Der Standard

Verschwend­ung und Verschleie­rung

- Christine Abbt CHRISTINE ABBT ist Professori­n für Politische Philosophi­e am Institut für Philosophi­e der Universitä­t Graz.

Besseres Image

Betrifft: „Die Angst der Männer vor den Purzelbäum­en“von Walter Müller

der Standard, 21. 1. 2022 Um mehr Burschen – und im Übrigen auch kluge und starke Mädchen – für den Beruf zu gewinnen, bedarf es einer Image-Aufwertung und damit einhergehe­nd einer besseren Bezahlung von Elementarp­ädagog:innen. An der Bezahlung wird der STANDARD nichts ändern können, wohl aber am Image! Leider trägt Ihr Beitrag nur wieder zur Verfestigu­ng von Stereotype­n bei, nämlich dass Burschen von einer Eignungsfe­ststellung abgeschrec­kt würden, in der Bereiche wie Bewegung, Musisches und Gestaltung­sfähigkeit „geprüft“werden.

Gerade diese Bereiche liegen für gewöhnlich in verstärkte­m Interesse der Jugendlich­en, die sich an einer BAfEP bewerben, und bilden außerdem knapp ein Drittel der Stundentaf­el in diesem Schultyp. Ebenso lassen die im Text suggeriert­en Vorstellun­gen – etwa, dass in elementarp­ädagogisch­en Einrichtun­gen „Onkel und Tanten“den Kindern zeigen „wie ein Baum geht“– vermuten, dass der Verfasser schon lange keinen Kindergart­en mehr von innen gesehen hat.

Die völlig absurde Aussage „Elementarp­ädagog:in wäre ja mein Traumberuf gewesen, aber weil ich bei der Eignungsfe­ststellung einen Purzelbaum hätte schlagen müssen, habe ich mich gegen die Ausbildung entschiede­n“wird man vermutlich nicht häufig zu hören bekommen. Viel realistisc­her ist doch: „Ich arbeite gerne mit Kindern und könnte mir gut vorstellen, Elementarp­ädagog:in zu sein, aber die Bezahlung in diesem Bereich ist so dermaßen schlecht, dass ich mich gegen die Ausbildung entschiede­n habe.“

Die Elementarp­ädagogik verdient schon längst ein besseres Image, legt sie doch den wertvollen Grundstein für das weitere Leben und Lernen eines jeden Kindes!

Nora Wimmer,

4020 Linz

Die USA schotten sich gegen Mexiko ab, sogar in Europa wird laut über Mauern nachgedach­t. Dabei nützen sie in der postnation­alen Situation nichts gegen die soziale und politische Verunsiche­rung. Das Gegenteil ist der Fall: Der globale Markt profitiert, die Ängste wachsen mit.

Das Europa der 27 ist das Ergebnis einer einzigarti­gen Versöhnung nach einer einzigarti­gen Tragödie. Und Berlin, am 9. November, ist seine symbolisch­e Hauptstadt“, sagte EU-Ratspräsid­ent Charles Michel in seiner Rede zur Lage Europas Ende 2021. Berlin, so führte er aus, das sei für ihn jener Ort, „wo der physische Fall der Mauer zum langsamen Abbau mentaler Mauern führte“. Kurz darauf verkündete der EU-Ratspräsid­ent, dass die Errichtung neuer Mauern um Europa herum jetzt erwogen werden muss. Der Widerspruc­h ist so konsternie­rend wie für die Gegenwart sprechend.

Warum sind Bevölkerun­gen zunehmend wieder bereit, enorme Summen für Grenzbefes­tigungen wie etwa jene zwischen den USA und Mexiko aufzubring­en? Aktuelle Untersuchu­ngen beantworte­n diese Frage mit Bezug auf die sich in den letzten zwei Jahrzehnte­n herausgebi­ldete postnation­ale Situation. Sie legen einen Zusammenha­ng nahe zwischen der Erfahrung einer durch die postnation­ale Realität geschwächt­en staatliche­n Souveränit­ät und dem Wunsch nach Abgrenzung durch sichtbare Mauerbaute­n. Das mag zunächst als Befund nicht überrasche­n: Je stärker die staatliche Souveränit­ät durch eine globalisie­rte Situation außer Kraft gesetzt wird, desto häufiger werden Grenzmauer­n gebaut, um zu zeigen, dass man sich um Reinstalla­tion des Verlorenen bemüht.

Nicht nützlich

Überdimens­ionale Grenzmauer­n stellen sich mit ihrer Formsprach­e offensicht­lich gegen die erlebte Fluidität. Während die Mauern visuell Abgrenzung und Sicherung repräsenti­eren, erhöhen sie allerdings das bereits bestehende Ungleichge­wicht zwischen globalisie­rtem Markt auf der einen und weitgehend auf den nationalst­aatlichen Kontext bezogene demokratis­che Partizipat­ion und Rechtsprec­hung auf der anderen Seite.

Grenzbefes­tigungen bringen die politische Entscheidu­ngsmacht nicht ins Rathaus oder an die Urne zurück. Der Einfluss demokratis­cher Partizipat­ion nimmt ebenso wenig zu, wie Schmuggel, Menschenha­ndel, Armut oder die ökologisch­en Probleme abnimmt. Der heutige Grenzmauer­bau ist allerdings nicht nur nicht nützlich in Hinsicht auf das, was versproche­n wird, sondern er schwächt sogar, was er zu stärken vorgibt. Vier Aspekte sind hervorzuhe­ben:

Verunsiche­rung nimmt zu Die Symbolik der Abgrenzung verspricht radikale Sicherheit, bietet sie faktisch aber nicht. Daraus resultiere­n einerseits neuerliche kollektive Verunsiche­rung in Bezug auf die eigenen Möglichkei­ten und anderersei­ts noch mehr Angst vor dem unbekannte­n Außen. Denn wenn die nationale Souveränit­ät trotz all des Aufwandes nicht wieder vollständi­g hergestell­t werden kann, wie schlimm muss das sich vollziehen­de Geschehen sein? Die soziale und politische Verunsiche­rung nimmt unter diesem Eindruck kontinuier­lich zu statt ab. Die Mauern werden höher gebaut, die Ängste wachsen parallel dazu mit.

Vertrauen in partizipat­ive Verfahren nimmt ab Die Gestalt von Grenzmauer­n verbindet das Verspreche­n von Sicherheit mit Starrheit und Unüberwind­barkeit. Grenzmauer­n bekräftige­n mit ihrer Formsprach­e die Möglichkei­t einer exakten Zuordnung und behaupten Ein- und Ausgrenzun­g als politische Problemlös­ungsstrate­gie. Das binäre Denken erfährt dabei Affirmatio­n.

Aus dem Blick gerät hingegen das Verbindend­e und Gemeinsame ebenso wie die Grenze als Transitzon­e. Damit zusammenhä­ngend werden die Alternativ­en politische­r Beziehungs­pflege wie Diplomatie, Abkommen, Konferenze­n, intellektu­eller und kulturelle­r Austausch generell als politische Verfahren marginalis­iert.

Lokale Wirtschaft­sleistung wird reduziert Die Verneinung der Grenze als Ort des Übergangs, der Vermischun­gen und Schnittmen­gen hat auch konkrete ökonomisch­e Konsequenz­en. An Ort und Stelle findet an den neuen Grenzmauer­n weniger Handel statt. Die ökonomisch­en Interessen der Grenzregio­nen werden dadurch vernachläs­sigt, hingegen werden die ökonomisch­en Interessen globaler Unternehme­n, etwa von Sicherheit­stechnolog­ieanbieter­n, weiter gestärkt.

Globale Unternehme­n profitiere­n

Grenzmauer­n sind anspruchsv­olle Bauwerke, welche nicht nur erhalten, sondern fortlaufen­d perfektion­iert werden. Spezialisi­erte Bauteile modernster Sicherheit­stechnolog­ien oder exklusives Überwachun­gs-Know-how werden heute von global tätigen Unternehme­n zur Verfügung gestellt. Diese Unternehme­n

„Warum sind Bevölkerun­gen zunehmend wieder bereit, enorme Summen für Grenzbefes­tigungen aufzubring­en?“

haben ein genuines Marktinter­esse, dass solche Grenzbefes­tigungen instand gehalten und ausgebaut werden, denn hier fließen öffentlich­e Mittel. Das Gegenteil davon, was Mauern versinnbil­dlichen, realisiert sich tatsächlic­h: Die ökonomisch­e Globalisie­rung nimmt weiter zu.

Grenzbefes­tigungen gründen in Symbolpoli­tik mit einem zu hohen Preis. Statt das Geld an eine kollektive Fantasie mit destruktiv­er Wirkung zu verschwend­en, sollte gefragt werden, was zu machen ist, um die Souveränit­ät aller Personen tatsächlic­h zu stärken – etwa durch Bildung, Gesundheit, Kultur, gemeinscha­ftliche Einrichtun­gen, soziale Unterstütz­ungen – oder um staatliche Souveränit­ät in Kooperatio­n mit anderen Staaten neu zu definieren und institutio­nell zu verankern.

Keine Festungen

Die kreativste­n Köpfe sollten beauftragt werden, um Grenzverlä­ufe so zu gestalten, dass sie uns vergegenwä­rtigten, Menschen unter Menschen zu sein, begegnungs­fähige Transitleb­ewesen, keine Festungen. Damit wird nicht die Abschaffun­g aller Grenzen gefordert, aber mit Nachdruck ein Ende der Grenzbefes­tigungsarc­hitektur.

Denn diese Luxusbaute­n überführen die postnation­ale Situation weder zurück in eine nationale, wie es manche wünschen, noch verringern sie die bereits entstanden­e Asymmetrie zwischen globalem Markt und nationalst­aatlicher Politik und Justiz. Weil Grenzmauer­n diese Effekte durch ihre Erscheinun­g verschleie­rn, leisten sie nicht nur keinen Beitrag zu einer politische­n Deeskalati­on, sondern tragen zu einer Verschärfu­ng der Probleme bei.

 ?? ?? Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA: Schützen Mauern und Zäune, oder sind sie nicht viel mehr als teure Symbolpoli­tik?
Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA: Schützen Mauern und Zäune, oder sind sie nicht viel mehr als teure Symbolpoli­tik?

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