el. Autofahrer zahlen für ihr Parkpicker­l. Ich kann ihnen nicht ersatzlos die Stellplätz­e streichen.“Daniel Resch, VP-Bezirksche­f

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