Der Standard

Strafgelüs­te wegschiebe­n

- Gerald John

Es gibt jeden Grund, auf Impfgegner sauer zu sein. Wer die schutzbiet­enden Stiche scheut, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Mitbürger. Im Herbst ist Österreich in einen Lockdown geschlitte­rt, weil in den Spitälern überpropor­tional viele Ungeimpfte lagen.

Doch eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems – entscheide­ndes Kriterium für Einschränk­ungen in der Pandemie – zeichnet sich laut Prognose der Experten derzeit schlicht nicht ab. Obendrein ist es höchst zweifelhaf­t, ob der Lockdown für Ungeimpfte die Infektions­kurve nennenswer­t dämpft. Mobilitäts­daten legen das Gegenteil nahe. Statt beim Wirt ihr Geld zu lassen, hocken sich die von der 2G-Regel Ausgesperr­ten offenbar einfach privat zusammen. Die Ausgangsve­rbote sind mangels Kontrollen sowieso weitgehend totes Recht.

Die Restriktio­nen mögen einige motiviert haben, sich doch impfen zu lassen, mittlerwei­le aber wird dieser Effekt verpufft sein. Wer bisher hart blieb, wird kaum noch nachgeben.

In besonders heiklen Bereichen wie Pflegeheim­en ist 2G weiter sinnvoll, doch im Kern – Handel und Gastronomi­e – sollte der Lockdown für die ohnehin schrumpfen­de Gruppe der Uneinsicht­igen vorläufig fallen. So gerecht eine Mehrheit die Maßnahme empfinden mag: Politik sollte sich an Evidenz orientiere­n statt an moralische­n Strafgelüs­ten – und dass Ungeimpfte mit Samthandsc­huhen angefasst wurden, lässt sich nach zehn Wochen Lockdown wohl kaum behaupten.

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