Verschwendung und Verschleierung
Besseres Image
Betrifft: „Die Angst der Männer vor den Purzelbäumen“von Walter Müller
der Standard, 21. 1. 2022 Um mehr Burschen – und im Übrigen auch kluge und starke Mädchen – für den Beruf zu gewinnen, bedarf es einer Image-Aufwertung und damit einhergehend einer besseren Bezahlung von Elementarpädagog:innen. An der Bezahlung wird der STANDARD nichts ändern können, wohl aber am Image! Leider trägt Ihr Beitrag nur wieder zur Verfestigung von Stereotypen bei, nämlich dass Burschen von einer Eignungsfeststellung abgeschreckt würden, in der Bereiche wie Bewegung, Musisches und Gestaltungsfähigkeit „geprüft“werden.
Gerade diese Bereiche liegen für gewöhnlich in verstärktem Interesse der Jugendlichen, die sich an einer BAfEP bewerben, und bilden außerdem knapp ein Drittel der Stundentafel in diesem Schultyp. Ebenso lassen die im Text suggerierten Vorstellungen – etwa, dass in elementarpädagogischen Einrichtungen „Onkel und Tanten“den Kindern zeigen „wie ein Baum geht“– vermuten, dass der Verfasser schon lange keinen Kindergarten mehr von innen gesehen hat.
Die völlig absurde Aussage „Elementarpädagog:in wäre ja mein Traumberuf gewesen, aber weil ich bei der Eignungsfeststellung einen Purzelbaum hätte schlagen müssen, habe ich mich gegen die Ausbildung entschieden“wird man vermutlich nicht häufig zu hören bekommen. Viel realistischer ist doch: „Ich arbeite gerne mit Kindern und könnte mir gut vorstellen, Elementarpädagog:in zu sein, aber die Bezahlung in diesem Bereich ist so dermaßen schlecht, dass ich mich gegen die Ausbildung entschieden habe.“
Die Elementarpädagogik verdient schon längst ein besseres Image, legt sie doch den wertvollen Grundstein für das weitere Leben und Lernen eines jeden Kindes!
Nora Wimmer,
4020 Linz
Die USA schotten sich gegen Mexiko ab, sogar in Europa wird laut über Mauern nachgedacht. Dabei nützen sie in der postnationalen Situation nichts gegen die soziale und politische Verunsicherung. Das Gegenteil ist der Fall: Der globale Markt profitiert, die Ängste wachsen mit.
Das Europa der 27 ist das Ergebnis einer einzigartigen Versöhnung nach einer einzigartigen Tragödie. Und Berlin, am 9. November, ist seine symbolische Hauptstadt“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel in seiner Rede zur Lage Europas Ende 2021. Berlin, so führte er aus, das sei für ihn jener Ort, „wo der physische Fall der Mauer zum langsamen Abbau mentaler Mauern führte“. Kurz darauf verkündete der EU-Ratspräsident, dass die Errichtung neuer Mauern um Europa herum jetzt erwogen werden muss. Der Widerspruch ist so konsternierend wie für die Gegenwart sprechend.
Warum sind Bevölkerungen zunehmend wieder bereit, enorme Summen für Grenzbefestigungen wie etwa jene zwischen den USA und Mexiko aufzubringen? Aktuelle Untersuchungen beantworten diese Frage mit Bezug auf die sich in den letzten zwei Jahrzehnten herausgebildete postnationale Situation. Sie legen einen Zusammenhang nahe zwischen der Erfahrung einer durch die postnationale Realität geschwächten staatlichen Souveränität und dem Wunsch nach Abgrenzung durch sichtbare Mauerbauten. Das mag zunächst als Befund nicht überraschen: Je stärker die staatliche Souveränität durch eine globalisierte Situation außer Kraft gesetzt wird, desto häufiger werden Grenzmauern gebaut, um zu zeigen, dass man sich um Reinstallation des Verlorenen bemüht.
Nicht nützlich
Überdimensionale Grenzmauern stellen sich mit ihrer Formsprache offensichtlich gegen die erlebte Fluidität. Während die Mauern visuell Abgrenzung und Sicherung repräsentieren, erhöhen sie allerdings das bereits bestehende Ungleichgewicht zwischen globalisiertem Markt auf der einen und weitgehend auf den nationalstaatlichen Kontext bezogene demokratische Partizipation und Rechtsprechung auf der anderen Seite.
Grenzbefestigungen bringen die politische Entscheidungsmacht nicht ins Rathaus oder an die Urne zurück. Der Einfluss demokratischer Partizipation nimmt ebenso wenig zu, wie Schmuggel, Menschenhandel, Armut oder die ökologischen Probleme abnimmt. Der heutige Grenzmauerbau ist allerdings nicht nur nicht nützlich in Hinsicht auf das, was versprochen wird, sondern er schwächt sogar, was er zu stärken vorgibt. Vier Aspekte sind hervorzuheben:
Verunsicherung nimmt zu Die Symbolik der Abgrenzung verspricht radikale Sicherheit, bietet sie faktisch aber nicht. Daraus resultieren einerseits neuerliche kollektive Verunsicherung in Bezug auf die eigenen Möglichkeiten und andererseits noch mehr Angst vor dem unbekannten Außen. Denn wenn die nationale Souveränität trotz all des Aufwandes nicht wieder vollständig hergestellt werden kann, wie schlimm muss das sich vollziehende Geschehen sein? Die soziale und politische Verunsicherung nimmt unter diesem Eindruck kontinuierlich zu statt ab. Die Mauern werden höher gebaut, die Ängste wachsen parallel dazu mit.
Vertrauen in partizipative Verfahren nimmt ab Die Gestalt von Grenzmauern verbindet das Versprechen von Sicherheit mit Starrheit und Unüberwindbarkeit. Grenzmauern bekräftigen mit ihrer Formsprache die Möglichkeit einer exakten Zuordnung und behaupten Ein- und Ausgrenzung als politische Problemlösungsstrategie. Das binäre Denken erfährt dabei Affirmation.
Aus dem Blick gerät hingegen das Verbindende und Gemeinsame ebenso wie die Grenze als Transitzone. Damit zusammenhängend werden die Alternativen politischer Beziehungspflege wie Diplomatie, Abkommen, Konferenzen, intellektueller und kultureller Austausch generell als politische Verfahren marginalisiert.
Lokale Wirtschaftsleistung wird reduziert Die Verneinung der Grenze als Ort des Übergangs, der Vermischungen und Schnittmengen hat auch konkrete ökonomische Konsequenzen. An Ort und Stelle findet an den neuen Grenzmauern weniger Handel statt. Die ökonomischen Interessen der Grenzregionen werden dadurch vernachlässigt, hingegen werden die ökonomischen Interessen globaler Unternehmen, etwa von Sicherheitstechnologieanbietern, weiter gestärkt.
Globale Unternehmen profitieren
Grenzmauern sind anspruchsvolle Bauwerke, welche nicht nur erhalten, sondern fortlaufend perfektioniert werden. Spezialisierte Bauteile modernster Sicherheitstechnologien oder exklusives Überwachungs-Know-how werden heute von global tätigen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Diese Unternehmen
„Warum sind Bevölkerungen zunehmend wieder bereit, enorme Summen für Grenzbefestigungen aufzubringen?“
haben ein genuines Marktinteresse, dass solche Grenzbefestigungen instand gehalten und ausgebaut werden, denn hier fließen öffentliche Mittel. Das Gegenteil davon, was Mauern versinnbildlichen, realisiert sich tatsächlich: Die ökonomische Globalisierung nimmt weiter zu.
Grenzbefestigungen gründen in Symbolpolitik mit einem zu hohen Preis. Statt das Geld an eine kollektive Fantasie mit destruktiver Wirkung zu verschwenden, sollte gefragt werden, was zu machen ist, um die Souveränität aller Personen tatsächlich zu stärken – etwa durch Bildung, Gesundheit, Kultur, gemeinschaftliche Einrichtungen, soziale Unterstützungen – oder um staatliche Souveränität in Kooperation mit anderen Staaten neu zu definieren und institutionell zu verankern.
Keine Festungen
Die kreativsten Köpfe sollten beauftragt werden, um Grenzverläufe so zu gestalten, dass sie uns vergegenwärtigten, Menschen unter Menschen zu sein, begegnungsfähige Transitlebewesen, keine Festungen. Damit wird nicht die Abschaffung aller Grenzen gefordert, aber mit Nachdruck ein Ende der Grenzbefestigungsarchitektur.
Denn diese Luxusbauten überführen die postnationale Situation weder zurück in eine nationale, wie es manche wünschen, noch verringern sie die bereits entstandene Asymmetrie zwischen globalem Markt und nationalstaatlicher Politik und Justiz. Weil Grenzmauern diese Effekte durch ihre Erscheinung verschleiern, leisten sie nicht nur keinen Beitrag zu einer politischen Deeskalation, sondern tragen zu einer Verschärfung der Probleme bei.