Viele Corona-Tests, fraglicher Nutzen
Österreich testet viel mehr als die meisten anderen Länder, im vergangenen Jahr gab der Staat mehr als zwei Milliarden Euro aus. Was der konkrete Erfolg der Strategie ist, lässt sich aber nicht sagen. Das Geschäft floriert.
Für Platz eins hat es nicht gereicht, aber Österreich ist Vizeeuropameister. Nur in Zypern gibt es im Verhältnis zur Bevölkerung noch mehr Corona-Tests. Die Abstände sind gewaltig. In Österreich wurden zuletzt mehr als 500.000 Corona-Tests am Tag ausgewertet, das sind etwa 77 Tests je 1000 Einwohner. In Dänemark, das uns noch am nächsten kommt, sind es mit 37 Tests je 1000 Einwohner nicht einmal halb so viele. Österreich testet sogar viermal so viel wie Italien und Frankreich. Im Verhältnis zu Deutschland und vielen anderen ist es sogar zehnmal mehr.
Zahlt sich diese Strategie aus? Was lässt sich zu Kosten, Nutzen und Nebenwirkungen sagen?
Sicher ist, dass Testen zu einem Industriezweig in Österreich geworden ist. Eine zentrale Drehscheibe ist die Bundesbeschaffung GmbH. Das Unternehmen schließt im Auftrag der Republik mit Anbietern von Testinfrastruktur Rahmenvereinbarungen ab. Das Volumen für die zehn größten dieser Verträge beläuft sich laut einer Auswertung des Neos-Lab, eines Partei-Thinktanks, aktuell auf 4,3 Milliarden Euro.
Dabei werden Tests erst vom Auftraggeber, zum Beispiel einem Bundesland oder einem Ministerium, bezahlt, wenn sie durchgeführt wurden. Die 4,3 Milliarden Euro sind also noch nicht voll ausgeschöpft. Dafür sind die Apotheken in diesem Betrag nicht dabei: Die Apotheken müssen sich nicht um öffentliche Aufträge bewerben, sie können testen und das direkt über die Krankenkassen mit dem Bund abrechnen. Gut 1000 Apotheken machen das aktuell.
Ein Test in der Apotheke kostet den Steuerzahler 25 Euro, egal ob PCR oder Antigen. Für einen Gurgeltest sind es in Wien je nach ausgewerteter Menge fünf bis acht Euro, ein Schnelltest kostet bis fünf Euro.
Im vergangenen Jahr gab das Gesundheitsministerium 1,7 Milliarden für Tests aus. Mit den Ausgaben für Schultests und Tests für Unternehmen liegen die Gesamtkosten bei deutlich über zwei Milliarden.
Die Tendenz war zuletzt stark steigend, die Zahl der Testungen hat sich seit Oktober verdoppelt.
Diese enorme Nachfrage führt zu einem Wildwuchs bei Anbietern. Sieht man sich die Rahmenverträge bei der Bundesbeschaffung GmbH an, finden sich da mehr als 150 Unternehmen. Da sind dutzende Labore dabei, Logistikunternehmen, das Rote Kreuz, Pharmafirmen, Labore aus Ungarn, eine Privatklinik, die eine Teststraße betreibt, selbst ein Schönheitssalon.
Einfacher Einstieg
Der Einstieg ins lukrative Testgeschäft ist auch denkbar einfach. Denn um ausreichend Testkapazitäten zur Verfügung zu stellen, erlaubte das Pandemiegesetz eine Aufweichung der Bestimmungen. So ist es nicht mehr nur fachärztlich geführten, humanmedizinischen Laboren erlaubt, PCR-Tests durchzuführen und zu analysieren. Auch naturwissenschaftliche und veterinärmedizinische Labore dürfen sich anmelden. Dafür genügt es, einen Fragebogen auszufüllen und ans Gesundheitsministerium zu retournieren.
Große Fische
Während sich viele Player am Markt tummeln, gibt es ein paar große Fische mit Kapazundern an Bord. Da sind etwa Lead Horizon und Lifebrain. Sie führen die Gurgelund Schultests in Wien durch, das Konzept „Alles gurgelt“gibt es inzwischen auch in Oberösterreich.
Das Testkit und die Software, stammen von Lead Horizon. Das Unternehmen gehört zu 73 Prozent dem Innovationsmanager Michael Puntz und zu 27 Prozent dem Virologen Christoph Steininger. Letztererer hat damit eine Doppelrolle: Als Unternehmer im Testbusiness und als Virologe, der in Medien zum Pandemiemanagement spricht.
Das ist nicht der einzige Fall einer möglichen Doppelrolle. Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer startete mit ihrem Institut an der Med-Uni Innsbruck im Juli 2021 eine Kooperation mit Novatium. Die Med-Uni bewarb sich mit Novatium als Subunternehmen bei der Neuausschreibung für PCR-Tests und erhielt den Zuschlag für eines der vier Tiroler Lose. Im November erhielt dann Novatium, nun mit der MedUni Innsbruck als Subunternehmen, auch den Zuschlag für PCRGurgeltests in Tirol. Auftragswert im hohen zweistelligen Millionenbereich. Allerdings fließe im Rahmen der Kooperation kein Geld, so die Uni: „Für Novatium erbringt die Medizinische Universität Innsbruck aktuell keine entgeltlichen Leistungen. Dorothee von Laer steht aber mit Novatium in Kontakt.“
Wie sehen die Betroffenen die Rolle? Von Laer war nicht erreichbar. Steininger meint: Er sei seit August nur mehr Gesellschafter bei Lead Horizon und habe auf das operative Geschäft keinen Einfluss. „Im Wiener Testregime habe ich ebenfalls keine Rolle mehr. Ich habe daher als Virologe keine Doppelrolle und keinen Conflict of Interest.“
Unklares Ergebnis
Viele Tests, viel Geld, ein großer Industriezweig mit großen und kleinen Namen. Die wichtigste Frage ist allerdings, was die Testerei bringt.
Obwohl Österreich so viel testet, schlitterte das Land in vier bundesweite Lockdowns. In der jüngsten Delta-Welle im Herbst war die Übersterblichkeit in Österreich sogar höher als in Deutschland, das eine ähnlich hohe Impfquote hat, und auch höher als in der Schweiz.
Der Mikrobiologe Michael Wagner sagt, dass solche Vergleiche wenig Sinn ergeben: In jedem Land seien die Corona-Regeln anders, Testen sei nur ein Faktor. Wird wo mehr getestet, aber weniger kontrolliert, ob die Regeln eingehalten werden, unterlaufe das die Teststrategie.
Aber hier geht es ja nicht nur um ein paar Tausend Euro. Braucht es bei Ausgaben in Milliardenhöhe nicht klare Belege dafür, was die Tests bringen? Der Simulationsforscher Niki Popper sagt, dass Tests sehr wohl eine Rolle im Pandemiemanagement spielen können, weil sich damit die Infektionsdynamik bremsen lasse. Dazu müsse aber das Contact-Tracing funktionieren, was durch Omikron zusammengebrochen ist. Und Popper sagt auch: „Mit Testen Lockdowns auszuschließen ist realitätsfremd.“Wirkliche wissenschaftliche Studien zur Wirkung der Tests gibt es in Österreich nur aus dem Schulsetting. Für alles andere fehlen Daten, sagt Popper. Und wohl auch ein klares Setting: Was sind die Ziele der Strategie, wie wird Erfolg gemessen? Das bleibt von der Politik weitgehend unbeantwortet.
„Österreich testet ohne Maß, und leider viel zu oft auch ohne Ziel. Was das teure Testregime wirklich dazu beiträgt, um die Risikogruppen und die Intensivkapazitäten zu schützen und um Maßnahmen-Hammer wie Schließungen zu verhindern, ist viel zu unklar“, sagt Lukas Sustala, der das Neos-Lab leitet.
Eine andere Frage bleibt, ob sich politisch überhaupt durchsetzen ließe, die Tests zurückzufahren. Viele haben sich an das Angebot gewöhnt.