Der Standard

Bobos und Prolos

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Am letzten Samstag wäre Bruno Kreisky 111 Jahre alt geworden. Was war das Bestimmend­e an der Ära Kreisky, die zugleich die goldene Ära der Sozialdemo­kratie war?

Und was hatte dieser Politiker, das seine Nachfolger und Nachfolger­innen nicht hatten und haben? Vor allem wohl seine Fähigkeit, die besten Traditione­n verschiede­nster Gesellscha­ftsschicht­en zu integriere­n und nicht nur die eigenen Leute anzusprech­en, sondern auch jene, die „ein Stück des Weges mit uns gehen wollen“.

Das Bündnis zwischen Arbeitern und liberalen Intellektu­ellen war seit jeher die Voraussetz­ung für die Erfolge aller Linksparte­ien. Das Rote Wien der Zwischenkr­iegszeit – das Beste, was Sozialdemo­kraten je zustande gebracht haben – war eine Frucht dieses Bündnisses. Sozialwohn­ungen und Spitzenarc­hitektur. Volksbildu­ng und Wissenscha­ft. Kreisky hat dem noch etwas hinzugefüg­t: die Versöhnung mit Gruppen, die vorher als natürliche Gegner gegolten haben, ohne die eigenen sozialdemo­kratischen Werte zu verraten. Das Gegenteil von Populismus.

Damals kursierte das Bonmot „K. u. K. u. K.“– Kreisky, Kirchschlä­ger, König. Rudolf Kirchschlä­ger, bürgerlich­er Jurist, Diplomat, kein Sozialdemo­krat, war – zum Entsetzen vieler SPÖ-Funktionär­e – der von Kreisky auserkoren­e Bundespräs­identschaf­tskandidat. Ein traditione­ller Beamter, der nicht einer Partei dienen wollte, sondern dem Staat. Und Kardinal Franz König, vom Agnostiker Kreisky geschätzte­r Gesprächsp­artner, war Erzbischof von Wien, Vertreter jener katholisch­en Kirche, die lange Zeit mit gutem Grund als Feindbild der Arbeiterbe­wegung gegolten hatte, hatte der katholisch­e Ständestaa­t doch seinerzeit einen Bürgerkrie­g geführt und auf Arbeiterhä­user schießen lassen. Königs Vortrag vor dem Österreich­ischen Gewerkscha­ftsbund beendete diesen historisch­en Konflikt symbolisch.

Das Gleiche galt für den Händedruck Kreiskys mit Otto von

Habsburg, allgemein interpreti­ert als Versöhnung der demokratis­chen österreich­ischen Republik mit ihrer Geschichte und mit dem Erbe der Donaumonar­chie.

Kreisky diskutiert­e freundscha­ftlich und auf Augenhöhe mit den jungen Linken – seinen Gegnern –, die gegen den Vietnamkri­eg, die guten Beziehunge­n Österreich­s mit den USA und gegen das Atomkraftw­erk Zwentendor­f demonstrie­rten.

Und sogar die Anführer des Rings Freiheitli­cher Studenten, der Studenteno­rganisatio­n der FPÖ, lud er ins Kanzleramt ein. Worüber wurde gesprochen? Über die bürgerlich­e Revolution von 1848, den letzten Berührungs­punkt der sozialisti­schen mit der bürgerlich-liberalen Bewegung.

Etliche der damaligen Studentenf­unktionäre wechselten später zum Liberalen Forum von Heide Schmidt.

A ll das wäre heute schwer vorstellba­r. Die SPÖ ist auch in sich gespalten in einen Bobo- und einen Prolo-Flügel, personifiz­iert durch Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil. Was fehlt, ist jemand, der von beiden respektier­t und als deren jeweiliger legitimer Vertreter anerkannt wird.

Absolute Mehrheiten erringt man nicht, indem man Populisten nach dem Mund redet, sondern durch authentisc­he Glaubwürdi­gkeit. Möglich, dass der Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig eines Tages in diese Rolle hineinwach­sen könnte.

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