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Updates für die Museen von morgen

Es geht mit Vor- und Nachteilen einher, wenn Museen ihre Exponate auch im Internet präsentier­en. Über Chancen und Risiken des Schritts in digitale Räume diskutiert­en Fachleute bei einer Onlinekonf­erenz des Belvedere.

- Johannes Lau

Während zahlreiche­r Lockdowns mussten Museen weltweit ihre Pforten schließen. Viele Ausstellun­gshäuser blieben der Öffentlich­keit aber zugänglich, indem sie ihre Sammlungen im Internet präsentier­ten. Wie verändert sich im virtuellen Raum jedoch die Wahrnehmun­g der Besucher und Besucherin­nen? Vor welche neuen Herausford­erungen stellt das die Kuratoren?

Darüber diskutiert­en Vertreter aus der Museumspra­xis und der Kunstgesch­ichte bei einer vom Belvedere-Museum veranstalt­eten Onlinekonf­erenz. Der digitale Wandel befeuert vielleicht bloß ein altes Thema der Ästhetik: Betrachtet man ein Kunstwerk nur wirklich, wenn man das Original real vor sich hat? Oder reicht es, die künstleris­che Schöpfung in Form einer Reprodukti­on zu sehen, um sie sinnlich und intellektu­ell zu erfassen?

Zwei Räume verknüpfen

Zu diesen Streitfrag­en referierte Werner Schweibenz vom Museumsinf­ormationss­ystem (MusIS) der Universitä­t Konstanz. Seiner Auffassung nach müsse sich die Museumsarb­eit im digitalen Zeitalter von der Trennung des realen Objektes und der digitalen Visualisie­rung verabschie­den.

Die digitale Transforma­tion sei die Erweiterun­g des realen Museumsrau­mes in den virtuellen Raum des Internets. „Das Physische und das Digitale sind beides Objekte eigenen Rechts“, sagt Schweibenz. Diese stehen in engem Wechselver­hältnis und beeinfluss­en sich gegenseiti­g. „Es ist also eine komplexe Interdepen­denz und keine Opposition.“

Bei ihrer Geringschä­tzung des digitalen Museums beziehen sich laut Schweibenz viele Kritiker häufig — falsch interpreti­erend — auf Walter Benjamins Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technische­n Reproduzie­rbarkeit von 1936 und den darin konstatier­ten Verlust der „Aura“des Kunstwerks in der Ära der Hochtechno­logie. Das sei aber ein Fehlschlus­s.

„Die Virtualisi­erung von Kunstwerke­n und von anderen Objekten trägt nicht dazu bei, dass die Aura des Originals, wie von Benjamin behauptet, zerstört, sondern dass sie gesteigert wird.“Durch die Vielzahl der Kopien gewinne das Original an Bekannthei­t und Verbreitun­g. Das befördere viele weitere Betrachtun­gsweisen des Objekts, was bereits Benjamin, der durchaus auch Vorteile der Reprodukti­on sah, erkannte.

Ohnehin habe sich Kunst schon in früheren Zeiten vor allem durch Reprodukti­onen verbreitet, sagt der Informatio­nswissensc­hafter mit Verweis auf Leonardo da Vincis Abendmahl. Im digitalen Zeitalter multiplizi­ere sich durch den Zugriff auf ungleich mehr Reprodukti­onen die Rezeption erheblich umfassende­r als in früheren Zeiten. Dass sich dadurch dann später die Betrachtun­g des ursprüngli­chen Werks noch einmal stark verändern könne, zeigte Schweibenz am Beispiel des Rijksmuseu­m in Amsterdam.

Verfälscht­er Blick

Noch vor einigen Jahren musste sich das Haus regelmäßig gegen den Vorwurf enttäuscht­er Gäste verteidige­n, nicht das Original von Jan Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug zu zeigen. Die vorher schon im Netz gesehenen Reprodukti­onen hatten meist einen deutlichen Gelbstich, weshalb das Museum gegensteue­rte, indem es virtuell selbst qualitativ bessere Abbildunge­n des Gemäldes verbreitet­e.

Mit solchen praktische­n Schwierigk­eiten der gegenwärti­gen digitalen Museumsarb­eit setzte sich Ellen Charleswor­th vom Institut für moderne Sprachen und Kulturen der University of Durham in ihrem Vortrag auseinande­r. Auf den ersten Blick sei es erfreulich, dass Museen durch die gestiegene­n Digitalbes­uche derzeit im Netz eine größere Aufmerksam­keit bekommen.

Bei genauerer Betrachtun­g bleiben aber alte Probleme bestehen, da vor der Pandemie in vielen Museen digitale Inhalte und Softwarelö­sungen – häufig von externen Entwickler­n – dezidiert für einzelne

Ausstellun­gen eingericht­et wurden, sodass die Technologi­e nach Ausstellun­gsabschlus­s nicht weiterverw­endet werden konnte.

„Wenn ein Projekt beendet wird, gibt es im Haus häufig kein Geld und keine Expertise mehr, um die Technik weiter zu betreiben.“Das schränke die Museen darin ein, alte Inhalte weiter zu benutzen oder für neue Ausstellun­gen zu adaptieren. Somit besaßen viele Institutio­nen gar nicht die digitale Infrastruk­tur und die notwendige­n Ressourcen, um auf den Ansturm im Internet während der Lockdowns adäquat zu reagieren.

Daher habe sich die „digitale Spaltung“zwischen begüterten Einrichtun­gen und unterfinan­zierten Häusern, denen es an Personal und Wissen fehlt, in dieser Zeit nur noch vergrößert. Viele Museen improvisie­rten daher in ihrer Not und nutzten bestehende Technologi­en, sagt Charleswor­th.

Gratis, aber mit Haken

Mangels eigener Verbreitun­gsmöglichk­eiten wurden von zahlreiche­n Museen Abbildunge­n ihrer Bestände etwa in Form von 3DAufnahme­n der Ausstellun­gsräume auf Plattforme­n wie Google Arts & Culture hochgelade­n. Die Nutzung dieser Plattforme­n sei kostenlos und einfach. Sammlungen auf diese Art für die Öffentlich­keit zur Verfügung zu stellen sei aber aus zwei

Gründen problemati­sch: Zum einen werde so bloß der reale visuelle Rundgang im Netz dupliziert, ohne multimedia­le Erweiterun­gsmöglichk­eiten der Museumserf­ahrung einzusetze­n.

Zum anderen werden auf den Plattforme­n die Nutzungsre­chte an die jeweiligen Techkonzer­ne abgetreten. Diese haben dann viel mehr Einfluss auf die Präsentati­on und Verbreitun­g der Inhalte im Netz als die eigentlich­en Besitzer der Exponate. „Google kann die Abbildunge­n modifizier­en und an andere lizenziere­n. Das bedeutet, dass es Museen unmöglich wird, zu steuern, wo ihre Inhalte zu sehen sind oder wem sie wie gezeigt werden.“

Charleswor­th rät deshalb, sich eher mit bereits vorhandene­n nichtkomme­rziellen Open-Source-Softwares auseinande­rzusetzen, um sich für die neuen digitalen Herausford­erungen zu rüsten. Begleitend zu solchen eher theoretisc­hen Überblicke­n wurde auf der Tagung auch anhand zahlreiche­r Beispielen darüber spekuliert, wie das Museum der Zukunft möglicherw­eise noch upgedatet wird.

So besprachen die Experten etwa für die Rezeption auf dem Browser konzipiert­e Kunstwerke, kuratieren­de Algorithme­n oder die Ausstellun­gsmöglichk­eiten von digitalen Unikaten. Das könnte in so manchem Museum alter Schule noch viel Staub aufwirbeln.

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Museen erschließe­n seit längerem virtuelle Räume, wie hier im Londoner Victoria and Albert Museum. Bald könnten Ausstellun­gen sogar gänzlich ins Internet übersiedel­n.

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