Strafgelüste wegschieben
Es gibt jeden Grund, auf Impfgegner sauer zu sein. Wer die schutzbietenden Stiche scheut, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Mitbürger. Im Herbst ist Österreich in einen Lockdown geschlittert, weil in den Spitälern überproportional viele Ungeimpfte lagen.
Doch eine Überlastung des Gesundheitssystems – entscheidendes Kriterium für Einschränkungen in der Pandemie – zeichnet sich laut Prognose der Experten derzeit schlicht nicht ab. Obendrein ist es höchst zweifelhaft, ob der Lockdown für Ungeimpfte die Infektionskurve nennenswert dämpft. Mobilitätsdaten legen das Gegenteil nahe. Statt beim Wirt ihr Geld zu lassen, hocken sich die von der 2G-Regel Ausgesperrten offenbar einfach privat zusammen. Die Ausgangsverbote sind mangels Kontrollen sowieso weitgehend totes Recht.
Die Restriktionen mögen einige motiviert haben, sich doch impfen zu lassen, mittlerweile aber wird dieser Effekt verpufft sein. Wer bisher hart blieb, wird kaum noch nachgeben.
In besonders heiklen Bereichen wie Pflegeheimen ist 2G weiter sinnvoll, doch im Kern – Handel und Gastronomie – sollte der Lockdown für die ohnehin schrumpfende Gruppe der Uneinsichtigen vorläufig fallen. So gerecht eine Mehrheit die Maßnahme empfinden mag: Politik sollte sich an Evidenz orientieren statt an moralischen Strafgelüsten – und dass Ungeimpfte mit Samthandschuhen angefasst wurden, lässt sich nach zehn Wochen Lockdown wohl kaum behaupten.