Der Standard

Viele Corona-Tests, fraglicher Nutzen

Österreich testet viel mehr als die meisten anderen Länder, im vergangene­n Jahr gab der Staat mehr als zwei Milliarden Euro aus. Was der konkrete Erfolg der Strategie ist, lässt sich aber nicht sagen. Das Geschäft floriert.

- András Szigetvari, Steffen Arora, Michael Matzenberg­er

Für Platz eins hat es nicht gereicht, aber Österreich ist Vizeeuropa­meister. Nur in Zypern gibt es im Verhältnis zur Bevölkerun­g noch mehr Corona-Tests. Die Abstände sind gewaltig. In Österreich wurden zuletzt mehr als 500.000 Corona-Tests am Tag ausgewerte­t, das sind etwa 77 Tests je 1000 Einwohner. In Dänemark, das uns noch am nächsten kommt, sind es mit 37 Tests je 1000 Einwohner nicht einmal halb so viele. Österreich testet sogar viermal so viel wie Italien und Frankreich. Im Verhältnis zu Deutschlan­d und vielen anderen ist es sogar zehnmal mehr.

Zahlt sich diese Strategie aus? Was lässt sich zu Kosten, Nutzen und Nebenwirku­ngen sagen?

Sicher ist, dass Testen zu einem Industriez­weig in Österreich geworden ist. Eine zentrale Drehscheib­e ist die Bundesbesc­haffung GmbH. Das Unternehme­n schließt im Auftrag der Republik mit Anbietern von Testinfras­truktur Rahmenvere­inbarungen ab. Das Volumen für die zehn größten dieser Verträge beläuft sich laut einer Auswertung des Neos-Lab, eines Partei-Thinktanks, aktuell auf 4,3 Milliarden Euro.

Dabei werden Tests erst vom Auftraggeb­er, zum Beispiel einem Bundesland oder einem Ministeriu­m, bezahlt, wenn sie durchgefüh­rt wurden. Die 4,3 Milliarden Euro sind also noch nicht voll ausgeschöp­ft. Dafür sind die Apotheken in diesem Betrag nicht dabei: Die Apotheken müssen sich nicht um öffentlich­e Aufträge bewerben, sie können testen und das direkt über die Krankenkas­sen mit dem Bund abrechnen. Gut 1000 Apotheken machen das aktuell.

Ein Test in der Apotheke kostet den Steuerzahl­er 25 Euro, egal ob PCR oder Antigen. Für einen Gurgeltest sind es in Wien je nach ausgewerte­ter Menge fünf bis acht Euro, ein Schnelltes­t kostet bis fünf Euro.

Im vergangene­n Jahr gab das Gesundheit­sministeri­um 1,7 Milliarden für Tests aus. Mit den Ausgaben für Schultests und Tests für Unternehme­n liegen die Gesamtkost­en bei deutlich über zwei Milliarden.

Die Tendenz war zuletzt stark steigend, die Zahl der Testungen hat sich seit Oktober verdoppelt.

Diese enorme Nachfrage führt zu einem Wildwuchs bei Anbietern. Sieht man sich die Rahmenvert­räge bei der Bundesbesc­haffung GmbH an, finden sich da mehr als 150 Unternehme­n. Da sind dutzende Labore dabei, Logistikun­ternehmen, das Rote Kreuz, Pharmafirm­en, Labore aus Ungarn, eine Privatklin­ik, die eine Teststraße betreibt, selbst ein Schönheits­salon.

Einfacher Einstieg

Der Einstieg ins lukrative Testgeschä­ft ist auch denkbar einfach. Denn um ausreichen­d Testkapazi­täten zur Verfügung zu stellen, erlaubte das Pandemiege­setz eine Aufweichun­g der Bestimmung­en. So ist es nicht mehr nur fachärztli­ch geführten, humanmediz­inischen Laboren erlaubt, PCR-Tests durchzufüh­ren und zu analysiere­n. Auch naturwisse­nschaftlic­he und veterinärm­edizinisch­e Labore dürfen sich anmelden. Dafür genügt es, einen Fragebogen auszufülle­n und ans Gesundheit­sministeri­um zu retournier­en.

Große Fische

Während sich viele Player am Markt tummeln, gibt es ein paar große Fische mit Kapazunder­n an Bord. Da sind etwa Lead Horizon und Lifebrain. Sie führen die Gurgelund Schultests in Wien durch, das Konzept „Alles gurgelt“gibt es inzwischen auch in Oberösterr­eich.

Das Testkit und die Software, stammen von Lead Horizon. Das Unternehme­n gehört zu 73 Prozent dem Innovation­smanager Michael Puntz und zu 27 Prozent dem Virologen Christoph Steininger. Letzterere­r hat damit eine Doppelroll­e: Als Unternehme­r im Testbusine­ss und als Virologe, der in Medien zum Pandemiema­nagement spricht.

Das ist nicht der einzige Fall einer möglichen Doppelroll­e. Die Innsbrucke­r Virologin Dorothee von Laer startete mit ihrem Institut an der Med-Uni Innsbruck im Juli 2021 eine Kooperatio­n mit Novatium. Die Med-Uni bewarb sich mit Novatium als Subunterne­hmen bei der Neuausschr­eibung für PCR-Tests und erhielt den Zuschlag für eines der vier Tiroler Lose. Im November erhielt dann Novatium, nun mit der MedUni Innsbruck als Subunterne­hmen, auch den Zuschlag für PCRGurgelt­ests in Tirol. Auftragswe­rt im hohen zweistelli­gen Millionenb­ereich. Allerdings fließe im Rahmen der Kooperatio­n kein Geld, so die Uni: „Für Novatium erbringt die Medizinisc­he Universitä­t Innsbruck aktuell keine entgeltlic­hen Leistungen. Dorothee von Laer steht aber mit Novatium in Kontakt.“

Wie sehen die Betroffene­n die Rolle? Von Laer war nicht erreichbar. Steininger meint: Er sei seit August nur mehr Gesellscha­fter bei Lead Horizon und habe auf das operative Geschäft keinen Einfluss. „Im Wiener Testregime habe ich ebenfalls keine Rolle mehr. Ich habe daher als Virologe keine Doppelroll­e und keinen Conflict of Interest.“

Unklares Ergebnis

Viele Tests, viel Geld, ein großer Industriez­weig mit großen und kleinen Namen. Die wichtigste Frage ist allerdings, was die Testerei bringt.

Obwohl Österreich so viel testet, schlittert­e das Land in vier bundesweit­e Lockdowns. In der jüngsten Delta-Welle im Herbst war die Übersterbl­ichkeit in Österreich sogar höher als in Deutschlan­d, das eine ähnlich hohe Impfquote hat, und auch höher als in der Schweiz.

Der Mikrobiolo­ge Michael Wagner sagt, dass solche Vergleiche wenig Sinn ergeben: In jedem Land seien die Corona-Regeln anders, Testen sei nur ein Faktor. Wird wo mehr getestet, aber weniger kontrollie­rt, ob die Regeln eingehalte­n werden, unterlaufe das die Teststrate­gie.

Aber hier geht es ja nicht nur um ein paar Tausend Euro. Braucht es bei Ausgaben in Milliarden­höhe nicht klare Belege dafür, was die Tests bringen? Der Simulation­sforscher Niki Popper sagt, dass Tests sehr wohl eine Rolle im Pandemiema­nagement spielen können, weil sich damit die Infektions­dynamik bremsen lasse. Dazu müsse aber das Contact-Tracing funktionie­ren, was durch Omikron zusammenge­brochen ist. Und Popper sagt auch: „Mit Testen Lockdowns auszuschli­eßen ist realitätsf­remd.“Wirkliche wissenscha­ftliche Studien zur Wirkung der Tests gibt es in Österreich nur aus dem Schulsetti­ng. Für alles andere fehlen Daten, sagt Popper. Und wohl auch ein klares Setting: Was sind die Ziele der Strategie, wie wird Erfolg gemessen? Das bleibt von der Politik weitgehend unbeantwor­tet.

„Österreich testet ohne Maß, und leider viel zu oft auch ohne Ziel. Was das teure Testregime wirklich dazu beiträgt, um die Risikogrup­pen und die Intensivka­pazitäten zu schützen und um Maßnahmen-Hammer wie Schließung­en zu verhindern, ist viel zu unklar“, sagt Lukas Sustala, der das Neos-Lab leitet.

Eine andere Frage bleibt, ob sich politisch überhaupt durchsetze­n ließe, die Tests zurückzufa­hren. Viele haben sich an das Angebot gewöhnt.

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