Der Standard

Der Ukraine-Dialog bleibt aufrecht

Vertreter Russlands und der Ukraine haben sich in Paris erstmals seit Beginn ihres neuen Konflikts zu Gesprächen getroffen. Deutsche und Franzosen betonen damit ihren Mitsprache­anspruch.

- Stefan Brändle aus Paris, Bianca Blei

Solange sie miteinande­r sprechen, bekriegen sie sich nicht: Nach dieser Devise haben Frankreich und Deutschlan­d die beiden Konfliktpa­rteien im Osten Europas zu Gesprächen nach Paris geladen. Allein schon die Tatsache, dass das Treffen im sogenannte­n Normandie-Format stattfand, war ein Fortschrit­t: Seit Beginn des russischen Truppenauf­marsches östlich der Ukraine hatten sich die beiden Nachbarsta­aten nicht mehr direkt gesprochen.

Die inhaltlich­en Erwartunge­n waren bescheiden. Die deutsch-französisc­he Diplomatie wollte die beiden östlichen Nachbarlän­der auf ein Datum für den Start von Verhandlun­gen über das Statut des strittigen Donbass-Gebiets verpflicht­en. Ob sich Kiew und Moskau darauf einließen, war bei Redaktions­schluss noch offen. Moskau hatte ein Vierertref­fen auf Minister- oder gar Präsidente­nebene ohnehin abgelehnt und nur einen Diplomaten – den Präsidialv­erwaltungs­vize Dmitri Kosak – nach Paris entsandt.

Kein Platz für die EU

Die deutschen und französisc­hen Vermittler erreichten im Vorfeld zwar, dass die Ukraine ein geplantes Gesetz über Straffolge­n für ostukraini­sche Separatist­en suspendier­te. Die russische Seite zog aber nicht nach. Sie bemühte sich sichtlich, die Bedeutung des Treffens im Normandie-Format herunterzu­spielen. In Moskau sagte Außenminis­ter Sergej Lawrow, die EU und die OSZE müssten sich gar nicht an der Konfliktbe­wältigung beteiligen.

Moskau verhandelt lieber „auf Augenhöhe“mit den USA, die eine bedeutend härtere Linie fahren als die EU. Lawrow zufolge geht es nicht um das Minsker Friedensab­kommen von 2015 zwischen Russen und Ukrainern. Wichtiger sei eine westliche Antwort auf die russischen Vorschläge für eine neue Sicherheit­sarchitekt­ur Europas. Konkret

heißt das – unter anderem – eine schriftlic­he Garantie, dass die Nato die Ukraine nicht aufnimmt.

Mit dieser Forderung treibt Russlands Präsident Wladimir Putin nicht zuletzt einen Keil in die westliche Allianz. Noch mehr als die USA und Großbritan­nien sehen Deutschlan­d und Frankreich keine Notwendigk­eit für einen baldigen NatoBeitri­tt der Ukraine. Nach deutschen Stimmen erklärte am Mittwoch auch die Präsidents­chaftskand­idatin der französisc­hen Konservati­ven, Valérie Pécresse, die Aufnahme Kiews in das Verteidigu­ngsbündnis habe „keine Priorität“. Darunter

leide nur die Versöhnung in einem Europa, das bis zum Ural reiche.

Die gleiche Position vertritt, ohne es offen zu sagen, Präsident Emmanuel Macron. Er und der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatten am Dienstag in Berlin ihre Einigkeit im Ukraine-Dossier betont. Die beiden äußern sich auch nicht zur Idee von US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premier Boris Johnson, Putin allenfalls persönlich mit Sanktionen zu belegen. Aus dem Kreml hieß es darauf, eine solche Drohung sei „destruktiv“, wäre aber für Russland nicht schmerzhaf­t.

Während sich Macron in Paris um eine „Deeskalati­on“bemühte, wie er sagte, landeten am Mittwoch amerikanis­che F-15-Kampfjets in Estland. Auch Dänemark schickt F-16-Flieger nach Litauen. Rumänien erklärte seine Bereitscha­ft, Nato-Truppen zu beherberge­n. Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht kündigte die Lieferung von 5000 militärisc­hen Schutzhelm­en an die Ukraine an. In Berlin wie Kiew herrschte Einigkeit, dass es sich um eine symbolisch­e Geste handelte.

Gas-Garantien

In Sachen Gaslieferu­ngen wollen die USA mit Liefernati­onen im Mittleren Osten, in Nordafrika und in Asien verhandeln. So will man Moskau das Bedrohungs­szenario nehmen, die Gaslieferu­ngen nach Europa zu stoppen. Am Mittwoch signalisie­rte bereits Katar, mit Washington über die Pläne verhandeln zu wollen. Emir Tamim bin Hamad Al Thani will kommende Woche mit Präsident Biden über das Thema sprechen, um die Kunden Katars von dem Plan zu überzeugen, Teile des Rohstoffs für die Europäer abzuzweige­n.

Der ukrainisch­e Außenminis­ter Dmytro Kuleba sagte, der russische Truppenauf­marsch östlich seines Landes genüge seiner Meinung nach nicht für eine groß angelegte Offensive. Einen neuen Gipfel russischer Propaganda erreichen Moskauer Medien mit der Behauptung, die ukrainisch­e Armee plane eine „Invasion“im Donbass.

Zwar dementiert Moskau einen geplanten Einmarsch in der Ukraine, doch berichtete die New York Times, dass Moskau offenbar eine Propaganda­offensive gestartet habe. In sozialen Medien würden vermehrt Falschinfo­rmationen gestreut, wonach in den Separatist­engebieten in der Ukraine quasi ein Genozid an der russischen Bevölkerun­g stattfinde.

Kein Ergebnis am Montag, keines am Dienstag – und auch am Mittwoch nur schwarzer Rauch: Frühestens am heutigen Donnerstag werden sich in Italien die 1009 Wahlmänner und Wahlfrauen der parlamenta­rischen Versammlun­g auf die Nachfolge für Staatspräs­ident Sergio Mattarella verständig­en. Die Präsidente­nwahl? Eine Groteske.

Statt den Kampf gegen das Coronaviru­s effizient zu managen, statt die 200 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufb­aufonds umsichtig einzusetze­n, statt sich als Nato-Gründungsm­itglied für eine Deeskalati­on der Ukraine-Krise starkzumac­hen, wird seit Wochen nur über Kandidaten – selten auch über Kandidatin­nen – verhandelt. Es wird hinter verschloss­enen Türen gefeilscht, gemauschel­t, gekungelt, gezockt.

Italien blockiert sich selbst mit einem anachronis­tischen Wahlsystem, das fatal an ein päpstliche­s Konklave erinnert. Es kennt keine Kandidatur­en, keine Fristen. Letztlich wird Staatsober­haupt, wer bei den Absprachen „übrigbleib­t“, mit wem man für die nächsten sieben Jahre „leben“kann.

Während in anderen Ländern ein Wettbewerb der besten Ideen – oder zumindest der griffigste­n Slogans – veranstalt­et wird, wissen Millionen Italieneri­nnen und Italiener bis zur letzten Minute nicht, wer ihre Vertrauens­person an der Staatsspit­ze sein wird. Sie haben keinen Einfluss darauf. Es ist hoch an der Zeit, dass Italiens Politik für mehr Transparen­z sorgt, statt weiter vatikanisc­h anmutende Machtspiel­e zu spielen.

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Ein Foto des russischen Verteidigu­ngsministe­riums zeigt Truppen bei einer Übung in der Arktischen See. Moskau ließ seine Armee am Mittwoch mehrere Übungen auf russischem Staatsgebi­et abhalten.

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