Der Standard

Israel schafft den grünen Pass ab – vorerst

Sobald viele Israelis ihren vierten Stich bekommen haben, könnte die 3G-Regel zurückkehr­en

- Maria Sterkl aus Jerusalem Magdalena Pötsch

Israel befindet sich auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle. „Das Risiko, sich mit dem Virus anzustecke­n, ist so hoch wie nie seit Beginn der Pandemie“, sagt Pandemiefo­rscher Eran Segal vom Weizmann-Institut. Bisher hat sich rund eine Million Israelis mit der Omikron-Variante angesteckt, die Hälfte davon infizierte sich in der vergangene­n Woche.

Es sind schwierige Tage für ältere und vorbelaste­te Menschen in Israel. Laut Angaben des Ministeriu­ms für soziale Gerechtigk­eit gab es in den vergangene­n Wochen gehäuft Anrufe älterer Personen, die um Unterstütz­ung ansuchten, weil sie sich nicht mehr das Haus zu verlassen trauten.

Eine aktuelle Entscheidu­ng des Covid-Expertenbe­irats in Israel dürfte es ihnen nicht unbedingt leichter machen: Der Beirat empfiehlt der Regierung, den grünen Pass auslaufen zu lassen. Zuvor war das schon vom Finanzmini­ster gefordert worden. Damit fällt die 3G-Regel in der Gastronomi­e und an anderen öffentlich­en Orten.

Begründet wurde der Schritt damit, dass die Impfung nur bedingt gegen Omikron schütze. Die Belastung durch die 3G-Regel sei damit größer als ihr Nutzen. Zudem gebe der Impfpass vielen Menschen „ein falsches Gefühl der Sicherheit“, meint Expertenpa­nel-Vorsitzend­er Ran Balicer. Er empfiehlt vielmehr ein flächendec­kendes Testen.

Das ist aber leichter gesagt als getan: Testen wurde in Israel zur Geldund Zeitfrage, seit die Regierung PCR-Tests nur noch an Ältere vergibt und sich vor den Antigen-Testzentre­n oft lange Warteschla­ngen bilden. Schnelltes­ts in der Apotheke kosten zwischen sieben und zehn Euro pro Testkit.

Die Abschaffun­g des grünen Passes hat aber auch praktische Gründe: Für viele Israelis verliert der grüne Pass ab kommender Woche automatisc­h seine Gültigkeit, weil sie den Booster vor mehr als sechs Monaten erhalten haben. Der grüne Pass hat ein Ablaufdatu­m von einem halben Jahr ab dem letzten Impfdatum.

Die Regierung stand also vor der Wahl, die Gültigkeit der Impfpässe automatisc­h zu verlängern oder den grünen Pass generell abzuschaff­en.

Eine Verlängeru­ng, so waren sich die Experten einig, ergebe aber wenig Sinn, wenn man bedenkt, dass der Booster nach sechs Monaten nur noch eingeschrä­nkt wirkt und die vierte Impfung vorerst nur über 60Jährigen offensteht.

Vierter Stich kommt

Am Dienstag wurde jedoch bekannt, dass Israel nun auch breite Schichten zur vierten Impfung rufen könnte. Der Expertenbe­irat gibt sein grünes Licht für eine vierte Impfung für alle über 18 Jahre, deren Auffrischu­ng länger als fünf Monate zurücklieg­t. Sollte sich das Gesundheit­sministeri­um den Experten anschließe­n, wird Israel das erste Land sein, das die erwachsene Bevölkerun­g erneut boostert.

Noch vor wenigen Wochen hatte sich der Beirat gegen eine vierte Impfung für alle Erwachsene­n ausgesproc­hen. Es gebe zu wenige Indizien, dass die Impfung auch gegen Omikron schütze, hieß es. Nun liegen mehrere israelisch­e Erhebungen vor, die aber genau das belegen: Wer den vierten Stich bekommen hat, ist mindestens dreimal so gut gegen einen schweren OmikronVer­lauf geschützt wie dreifach Geimpfte, deren Stich mehr als vier Monate zurücklieg­t. Der Schutz vor Infektion geht nach der Impfung allerdings rasch zurück. Die vierte Impfung zeigt zwar einen Anstieg der Antikörper, schützt aber nicht ausreichen­d vor Omikron.

In kürzesten Abständen zu impfen sei immunologi­sch zudem womöglich kontraprod­uktiv, erklärt der österreich­ische Infektiolo­ge Herwig Kollaritsc­h. Man müsse dem Immunsyste­m ausreichen­d Zeit geben, einen entspreche­nden Schutz vor dem Virus aufzubauen. Auch aus epidemiolo­gischer Sicht würde eine vierte Impfung jetzt kurz vor dem Sommer wenig bringen, ergänzt Gerald Gartlehner, Epidemiolo­ge von der DonauUnive­rsität Krems: „Das wäre, wie wenn sich die Leute jetzt gegen Grippe impfen lassen, damit sie im Herbst und Winter dann geschützt sind.“Das ergebe keinen Sinn.

Sollten weitere Studien allerdings den Schutz des vierten Stichs belegen, könnte auch der grüne Pass in Israel wiedereing­eführt werden – zumal dann wohl auch die Omikron-Welle abgeebbt sein wird. Laut Gesundheit­sminister Nitzan Horowitz ist der Wendepunkt bereits in Sichtweite.

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