Liebeskummer und Tiefkühlpizza Contra
Tocotronic entdecken das Erwachsenendasein
Den zeitlosen Übergang von der Jugendzeit ins Erwachsenendasein hat bisher kaum einer so schön beschrieben wie Dirk von Lowtzow in dem neuen Song Ich hasse es hier. Er ist Teil des neuen Tocotronic-Albums
Nie wieder Krieg. Hören wir kurz hinein: „Wenn die Liebe endet / Ist es mitten in der Nacht / Ein Lichtschein, der mich blendet / Dringt aus meinem Tiefkühlfach“. Das ist schon nicht unwesentlich toll, es wird aber noch besser: „Dort liegt eine Pizza / Die ich aufzupeppen versuch’ / Mit Kräutern der Provence / Habe ich keine Chance … Ich hasse es hier / Und mich dafür“.
Mitten in der Nacht verlassen zu werden, das kann zwar auch Jugendliche treffen. Mit dem verzweifelten Versuch, eine Tiefkühlpizza mittels „Kräutern der Provence“aufzufrisieren, wird die Hörerschaft allerdings Zeuge einer Transformation. Essen soll ab jetzt der Sex des Alters sein, speziell wenn man gerade verlassen worden ist: „Wenn sich Einsamkeit vermehrt / Und Verzweiflung mich verzehrt“, können im Lied aber auch nicht zusätzlich in Stellung gebrachte „Dosenchampignons“das Herzeleid lindern: „Keine Chance.“
Allerdings darf man den im reiferen Alter einsetzenden Wunsch nach Steigerung der Lebensqualität durch Verbesserung des Speiseplans nicht unterschätzen. Und wer aus Liebeskummer nachts zum Kühlschrank geht, ist jetzt auch endlich reif für einen Waschbärbauch.
Tocotronic haben Mitte der 90er begonnen, sich mit hingerotztem Gitarrenrock über die Gesamtsituation zu beschweren. Anklänge an diesen fröhlichen Dilettantismus mit Nuschelgesang hört man auch heute noch in Ich hasse es hier. Viele Songtitel sind zu Schlagwörtern geworden: „Aber hier leben, nein danke“, „Pure Vernunft darf niemals siegen“, „Im Zweifel für den Zweifel“. Sie werden für immer einen Stein in jenem Brett haben, das vor dem Kopf nicht das Ende der Welt bedeutet.
Über die Jahre sind Tocotronic etwas waschbäriger und langweiliger geworden. Der Schrott-Look ist schwarzem Tuch gewichen. Statt Undergroundrock weiß man auch das deutsche Kunstlied zu schätzen. Nie wieder Krieg bietet mit Jugend ohne Gott gegen Faschismus zwar einen Indierock-Kracher. Mit der mit Soap & Skin eingespielten Ballade Ich tauche auf geht es aber recht erwachsen zur Sache. Wenn die Tiefkühlpizza nicht mehr als Lebensgrundlage reicht, kann man altersmilde werden. Der Magen verträgt keine scharfen Sachen mehr. Von Dosenchampignons lässt man besser die Finger.
Und live waren Tocotronic immer atemberaubend schlecht.