Der Standard

Der „naive“und „dumme“Polizist

Da er bei einer Klimademo im Mai 2019 an einer widerrecht­lichen Festnahme mitgewirkt hat und danach vor dem Verwaltung­sgericht gelogen hat, wird ein geständige­r Beamter zu zehn Monaten bedingt verurteilt.

- Michael Möseneder

Staatsanwä­ltin Carina Steindl ist in ihrem Eröffnungs­plädoyer erstaunlic­h direkt: Es gehe um „Polizeigew­alt“, „Willkür gegen einen friedliche­n Aktivisten“und um „Lüge“, erklärt sie dem Schöffense­nat unter Vorsitz von Julia Matiasch ihre Vorwürfe gegen Herrn U., einen 36-jährigen Inspektor der Wiener Polizei. Angeklagt ist der Beamte wegen Amtsmissbr­auchs und falscher Beweisauss­age: Er soll am Rande einer Sitzblocka­de von Klimaaktiv­isten am 31. Mai 2019 einen Zuseher widerrecht­lich festgenomm­en und danach in einem Verfahren vor dem Verwaltung­sgericht bezüglich der Amtshandlu­ng gelogen haben.

Das Opfer war Anselm Schindler, ein freier Journalist, der kurz danach von zwei anderen Sicherheit­sorganen mit dem Kopf unter einem Polizeibus fixiert wurde, der anfuhr. Von einem dieser beiden Polizisten, der bei seinem Prozess die Vorwürfe leugnete und trotz gegenteili­ger Videoaufna­hmen Schindler beschuldig­te, sich aggressiv verhalten zu haben, war auch die ursprüngli­che Festnahme Schindlers ausgegange­n, an der sich der nun angeklagte U. beteiligte.

Sitzblocka­de bei Urania

Im Gegensatz zu seinem Kollegen bekennt U. sich schuldig. „So naiv und dumm, wie ich war, habe ich den Kollegen unterstütz­t. Ich dachte, der Charge, der Diensthöhe­re, wird schon wissen, was er macht“, erklärt der Unbescholt­ene. Er sei an dem Tag ab sieben Uhr Früh im Dienst gewesen, habe zunächst die offizielle Fridays-for-FutureDemo­nstration am Ring begleitet. Nach deren Ende sei die Meldung gekommen, dass andere Aktivisten bei einer nicht angezeigte­n Kundgebung den Franz-Josefs-Kai bei der Urania blockieren würden.

„Dort waren auch viele Schaulusti­ge. Wir haben den Auftrag bekommen, eine Sperrkette zu bilden und die Zuschauer zurückzudr­ängen, um den Aktionsrau­m zu vergrößern.“Es sei laut gewesen, er habe an „Reizüberfl­utung“gelitten, da es sein erster Einsatz bei einer Demonstrat­ion war und auch seine erste Festnahme im Rahmen einer Kundgebung. Er habe gesehen, wie sein Kollege mit Schindler diskutiert­e, dann habe der andere Polizist Schindler an den Armen gepackt.

Daraufhin habe er Schindler von hinten in den Schwitzkas­ten genommen, sagt der Angeklagte.

Mit der Anzeige des Kollegen gegen Schindler nach dem Paragraf 82 des Sicherheit­spolizeige­setzes – „Aggressive­s Verhalten gegenüber Organen der öffentlich­en Aufsicht“– habe er dann nichts mehr zu tun gehabt. Ins Spiel kam U. erst wieder, als Schindler gegen die über ihn verhängte Geldstrafe Einspruch erhob. Vor dem Verwaltung­sgericht blieben U. und sein Kollege dabei: Schindler sei „aggressiv“und laut gewesen und habe mit den „Händen gefuchtelt“. Aussagen, die Schindlers Rechtsbeis­tand Clemens Lahner anhand zahlreiche­r Handyvideo­s widerlegen konnte – zu sehen ist unter anderem, dass Schindler beide Hände in den Hosentasch­en hatte, als er festgenomm­en wurde.

Auch zu diesem Anklagepun­kt, der falschen Beweisauss­age, bekennt U. sich schuldig. „Ich wollte die Amtshandlu­ng rechtferti­gen. Und mich und meinen Kollegen schützen“, gibt er zu. „Es war blöd.“Die 500 Euro Schadeners­atz, die Privatbete­iligtenver­treter Lahner für seinen Mandanten will, verspricht der Angeklagte zu zahlen.

Die Finanzprok­uratur hat Schindler bisher erst rund die Hälfte seines Aufwands ersetzt.

Verteidige­r Thomas Herzka geht in seinen Schlusswor­ten dann mit der Polizeifüh­rung hart ins Gericht. „Die gesamte Exekutive war damals etwas überforder­t“, konstatier­t er. Es sei ein „chaotische­r Einsatz“gewesen, die Beamten vor Ort alleingela­ssen worden. „Auf den Videos sieht man im Hintergrun­d auch Führungskr­äfte, einen Oberstleut­nant und einen Major, glaube ich, die offenbar nur ihre Rangabzeic­hen spazieren führten.“

„Kein blindes Vertrauen“

U. nutzt die Gelegenhei­t des letzten Wortes, um zu versichern, dass er definitiv aus dem Vorfall gelernt habe. „Was? Wie würden Sie heute in so einer Situation umgehen?“, fragt ein Schöffe. „Ich würde vor der Unterstütz­ung eines Kollegen hinterfrag­en, ob eine Festnahme überhaupt rechtens ist. Kein blindes Vertrauen mehr“, antwortet der Angeklagte.

Er fasst dann trotz seines Geständnis­ses rechtskräf­tig zehn Monate bedingt wegen Amtsmissbr­auchs aus. Eigentlich hätte der Senat zwölf Monate verhängt, wegen der überlangen Verfahrens­dauer seien aber zwei Monate abgezogen worden, begründet Vorsitzend­e Matiasch. Damit bleibt U. ein automatisc­her Amtsverlus­t, der bei Strafen über einem Jahr eintritt, erspart. Aber zum Vergleich: Der zweite Polizist, der die grundlose und daher widerrecht­liche Festnahme Schindlers initiierte und in das lebensgefä­hrliche Manöver mit dem Polizeibus involviert war, bekannte sich bei seinem Prozess im Juni vergangene­n Jahres nicht schuldig – und erhielt zwölf Monate bedingt.

 ?? ?? Der freie Journalist Anselm Schindler wurde 2019 grundlos festgenomm­en und anschließe­nd unter einem Polizeibus fixiert. Nun wurde auch der letzte in den Fall verwickelt­e Polizist verurteilt.
Der freie Journalist Anselm Schindler wurde 2019 grundlos festgenomm­en und anschließe­nd unter einem Polizeibus fixiert. Nun wurde auch der letzte in den Fall verwickelt­e Polizist verurteilt.

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