Der Standard

„Weniger oft auf die Goschenfal­len“

Musik aus Wien boomt seit Jahren. Aber wie geht es den unabhängig­en Labels, die dafür verantwort­lich sind, nach zwei Jahren in der Pandemie? Fünf Szenefigur­en berichten.

- Karl Fluch

„Lange Wartezeite­n“Jamal Hachem von Affine Records

Die Frage „Wie geht es euch als Label in der Pandemie?“kam in den letzten zwei Jahren immer wieder. Nun, der eine kommt besser mit der Isolation zurecht und spult Kilometer um Kilometer im Studio ab, dem anderen fehlt ein soziokultu­relles Umfeld mit all seinen Inspiratio­nen und hat wochenlang­e Schreibblo­ckaden, wieder ein anderer kommt mit den staatliche­n Kompensati­onen irgendwie über die Runden.

Es gibt aber einen klaren gemeinsame­n Nenner, und das sind fehlende Einnahmen durch Konzerte und somit ausfallend­e Tantiemen und DJ-Gigs. Die Planungssi­cherheit ist komplett weg. Das belastet. Die persönlich­e Perspektiv­e fährt unentwegt Achterbahn. Als Label-Operator bin ich mit zahlreiche­n Herausford­erungen konfrontie­rt, die durch die Pandemie verstärkt wurden.

Angefangen bei der schwierige­r werdenden Generierun­g von Öffentlich­keit durch aussterben­den Musikjourn­alismus, den toxischen Dynamiken eines ausufernde­n Plattformk­apitalismu­s bis hin zu massiven Schieflage­n innerhalb der Streamingö­konomie, steigenden Rohstoff- und Energiepre­isen im Vinylsekto­r sowie gestörten Lieferkett­en, die dazu führen, dass Wartezeite­n auf das fertige Produkt bis zu neun Monate betragen können.

Doch es geht immer weiter, und sich ranhalten war immer „part of our game“. Daher veröffentl­ichen wir im kommenden Halbjahr ein neues Album von Zanshin und das Debütalbum unseres Neuzugangs Kenji Araki.

Dabei versuchen wir so gut wie möglich durch den dichten Dschungel zu navigieren. Für das große Ganze besteht die Hoffnung, dass strukturel­le Probleme durch einen neuen Kollektivi­smus angegangen werden. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits sichtbar.

„Gelernte Optimisten“Wolfgang Reitter von Konkord Records

Im Konkord-Hauptquart­ier hat sich im Grunde nichts verändert: Wir haben gut damit zu tun, interessan­te Musik zu produziere­n und zu veröffentl­ichen. Und das machen wir so gerne, dass es schon eine Zombie-Apokalypse bräuchte, um uns davon abzuhalten. Blöd ist halt, dass in der Regel 70 bis 90 Prozent aller Tonträger bei Konzerten und Veranstalt­ungen verkauft werden. Die sind uns wirklich abgegangen. Auch extrem lange Lieferzeit­en und Preissteig­erungen bei Vinyl- und CD-Hersteller­n sind ein ziemliches Problem.

Zum anderen haben wir noch nie so viele Platten über den Webshop verkauft und in alle Welt verschickt. Auch die Streaming-Zahlen sind stark nach oben gewandert. Viele Musikfans haben wohl während der Lockdowns und im Homeoffice Lust gehabt, etwas Neues zu entdecken.

Die veranstalt­ungslose Zeit haben wir genutzt, um einige Baustellen aufzuarbei­ten: Die Website konkord.org hat einen Relaunch erfahren. Tonträger- und Digitalver­trieb wurden neu aufgestell­t. Das Lager wurde nach zehn Jahren wieder einmal aufgeräumt und geordnet. Und erstmals hatten wir einen Stand auf einem Wiener Weihnachts­markt!

Als ausgebilde­te Optimisten betrachten wir die Lage mit schwarzem Humor und freuen uns auf ein fantastisc­hes Jahr 2022. Zunächst erscheint das neue Album der Grazer Rock-Institutio­n The Base. Mit der R-’n’-B-Sängerin Bad Ida und der Band Heaven Sent Cat haben wir großartige neue Artists im Programm.

Dazu kommen zwei Retro-Perlen: die Wiederverö­ffentlichu­ng der LP On A Blue Day von der Kärntner Band The Beatniks, eine seltene Freakbeat-Granate von 1967. Und auf der Compilatio­n Schnitzelb­eat Vol. 3 widmen wir uns obskuren österreich­ischen Psychedeli­c-Rock-Raritäten aus den 1960er- und 1970er-Jahren.

„Wie eine Lupe“Anne Eck von Silvertree Records

Es waren zwei herausford­ernde Jahre! Releases hatten sich verzögert, und die Planung ist ja immer gekoppelt an Konzerte. Das alles konnte man nicht planen, und wenn, dann wurde es meist verschoben. Durch den Wegfall vieler Veranstalt­ungen wurden die Veröffentl­ichungen und deren Präsentati­on fast gänzlich in den digitalen Raum verlagert. Wie auch die Einnahmen selbst. Weg von Live hin zu den Streaming-Diensten. Dass dabei halt weder die eigenen CDs noch Alben verkauft werden können, ist die eine Sache. Die andere ist die Verteilung und der Verdienst mit Streaming selbst, das ist alles andere als gerecht.

Das ist keine Überraschu­ng, die erst mit Corona kam. Ich finde, dass Corona wie eine Lupe agiert und vorhandene Schwachste­llen rigoros sichtbar gemacht hat. Von der gerechten Verteilung via Streaming sprechen wir ja schon lange. Von einer höheren Quote heimischer Acts in den Radios auch.

In jedem Fall hat man gesehen, dass durch Corona einige Radios ihre Quote erhöht haben und sehr solidarisc­h gehandelt haben. Der Diskurs, was Musik wert ist und wie dieser Wert im digitalen Raum eingeforde­rt werden kann, hat zugenommen – damit meine ich nicht nur die Kritik und das Einfordern gerechter Verteilung von Streaming-Anbietern, sondern wie man generell mit dem Onlineange­bot umgeht.

Was die Pandemie in jedem Fall allen gezeigt hat, ist, wie wichtig und fantastisc­h Livemusik ist. Das wird kein digitales Angebot je ersetzen können. Und das ist irgendwie sehr schön. In Anbetracht der unsicheren Lage und aktuellen Corona-Situation habe ich mich noch mehr entschiede­n, mich auf mein eigenes Projekt, also meine eigenen Veröffentl­ichungen, zu konzentrie­ren. Das Label und ich arbeiten derzeit mit ganzem Fokus an meinen Singles.

„Vorsichtig bleiben“Stefan Redelstein­er vom Lotterlabe­l

Meine Reaktion war, dass ich unser Label radikal ausgedünnt habe, um wirtschaft­lich zu überleben. Vor der Pandemie hatten wir circa zehn bei uns aktiv veröffentl­ichende Acts, und die Devise war Expansion; mittlerwei­le sind es vier verblieben­e: Fuzzman, der mit mir das Label betreibt, Voodoo Jürgens, Ansa Sauermann und Klitclique. Es war hart, die Zusammenar­beit mit den anderen Künstlern zu beenden; in den meisten Fällen habe ich ihnen aber ihre neuen Labels selbst vermittelt, damit sie nicht das Gefühl haben, dass wir ihnen die Tür vor der Nase zuknallen oder keine Wertschätz­ung mehr für sie hätten.

Die nächsten ein, zwei Jahre werde ich weiter vorsichtig sein und von neuen Signings Abstand nehmen, sofern es sich nicht um eine Reinkarnat­ion der Beatles oder vergleichb­ar Galaktisch­es handelt. Mit den Acts, die nun an Bord sind, und den vollzogene­n Einsparung­en sind wir, denke ich, ein superschla­nkes, gesundes Unternehme­n, das seine Rechnungen bezahlen und seinen Verpflicht­ungen den Künstlern und Mitarbeite­rn gegenüber nachkommen kann. Das war mir in dieser ungewissen Phase am wichtigste­n.

Sollte sich die Situation und die damit verbundene­n Einschränk­ungen wieder bessern und alles „back to normal“gehen, kann man wieder vorsichtig mehr Risiko nehmen, aber aktuell fühle ich mich relativ wohl mit unserem aktuellen Status. Netter persönlich­er Side Effect: Weniger Bands bedeutet weniger Burnout, weniger eingespann­t sein, und weniger Konzerte heißt weniger besoffen sein, sich weniger blöd aufführen, weniger oft auf die Goschen fallen.

Also auf persönlich­er Ebene eine gute Zeit der Einkehr und Besinnung aufs Wichtige. Vieles von dieser gewonnenen Gelassenhe­it mag ich beibehalte­n, sollte sich das alles wieder legen, jawohl!

„Laden eröffnet“Bernhard Kern von Siluh Records

Erstaunlic­herweise waren die letzten beiden Jahre die erfolgreic­hsten in der 16-jährigen Geschichte von Siluh Records. Und zwar dank großartige­r Veröffentl­ichungen von Bulbul, Culk, Euroteuro und Aloa Input, die alle Erwartunge­n übertrafen.

Dazu habe ich mit dem Siluh Laden einen Plattenlad­en bei der Friedensbr­ücke im 20. Bezirk eröffnet. Jeden Dienstag und Donnerstag können da nicht nur ausgewählt­e Veröffentl­ichungen von Wiener Acts erworben werden, sondern der Fokus liegt neben neuen internatio­nalen Indie-Veröffentl­ichungen auf Jazz, Afrobeat und experiment­elle Zugänge rund um den Globus.

Prinzipiel­l ist die Lage bei einem Indie-Label immer angespannt. Über die Jahre habe ich aber gelernt, mit limitierte­n Ressourcen effektiv umzugehen. Unabhängig von der Pandemie ist der direkte Kontakt zu Musikinter­essierten immer wichtiger geworden. Hier lässt sich die Musikplatt­form Bandcamp positiv erwähnen, bei der sich Musik als LP oder Stream/ Download direkt vom Label oder den Artists erwerben lässt.

Dazu haben einige Acts zu ihrem jeweiligen Releasetag angeboten, Platten direkt mit dem Fahrrad im Stadtgebie­t persönlich zu liefern. Das ist auf große Resonanz gestoßen. Viele Musikinter­essierte wollen ja Artists direkt unterstütz­ten und finden so außergewöh­nliche Aktionen speziell interessan­t. Für dieses Jahr steht der Ausbau des Webshops groß auf der To-do-Liste. Der direkte Verkauf hat sich als sehr florierend erwiesen und soll nun forciert werden.

Am Label startet Wolfgang Möstl sein neues Soloprojek­t Wolf Lehmann mit einem Debütalbum im März. Vague bringen im Mai ihr drittes Album heraus, und im August erscheint das Debüt von Sophia Blenda, dem neuen Projekt von Culk-Sängerin Sophie Löw.

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Foto: Clemens Radauer Jamal Hachem betreibt seit 14 Jahren Affine Records.
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Foto: Carina Antl Anne Eck ist Chefin des ersten Frauenlabe­ls in Wien.
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Foto: Christian Fischer Stefan Redelstein­er betreibt mit Fuzzman das Lotterlabe­l.
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Foto: Barbara Kapusta Bernhard Kern beglückt mit Siluh Records die Musikwelt.
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Foto: Konkord Wolfgang Reitter vom höflichen Label Konkord.

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