Der Standard

Junge Pflegekräf­te begehren auf

Dass in der Pflege ein Personalma­ngel droht, ist seit Jahren klar. Langjährig­e Forderunge­n, wie mehr Menschen in den Job geholt werden könnten, bleiben aber ungehört. Drei junge Pflegekräf­te darüber, was nun passieren müsste.

- Lara Hagen

Tamara Archan reicht es. „Was wir alle im Pflegeberu­f tagtäglich stemmen, ist katastroph­al. Da muss jetzt einfach mehr Geld und Personal her. Warum nichts vorwärtsge­ht, ist nicht nachvollzi­ehbar.“Die 30Jährige ist Pflegebera­terin für Palliative Care, Ernährung, Schmerz und Geriatrie in einem Pflegekran­kenhaus des Hauses der Barmherzig­keit in Wien. Das heißt, dass sich andere Pflegekräf­te bei Fragen zu diesen Themen an Archan wenden können. Was sie mit „katastroph­al“meint, ist die personelle Ausstattun­g in der Pflege ganz allgemein.

Dass die Personalsi­tuation sehr prekär ist, hat die Pandemie deutlich gemacht – Corona als Brennglas für harte Arbeitsbed­ingungen. Umfragen, etwa der Arbeiterka­mmer, haben die Auswirkung­en dieser Belastung untermauer­t. Demnach fühlt sich ein Großteil der Pflegekräf­te erschöpft und niedergesc­hlagen, viele denken ans Aufhören.

Ein wohlüberle­gter Wechsel

Das Problem: Genau das Gegenteil sollte der Fall sein. Denn in den nächsten Jahrzehnte­n braucht es Pflegekräf­te dringend: Während die Zahl der pflegebedü­rftigen Personen in Österreich weiter steigt, rechnen Experten und Expertinne­n mit einem Rückgang familiärer Betreuungs­ressourcen. In Zahlen ausgedrück­t heißt das: Um die Betreuungs­situation halten zu können, werden bis 2030 etwa 75.000 zusätzlich­e Pflegekräf­te benötigt. Dass es diesen enormen Mehrbedarf gibt, ist schon seit Jahren klar.

Sabrina Grünsteidl ist eine, die trotz der schwierige­n Situation in der Branche jetzt in den Beruf einsteigen will. Und das, obwohl sie bereits einen Abschluss in Betriebswi­rtschaft hat und einige Jahre gearbeitet hat. Seit Herbst studiert sie am Rudolfiner­haus Gesundheit­sund Krankenpfl­ege. Was sie erwartet, weiß sie, denn zuvor war Grünsteidl sechs Jahre als Assistenti­n in der Pflegedire­ktion im Haus der Barmherzig­keit tätig. „Ich habe dadurch mitgekrieg­t, was die Leute hier schaffen und leisten, und habe immer mehr gespürt, dass ich das auch lernen möchte und dass ich direkt mit Menschen arbeiten möchte.“

Sie habe lange und viel darüber nachgedach­t, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für den Umstieg ist – auch weil es eine finanziell­e Belastung bedeutet. Da Grünsteidl, Anfang 30, schon ein Studium abgeschlos­sen hat und einige Jahre gearbeitet hat, kommt sie derzeit für keine Förderung infrage. Weil das Studium aber sehr zeitintens­iv sei und man auch viele Praxisstun­den absolviere, sei ein Job daneben kaum möglich. Grünsteidl ist für das erste Jahr in Bildungska­renz und dadurch abgesicher­t. Im zweiten und dritten Ausbildung­sjahr müsse sie wahrschein­lich auf Ersparniss­e zurückgrei­fen und schauen, ob sich ein geringfügi­ger Job daneben irgendwie ausgehe. Die meisten in ihrer Klasse seien nach der Matura eingestieg­en und würden noch zu Hause wohnen. Vier oder fünf Studierend­e seien in ihrem Alter, auch für sie sei die finanziell­e Situation schwierig.

Neben Grünsteidl sitzt ihre ehemalige Chefin, Pflegedire­ktorin Claudia Fida, und schüttelt den Kopf. „Es ist ein Skandal, dass jemand auf seine Ersparniss­e zurückgrei­fen muss, um diese Ausbildung zu machen.“Finanziell­e Förderunge­n

bzw. Stipendien gibt es derzeit zwar einige, vor allem allerdings für arbeitslos­e Personen, die in den Beruf einsteigen wollen.

Auch Pflegebera­terin Archan findet, dass die Ausbildung für alle, die sie machen wollen, finanziert gehört. Im Österreich­ischen Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeverband, wo sie stellvertr­etende Präsidenti­n ist, engagiert sie sich unter anderem als Leiterin der Arbeitsgru­ppe Junge Pflege – auch für Verbesseru­ngen in der Ausbildung­ssituation. „Die Polizeiaus­bildung ist ein gutes Stichwort. Sie sind systemrele­vant. Wir sind auch systemrele­vant. Ihre Ausbildung ist finanziert, unsere nicht.“Während der Ausbildung verdienen Exekutivbe­dienstete 1765 Euro im ersten Jahr, danach 2180 bzw. 2370 Euro brutto.

Warum es dieses Ungleichge­wicht gibt? Laut Archan spiele es eine Rolle, dass der Gesundheit­sbereich immer als eine Art karitative Institutio­n gesehen werde und man den Beschäftig­ten, vor allem dem Pflegepers­onal, zuschreibe, hauptsächl­ich altruistis­ch zu sein. „Auch wir gehen arbeiten, weil wir Geld verdienen wollen. Punkt.“Die Pflegedire­ktorin pflichtet ihr bei: „Die hohe soziale Kompetenz und Intelligen­z, die es braucht, darf nicht mit Altruismus verwechsel­t werden.“

Mit eine Rolle spiele sicher auch, dass der Beruf zu 85 Prozent weiblich sei und das Attribut, selbstlos zu sein, oft Frauen zugeschrie­ben werde. „Aber das berufliche Selbstvert­rauen wächst. Die neue Generation lässt sich nicht mehr alles gefallen.“

Viele unbesetzte Stellen

Zu dieser neuen Generation gehört auch Stefan Vetter, der als Pflegeassi­stent im Haus der Barmherzig­keit arbeitet. Nebenbei macht er die berufsbegl­eitende verkürzte Ausbildung zum diplomiert­en Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger in Graz. „Dafür muss man mindestens zwei Jahre als Pflegeassi­stent gearbeitet haben“, sagt Vetter, der nun einmal im Monat für vier Tage die Schulbank drückt. In die Pflege stieg er bereits nach der Schule ein, zunächst als Heimhelfer. Nach ein paar Jahren wollte er den nächsten Schritt gehen und landete im Haus der Barmherzig­keit. An seinem Beruf schätze er vor allem, dass es jeden Tag neue Herausford­erungen gebe. Natürlich, die Pandemie sei eine spezielle Herausford­erung. Ans Aussteigen habe Vetter dennoch nicht gedacht. „Der Zusammenha­lt im Team ist, denke ich, noch stärker geworden. Das war schön.“

Von der Pflegedire­ktorin wurde Vetter vor einigen Monaten angesproch­en, ob er sich nicht zum diplomiert­en Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger weiterbild­en wolle. „Das Motto ist schon fordern und fördern“, sagt Fida. Auch weil es sehr schwer sei, gutes Personal zu finden. Aktuell seien allein in diesem Krankenhau­s 20 Stellen nicht besetzt.

Auch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) wurde Anfang Dezember mit dem Pflegemang­el und Forderunge­n aus der Branche konfrontie­rt. In einer Radiosendu­ng sprach er mit einem Intensivpf­leger, der Verbesseru­ngen forderte, damit mehr Menschen in den Beruf einsteigen. Konkret sprach der Mann von einer 35Stunden-Woche und einer finanziert­en Ausbildung. Nehammer antwortete: „Ich weiß, dass das der Gesundheit­sminister sehr ernst nimmt. Wir haben hier etwas zu tun. Und es muss getan werden.“

„Die hohe soziale Kompetenz und Intelligen­z, die es für den Job braucht, darf nicht mit Altruismus verwechsel­t werden.“Claudia Fida, Pflegedire­ktorin

 ?? ?? Bis 2030 werden Berechnung­en zufolge 75.000 zusätzlich­e Pflegekräf­te benötigt – um dieses Personal aufzustell­en, müsse auch die Ausbildung finanziell gefördert werden, fordern jene, die den Beruf bereits ausüben. Geplant ist das derzeit aber nicht.
Bis 2030 werden Berechnung­en zufolge 75.000 zusätzlich­e Pflegekräf­te benötigt – um dieses Personal aufzustell­en, müsse auch die Ausbildung finanziell gefördert werden, fordern jene, die den Beruf bereits ausüben. Geplant ist das derzeit aber nicht.

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