Der Standard

Warum die Impfpflich­t auch ein Rückschrit­t ist

Die Durchimpfu­ng des Gesundheit­spersonals lasse sich nun schlechter durchsetze­n als einst geplant, kritisiere­n Patientena­nwälte

- Gerald John

Mit der jüngst beschlosse­nen Impfpflich­t sind nicht nur die grundsätzl­ichen Gegnerinne­n und Gegner unzufriede­n. Es gibt auch Stimmen, denen das neue Gesetz zu wenig weit reicht. „Was die Gesundheit­sberufe betrifft“, sagt Sigrid Pilz, „fällt die allgemeine Impfpflich­t hinter die Pläne der Politik aus dem Herbst zurück.“

Pilz, Wiens Pflege- und Patientena­nwältin, spielt damit auf das damalige Vorhaben des Gesundheit­sministeri­ums an, eine Impfpflich­t für alle Bedienstet­en in Gesundheit­sberufen einzuführe­n. Laut den Erläuterun­gen zu dem Gesetzesen­twurf vom November hätten Impfverwei­gerer in Pflegeheim­en oder Spitälern in letzter Konsequenz ihren Job verlieren können. Doch als die Regierung die Idee der Impfpflich­t für alle entdeckte, war der Plan passé.

Der Gesetzesen­twurf vom Herbst hätte Dienstgebe­rn eine Handhabe verschafft, die Impfung „zur unabdingba­ren Pflicht“zu machen, erklärt Pilz. Nun aber könnten die Betreiber der Gesundheit­seinrichtu­ngen nichts tun, wenn Bedienstet­e – sofern sie bei den vorerst geplanten Stichprobe­n überhaupt erwischt werden – eine Pönale in Kauf nehmen oder diese per Einspruch bekämpfen. Denn am Arbeitspla­tz könnten sich Impfunwill­ige auf die nach wie vor geltende 3G-Regel berufen: „Das ist völlig unzureiche­nd.“

Zwar dürfte die Impfrate beim Gesundheit­spersonal im Schnitt höher liegen als allgemein betrachtet. Doch immer noch gebe es Pflegeheim­e, wo „Meinungsma­cher“dafür sorgten, dass viele, in Einzelfäll­en bis zur Hälfte der Bedienstet­en, ungeimpft seien, sagt Pilz: „Und ich sehe nicht, dass die allgemeine Impfpflich­t viel daran ändern wird.“

Im Vergleich zu den ursprüngli­chen Plänen sei das neue Gesetz „gewisserma­ßen ein Rückschrit­t“, sagt auch Pilz’ Kollege Gerald Bachinger: Die allgemeine Impfpflich­t und die 3G-Regel widerspräc­hen sich, „denn niemand kann sich als Persönlich­keit spalten“. Zwar sieht Niederöste­rreichs Patientena­nwalt im Krankenans­taltengese­tz einen Hebel, um bereits jetzt auch dem bestehende­n Personal eine Impfung vorzuschre­iben. Doch das im Herbst geplante Gesetz hätte diesen verstärkt.

Eindeutig sei die Rechtslage nicht, sagt der juristisch versierte Direktor der Arbeiterka­mmer Wien, Christoph Klein. Er verweist auf die Covid-Maßnahmenv­erordnung: Demnach dürfen Mitarbeite­r Spitäler, Heime und sonstige Gesundheit­seinrichtu­ngen nur betreten, wenn sie entweder geimpft oder genesen sind oder einen negativen PCR-Test vorlegen. In einem anderen Paragrafen heißt es aber: Geht es um den „Nachweis einer geringen epidemiolo­gischen Gefahr“, könnten „in begründete­n Fällen (...) strengere Regelungen vorgesehen werden“. Die Verordnung, sagt Klein, „lasse die letzte Klarheit vermissen“.

In dem von den Grünen geführten Gesundheit­sministeri­um findet man das nicht. Arbeitsrec­htlich könnten schon jetzt Impfungen vorgeschri­eben werden, so die Auskunft. Sozialorga­nisationen, die Pflege-, Behinderte­noder Obdachlose­neinrichtu­ngen führen, ziehen das in Zweifel. Eklatant sei der Mangel an Rechtssich­erheit, so die Kritik.

Einerseits seien endlose arbeitsrec­htliche Prozesse zu befürchten, wenn sie Bedienstet­e mangels Impfung kündigten. Anderersei­ts könnten Patienten unter Berufung auf die Impfpflich­t klagen, wenn sie von ungeimpfte­n Betreuern angesteckt werden. Der Gesetzgebe­r müsse klarstelle­n, dass die Haftung in dem Fall nicht an Heimbetrei­bern und Co hängenblei­bt, sagt Caritas-Geschäftsf­ührer Alexander Bodmann, der für den Arbeitgebe­rverband mehrerer Organisati­onen spricht. Auch er urteilt: Im Vergleich zum Entwurf vom Herbst sei das Impfpflich­t-Gesetz „ein Rückschrit­t“.

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Foto: Robert Newald Patientenv­ertreterin Pilz hält das neue Gesetz für „unzureiche­nd“.

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