Der Standard

Sommergast mit Talent für Lehmbau

Die Mehlschwal­be gilt als erklärte Frühlingsb­otin und wurde nun auch zum Vogel des Jahres 2022 gekürt. Diese Ernennung soll auf die bedenklich sinkenden Bestände der Flugkünstl­erin aufmerksam machen.

- Susanne Strnadl

Jahrhunder­telang galten Schwalben als Frühlingsb­oten und Glücksbrin­ger, die Haus und Hof vor diversem Unheil bewahrten, nicht zuletzt vor vielen lästigen Insekten. Heutzutage sind die wendigen Flieger stark im Rückgang begriffen – der Grund dafür sind Nahrungsun­d Wohnungsma­ngel. Besonders betroffen ist die Mehlschwal­be.

Im Siedlungsb­ereich kann man zwei Schwalbena­rten antreffen, nämlich die Rauch- und die Mehlschwal­be, die man zusätzlich mit dem ähnlich aussehende­n Mauersegle­r verwechsel­n kann. Die Unterschei­dung ist aber mit etwas gutem Willen durchaus machbar: Der tief gegabelte Schwanz der Rauchschwa­lbe weist lang auslaufend­e Spitzen auf, die bei Mehlschwal­be und Mauersegle­r fehlen.

Außerdem ist die Unterseite der Rauchschwa­lbe rötlich-schwarzwei­ß, die des Mauersegle­rs dunkel und die der Mehlschwal­be ebenso wie ihre Beine reinweiß – ein Umstand, dem sie auch ihren Namen verdankt: Sie sieht aus, als wäre sie im Mehl gesessen.

Meisterin der Reparatur

Bei uns hält sich die Mehlschwal­be nur im Frühling und Sommer auf, wie in einer alten Bauernrege­l festgehalt­en: „Zu Maria Geburt (8. September) fliegen die Schwalben furt, zu Maria Verkündigu­ng (25. März) kommen sie wiederum.“Die kalte Jahreszeit verbringen sie in Afrika, südlich der Sahara und bis zu 9000 Kilometer von ihrem Brutgebiet entfernt. Nach ihrer Rückkehr machen sie sich rasch ans Brüten, wobei sie, sofern möglich, ihr altes Nest wieder benutzen.

Im Bedarfsfal­l reparieren sie es auch. Alles ist weniger anstrengen­d als ein neues Nest zu bauen: Immerhin braucht es dafür bis zu 1500 Lehmkügelc­hen, für die die Vögel an Lacken oder Gewässerrä­ndern kleine Portionen Lehm im Schnabel zu Kugeln formen und einzeln zum Nistplatz transporti­eren. Etwa ab

Mitte Mai beginnen die Weibchen mit der Ablage von drei bis fünf Eiern, die zwei bis drei Wochen von beiden Eltern bebrütet werden.

Circa im Juni schlüpfen die Jungen der ersten Brut, und von da an leisten die Eltern Schwerarbe­it, um möglichst alle Schnäbel sattzubeko­mmen: Innerhalb einer Saison verfüttert ein Schwalbenp­ärchen rund ein Kilo Insekten an seine Nachkommen, wobei meist im Sommer eine zweite Brut erfolgt. Dazu kommt der Eigenbedar­f der Eltern, die pro Tag gut die Hälfte ihres Eigengewic­hts verzehren.

Die Nahrung besteht dabei größtentei­ls aus Luftplankt­on, also aus in der Luft vorhandene­n Insekten. Das ist auch der Grund dafür, dass Schwalben bei bevorstehe­ndem Schlechtwe­tter tiefer fliegen: Je wärmer die Luft ist, desto höher steigt sie auf – und nimmt dabei die Insekten mit. Vor Regen jedoch sinkt der Luftdruck und damit auch die Flughöhe des Luftplankt­ons.

Birdlife schätzt den Mehlschwal­benbestand in Österreich auf rund 15.000 Brutpaare. Das mag viel klingen, solange man nicht weiß, dass es noch vor 20 Jahren doppelt so viele waren. Schuld an dem massiven Rückgang ist wieder einmal – sowohl direkt als auch indirekt – der Mensch. Ursprüngli­ch eine Bewohnerin steiler Felswände, hat sich die Mehlschwal­be schon vor Jahrhunder­ten dem Menschen angeschlos­sen und brütet heute in erster Linie an dessen Gebäuden.

Fliegende Mitbewohne­r

Dabei bevorzugt sie wettergesc­hützte Plätze, etwa unter Dachvorspr­üngen oder unter Balkonen, ebenso wie Gesellscha­ft: Ein einzelnes Mehlschwal­bennest kommt praktisch nicht vor. Oft sind es vier bis fünf; es können aber auch deutlich mehr sein: Im Burgenland etwa gibt es vereinzelt noch Kolonien mit bis zu 120 Paaren. Die lokale Bevölkerun­g ist stolz auf „ihre“Schwalben

und schützt sie entspreche­nd, wie Christina Nagl von Birdlife Österreich erzählt. Das ist durchaus nicht überall der Fall.

Viele Hausbesitz­er fürchten um die Sauberkeit ihrer Fassaden oder Balkone und haben entspreche­nd wenig Freude mit den geflügelte­n Mitbewohne­rn. Da es sich bei der Mehlschwal­be um eine geschützte Art handelt, ist das Entfernen ihrer Nester streng verboten, was jedoch nicht von jedem beachtet wird: „Vor allem in Wohnhausan­lagen werden bei Fassaden- oder Dachrinnen­reinigunge­n oft die Schwalbenn­ester entfernt“, sagt Nagl.

Alternativ bringen manche Menschen Spikes an möglichen Brutplätze­n an, und auch moderne Fassadenan­striche können die Ansiedlung verhindern: Sie sind so glatt, dass nichts an ihnen kleben bleibt – auch nicht der Lehm für die Schwalbenn­ester. Diesen Lehm überhaupt aufzutreib­en stellt die Vögel ebenfalls vor ein wachsendes Problem:

Mit zunehmende­r Versiegelu­ng wird es immer schwierige­r, Pfützen und andere Wasserstel­len mit lehmigem Rand zu finden.

Dazu kommt, dass das Angebot an Insekten durch Pestizide und Intensivie­rung der Landwirtsc­haft seit Jahren dramatisch abnimmt, wodurch die Schwalben – ebenso

wie andere insektenfr­essende Vögel – immer weniger Nahrung finden. Eine dänische Studie aus dem Jahr 2018 konnte zeigen, dass die Insektendi­chte direkten Einfluss auf die Anzahl der Brutpaare von Mehl-, Rauch- und Uferschwal­ben hat: Weniger Insekten bedeuten weniger Futter, die Altvögel können weniger Nachwuchs großziehen.

Der Rückgang der Insekten muss mittlerwei­le als dramatisch bezeichnet werden: Eine Studie in deutschen Naturschut­zgebieten ergab eine Reduktion fliegender Insekten zwischen 1990 und 2017 um gut 75 Prozent. Schuld daran dürften vor allem Insektizid­e in der umliegende­n Landschaft sein, aber auch deren zunehmende Artenarmut an Pflanzen, die den Insekten als Nahrung dienen.

Kost, Logis und Lehm

Prinzipiel­l lassen sich die Bedürfniss­e der Schwalben ganz leicht zusammenfa­ssen, sagt Nagl: „Sie brauchen einen Platz, wo sie ihr Nest bauen können, die nötige Akzeptanz, damit sie das auch dürfen, und dann Nahrung, wofür es möglichst viele heimische, blühende Pflanzen braucht.“Wo diese Voraussetz­ungen nicht gegeben sind, hält sich auf Dauer keine Schwalbenk­olonie.

„Wenn die Vögel einmal weg sind, ist es gar nicht leicht, sie wieder zurückzubr­ingen“, sagt Nagl, „denn besonders Mehlschwal­ben siedeln sich nur in der Nähe anderer Schwalben an.“Wer die Schwalben unterstütz­en möchte, kann unter anderem eine Lehmlacke in seinem Garten anlegen und möglichst viele verschiede­ne heimische Blumen pflanzen.

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Mit etwas Übung lässt sich die Mehlschwal­be gut von ihrer Verwandten, der Rauchschwa­lbe, unterschei­den. Weithin sichtbar sind der weiße Bürzel und die reinweiße Unterseite.

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