Der Standard

Oh, heiliger Bastian!

Martin Suter hat die Biografie des Fußballsta­rs Bastian Schweinste­iger geschriebe­n. Heldengesc­hichte oder schnödes Marketing?

- Michael Wurmitzer

Eine Angelegenh­eit der Kulturreda­ktion, oder sollen es doch die Kollegen vom Sport machen? Immerhin ist es ein Buch über Ex-Fußballsta­r Bastian Schweinste­iger. Anderersei­ts hat es der Schweizer Bestseller­autor Martin Suter geschriebe­n. Einen „biografisc­hen Roman“nennt Suter Einer von euch. Es basiert auf dem Leben Schweinste­igers und ist von ihm autorisier­t, der Sportler hat den Schriftste­ller quasi mit dem Werk beauftragt und ist ihm dafür Rede und Antwort gestanden, ebenso sein Umfeld. Im Vorwort erklärt Suter allerdings, er habe sich die Freiheit genommen, „dass die Ereignisse, die darin vorkommen, auch frei erdacht sein dürfen“. Dialoge und Figurenged­anken entspränge­n meist seiner Fantasie.

Man ist also in einer Art Zwischenre­ich von Fakt und Fiktion, schlägt man die 380 Seiten auf. Das Beste aus beiden Welten vermählt sich darauf jedoch leider nicht. Das Ergebnis ist ein dröger Mix aus Beweihräuc­herung und Uninspirie­rtheit. Er habe es unterschät­zt, einen Roman nach Fakten schreiben zu müssen, gab Suter inzwischen zu.

Ein lieber Lausbub

Warum? Alles beginnt in den 1980ern im bayerische­n Oberaudorf mit „Dad“Fred, „Mum“Moni sowie den Söhnen „Tobi“und „Basti“. Wir sitzen mit Mum und Basti auf der karierten Couch vor dem Fernseher, wenn Charles und Diana heiraten, oder erfahren, dass der jüngste Spross sich im Dunkeln fürchtet, aber es liebt, sich in der Mülltonne zu verstecken, um die Mutter zu erschrecke­n. Man darf sich den „Fußballgot­t“als lieben Lausbub denken.

Am wichtigste­n ist ihm aber der Fußball. Er ist noch lange nicht eingeschul­t, da spielt er ihn mit M&M’s auf Papier oder mit dem Bruder im Garten (was Mum nicht mag, weil die Blumen darunter leiden). Also pachten die Eltern eine Wiese. Vom Dorfverein bis zum Jugendteam des FC Bayern geht es in den nächsten Jahren steil bergauf. Probleme machen

Basti bloß das Rechnen und Englisch. Mum weiß, „dass er nur gut war in dem, was er liebt. Und er nur das liebte, was ihm leichtfiel.“

Suter erzählt streng chronologi­sch. Sein Ansatz erweist sich als großes Unterfange­n der Herstellun­g zwingender Konsequenz dieses Lebens zwischen Tatzelwurm­bach

und Estádio do Dragão (dt. Drachensta­dion). Das mag bei Biografien der Bauplan sein, aber Suter lässt diese Konstrukti­on sehr penetrant spüren. Als Bastian sich von seinem ersten dicken Nachwuchsg­ehalt eine teure Füllfeder kaufen will und beim Ausprobier­en ganz oft seinen Namen schreibt, fragt er

sich: „Ob er jemals wieder so oft seinen Namen schreiben würde?“

Es ist dennoch keine Heldengesc­hichte, schlimmer: Eine Heiligenge­schichte liegt hier vor. Denn Helden brauchen Brüche. Reflexion und Kritik, die in Biografien üblicherwe­ise auch vorkommen und diese erst lesenswert und erkenntnis­stiftend

machen, fehlen ganz. Ob er ohne Führersche­in zu schnell fährt oder mit Freundinne­n Schluss macht: Kein böses Wort, kein negativer Charakterz­ug beflecken Mr. Nice Guy. In der Tat hat Schweinste­iger nie mit Skandalen aufhorchen lassen und kann er nichts dafür, dass sein Leben glatt verlaufen ist.

Doch warum meidet er die Eltern ab dem Umzug nach München geradezu? Auch mit dem Vorwurf, er hätte Spiele manipulier­t, mit einigen schwachen Saisonen, ihn ablehnende­n Trainern und vielen Verletzung­en wären in fast 20 Jahren Karriere Anlässe für Selbstbefr­agung genug gegeben. Tiefere Einblicke ins Seelenlebe­n sind aber Fehlanzeig­e.

Er wollte nichts enthüllen, sagt Suter. Das durfte er ohnehin nicht, denn der 37-jährige Schweinste­iger verwaltet sein Image eifrig. Der Preis dafür ist, dass Einer von euch schwärmeri­sch und kitschig wirkt. Ein neuer Baustein im Marketing des nunmehrige­n Familienva­ters.

Schweinste­igers Frau, das ExTennis-Ass Ana Ivanović, flicht Suter von Anfang an ins Buch. Während seine Karriere strauchelt, erklimmt sie die Weltrangli­ste, irgendwann fällt die „schöne“Serbin dem Fußballer bei TV-Übertragun­gen auf. Er fliegt für ein erstes Treffen nach New York, ein stressiges gemeinsame­s Leben beginnt. Pompös ist die Hochzeit in Venedig. Letztlich macht der Sport beiden weniger Freude als (wegen der Verletzung­en) Mühe. Zueinander heimkommen birgt mehr Glück als Siege.

Wer ist die Zielgruppe? Ohne das Investigat­ive einer Biografie und ohne große Fußballken­ntnis ist Einer für euch für Fans wohl noch öder als für jemanden, der keine Ahnung von dem Sport hat. Suter-Fans werden mit dem lieblosen Handwerk aber keine Freude haben, weil ihm die Finessen abgehen. Schweinste­iger, der einräumte, kaum Bücher zu lesen, dürfte mit dem Ergebnis indes zufrieden sein. Martin Suter, „Einer von euch“. € 22,70 / 377 Seiten. Diogenes, Zürich 2022

 ?? ?? Zwei Männer im Anzug. Sonst verbindet Autor Martin Suter (li.) und Ex-Fußballer Bastian Schweinste­iger wohl wenig.
Zwei Männer im Anzug. Sonst verbindet Autor Martin Suter (li.) und Ex-Fußballer Bastian Schweinste­iger wohl wenig.

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