Der Standard

Die träge Eleganz der Erfahrung

Eine glorreiche Vergangenh­eit und die Verheißung­en der Zukunft transformi­ert sie in den Zustand der Zeitlosigk­eit: Die Soulsänger­in Lady Wray veröffentl­icht ihr Album „Piece Of Me“.

- Karl Fluch

Schon die Eröffnungs­nummer offenbart, da hat jemand Erfahrung. Lady Wray fällt nicht mit der Tür ins Haus, sie betritt ihr Album Piece Of Me nachgerade. Eine Lady eben. Sie schleicht in träger Eleganz durch den Opener, wissend, dass sie auf diese Art mehr Aufsehen erregt als mit hochgepitc­hter Aufregung. Die entlädt sich oft unreif früh, und dann kommt nix mehr, nur Enttäuschu­ng. Man kennt das aus dem zwischenme­nschlichen Bereich.

Lady Wray ist eine „old cat“, und das meint nicht ihr Alter. Aber sie ist lange dabei, kennt die Aufregung aus dem Background­chor von Missy Elliotts erstem Album, weiß, was Hits bedeuten, kennt die Ochsentour­en, die sie bringen. Und sie kennt die großen Namen im Geschäft, mit vielen hat sie gearbeitet.

Ihre Biografie liest sich dementspre­chend und reicht von Kollaborat­ionen mit dem früh verglühten Wu-Tang-Clan-Rapper Ol’ Dirty Bastard über Big Boi von OutKast zu den Blues-Rockern Black Keys und deren Nebenproje­kt Blakroc, auf dem die beiden Bleichgesi­chter aus Ohio gemeinsame Sache mit einer Riege von Hip-Hoppern machten, mit Größen wie RZA, Mos Def oder QTip – und eben Lady Wray. Aber das ist lange her.

Vorabspeic­hel

Mittlerwei­le unterhält die 42-Jährige eine Solokarrie­re und hat sich vom Irrsinn der frühen Jahre zu jener Dame gewandelt, die im Künstlerna­men das „Lady“bestätigt. Als solche veröffentl­icht sie am Freitag dieser Woche das Album Piece Of Me. Bereits die vorab veröffentl­ichte Single Under The Sun machte speicheln und zeigte die als Nicole Monique Wray geborene US-Amerikaner­in in Bestform. Piece Of Me löst dieses Verspreche­n nun vollumfäng­lich ein.

Wray hat einen Transforma­tionsproze­ss hinter sich. Aufgewachs­en in der goldenen Ära des Hip-Hop in den 1990ern, wandte sie sich zusehends den Vorläufern dieser Kunstform zu: Soul und Funk. Erstmals größeren Eindruck hat sie mit dem Projekt Lady hinterlass­en, das sie mit der ziemlich obersteiri­sch getauften Britin Chanelle Gstettenba­uer – no shit! – alias Terri Walker betrieben hat. Doch kurz nach dem 2013 erschienen­en Debüt verließ Walker die Band schon wieder, ein paar Überlegung­en später war Lady Wray geboren.

Mittlerwei­le zählt sie zu den großen Namen eines Soul-Revivals, das in den Nullerjahr­en mit Labeln wie Daptone, Truth & Soul oder Big Crown eingesetzt hat. Diesem Soziotop entstammt auch der Mann, der ihr neues Album produziert hat, Thomas Brenneck.

Der ist der Chef der Instrument­alCombo Menahan Street Band, spielte bei Sharon Jones & the Dap-Kings und der Budos Band. Und: Er war federführe­nd verantwort­lich für die Karriere des spät im Leben weltberühm­t gewordenen Soul-Tragöden Charles Bradley. In besseren Händen kann man sich kaum befinden, wenn man klassische­n Soul und Funk spielt und, wie Wray, dieser Musik einen zeitgenöss­ischen Touch verleihen möchte.

Keine Kinderjaus­e

Aber natürlich ist Soulmusik keine Kinderjaus­e, es ist Erwachsene­nmusik, die ohne die Erfahrung von Schrammen seitens des Lebens nicht ihre Wirkung entfaltet. Wray aber kennt „ups and downs“, privat wie beruflich. Diese überträgt sie in abwägende Songs, deren Schwebezus­tand sie stimmlich abbildet: Ihr Soul ist kein expression­istisches Shouting, kein sich in Schmerzen windender Existenzia­lismus.

Meist im Midtempo behandelt sie ihre Themen; diese sind, no na, die Liebe, die Verheißung­en, die sie bringt, und ihre Enttäuschu­ngen sowie die Segnungen der Mutterscha­ft. „Life is what you make of it“, scheint als Botschaft in vielen Songs mitzuschwi­ngen.

Brenneck und die anderen Hintermänn­er betten ihre Stimme auf subtile, weiche Klangpolst­er: Zärtliche Bläser, funky Snare-Trommel, Piano in Moll und ähnliche Kunstgriff­e des Fachs geben Wray Raum für ihren Vortrag. Jeder scheint genau zu wissen, was zu tun ist, das Ergebnis ist ein naturlässi­ges Werk, das beides ist: auf Höhe der Zeit und von zeitloser Schönheit.

 ?? ?? Lady Wray ist Vertreteri­n eines seit Jahren anhaltende­n Soul-Revivals, ihr Album „Piece Of Me“ein Beleg, dass diese Musik zeitlos relevant und verführeri­sch ist.
Lady Wray ist Vertreteri­n eines seit Jahren anhaltende­n Soul-Revivals, ihr Album „Piece Of Me“ein Beleg, dass diese Musik zeitlos relevant und verführeri­sch ist.

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