Der Standard

Ein Wasserbett voll Hingabe

Erste Liebe und das Ende der Unschuld: In „Licorice Pizza“erzählt US-Regisseur Paul Thomas Anderson von jugendlich­en Eskapaden im Los Angeles der 70er-Jahre – so komisch wie warmherzig.

- Dominik Kamalzadeh

Wer auf eine schon halb versunkene Ära zurückblic­kt, ist nie ganz davor gefeit, in den Armen der Nostalgie zu landen. Das beginnt bei der Musik, bei solchen Evergreens wie Suzi Quatros Stumblin’ In oder Life on Mars von David Bowie; allerdings kommt es auch darauf an, was man dazu zeigt. Zu Bowies träumerisc­h entrückter Nummer sind in Licorice Pizza etwa die Auswirkung­en der Ölkrise von 1973 auf die Straßen von Los Angeles zu sehen; also lange Staus vor den Tankstelle­n, ein unwirklich­er, zugleich aber auch willkommen­er Ausnahmezu­stand, zumindest für die beiden halbwüchsi­gen Helden des Films. Nostalgie fühlt sich anders an: schmerzlic­her, süßer, klebriger.

Dabei heißt „Licorice Pizza“wörtlich übersetzt tatsächlic­h „Lakritzenp­izza“. US-Regisseur Paul Thomas Anderson hat dabei aber an keine Süßigkeit gedacht, sondern an eine Plattenlad­enkette mit selbigem Namen, die im Film gar nicht vorkommt. Es handelt sich wohl mehr um eine Metapher für ein Lebensgefü­hl, das mit der Haptik und dem Klang von Vinyl genauso viel zu tun hat wie mit den verstreute­n Geschichte­n des Kinos und einem Zustand des Driftens. Ziele werden energisch verfolgt und schnell wieder verworfen. Jung zu sein bedeutet in diesem Film, an einem Tag für einen idealistis­chen Nachwuchsp­olitiker (Benny Safdie) zu arbeiten und am nächsten Wasserbett­en zu verchecken.

In Bewegung ist der Film von Anfang an. Es ist einer dieser grandiosen Einstiege, die sich sofort ins Gedächtnis einbrennen (in Andersons Filmen, man denke nur an The Master (2013), gibt es einige davon). Wir sehen Cooper Hoffman, dem Sohn des 2014 vermusik storbenen Philip Seymour Hoffman, als Gary Valentine eine Plansequen­z lang dabei zu, wie er Alana (Alana Haim) mit allen ihm zu Verfügung stehenden Mitteln des Blendens zu beeindruck­en versucht. Der Charme der Szene liegt in der Selbstsich­erheit des männlichen Teenagers und der Schnoddrig­keit seines Gegenübers: Er ist 15 Jahr alt, und die junge Frau, die seine Avancen zuerst recht unverblümt, dann aber zunehmend verhaltene­r zurückweis­t, immerhin schon 25. In diesem Alter eine eigentlich unüberwind­bare Hürde.

Kubistisch­es Zeitbild

Nun könnte man sagen, es hat schon seltsamere Paare gegeben, etwa das in Harold &

Maude (1971) von Hal Ashby, einem Regisseur, den Anderson im Herzen trägt. Gary und Alana werden in Licorice Pizza jedoch ohnehin mehr zu platonisch­en Freunden – wer’s halt glaubt! – und für die lose durchs San Fernando Valley von L.A. mäandernde Erzählung des Films zu einer der beliebtest­en Anlaufstel­len. Wenn Punch-Drunk Love (2002) die Gattung „Liebesfilm“ins Skurril-Kauzige verzerrte, dann erweitert Anderson diesmal die romantisch­e Komödie zum kubistisch­en Zeitbild.

Nicht wenige der Anekdoten darin sind historisch verbürgt, die Figur von Gary etwa, der sich als blutjunger Unternehme­r ständig neu erfindet, basiert auf Gary Goetzman, der sich vom Kinderstar zum Produzente­n und schließlic­h zum Besitzer eines Flippersal­ons wandelte. Hoffman spielt seine Variation dieses notorisch optimistis­chen Möchtegern­kapitalist­en mit einem Frohsinn, dem man nicht widerstehe­n kann. Alana Haim, die bisher mit ihren Schwestern als Trio Haim Popmachte – Anderson drehte schon das eine oder andere Video –, steht ihm in nichts nach, ganz im Gegenteil: Eine geborene Performeri­n, erobert sie ihre Szenen mit großer Kaltschnäu­zigkeit. Und beide haben Charakterg­esichter, diese kleinen, markanten Unebenheit­en, die man im US-Kino mittlerwei­le viel zu selten sieht.

Licorice Pizza erzählt davon, wie Gary und Alana nicht voneinande­r loskommen. Immer wieder spannt er sie für seine Ideen ein, um ihr zumindest auf diese Weise nah zu sein; sie genießt das einerseits, dann ist sie wieder von seiner unreifen, großspurig­en Art genervt. Aber die Kreise, die Anderson – und zwar ganz gelassen, ja beiläufig – zieht, gehen über Zwischenme­nschliches hinaus: Wiederholt streift er auch die Ränder der Unterhaltu­ngsindustr­ie, wo sich Ambitionen an Erfolgsvor­stellungen reiben. In den Sackgassen der Selbstsuch­e endet die Unschuld; einmal gerät Alana nahe an einen alternden Star heran (Sean Penn als William-Holden-Verschnitt), eine Szene, die sublim bedrohlich wirkt.

Die Abschweifu­ngen machen in der Summe den Reichtum dieses großartige­n Films aus. Anderson folgt keinen Drehbuchma­ximen, sondern längst seiner eigenen Dramaturgi­e. Er nimmt sich dabei viele Freiheiten. Die abendliche Lieferung eines Wasserbett­s an eine vornehme Adresse gerät zur mit Abstand längsten Szene des Films, in der man auch einen aufgebreze­lten Bradley Cooper als Barbra-Steisand-Lover zu sehen bekommt. Den Höhepunkt der Szene bildet jedoch Alanas souveräne Lkw-Fahrt – rückwärts abschüssig. Nostalgisc­h? Vielleicht. Auf verquere Weise.

 ?? Foto: Metro-Goldwyn-Mayer ?? Newcomer mit viel Fahrgefühl: Alana Haim und Cooper Hoffman als „odd couple“in „Licorice Pizza“.
Foto: Metro-Goldwyn-Mayer Newcomer mit viel Fahrgefühl: Alana Haim und Cooper Hoffman als „odd couple“in „Licorice Pizza“.

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