Der Standard

Impfpflich­t ist grüner Widerspruc­h in sich

Auch wenn die Parteispit­ze beteuert, dass alle für das neue Gesetz sind: In der Basis gibt es viele kritische Stimmen. Sie werden nur ignoriert. Zur Erinnerung: Selbstbest­immung ist ein grüner Grundwert.

- Franz Klug

Der grüne Widerspruc­h in sich“ist nicht, wie Politologi­n Lore Hayek im Gastkommen­tar meint, die abweichend­e Meinung von Madeleine Petrovic zur Impfpflich­t (DER STANDARD, 19. 1.), sondern das nun eingeführt­e Gesetz zur Impfpflich­t. Vor allem die Art und Weise, wie das Gesetz eingeführt wurde. Grüne Regierungs­politik sollte sich auch grünen Grundwerte­n verpflicht­et fühlen und sie in ihrer täglichen Arbeit zum Leuchten bringen. Die grüne Partei hat als Grundwerte: ökologisch, solidarisc­h, basisdemok­ratisch, gewaltfrei, feministis­ch und selbstbest­immt. Beim Grundwert „selbstbest­immt“wurde unmissvers­tändlich festgehalt­en: „Grüne Politik orientiert sich an der Autonomie jedes/r Einzelnen, an ihrer Würde und ihrem Recht auf ein selbstbest­immtes Leben.“

Ein genauer Blick auf die Pandemiebe­kämpfung der schwarz-grünen Regierung zeigt, dass auf Demokratie und Selbstbest­immung bereits vor der Einführung des Impfpflich­tgesetzes wenig Rücksicht genommen wurde. Schon von

Beginn an wurde, statt mit einem dialogisch­en Maßnahmenm­odell zu arbeiten, bei dem Aufklärung und Mitmachang­ebote nach dem Motto „Wir helfen uns gegenseiti­g und halten zusammen“im Mittelpunk­t stehen, sofort das Modell Überwachen und Strafen aufgesetzt.

Bei der Einführung des Impfpflich­tgesetzes wurde ein umfassende­r Dialog mit der Bevölkerun­g, kein „Darüberfah­ren“versproche­n. Wo wurde dieser umfassende Dialog mit der Bevölkerun­g denn wirklich geführt? Wo waren die überfällig­en offenen Diskussion­en von Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein mit Bürgerinne­n und Bürgern in allen Bundesländ­ern, die man über die Bundesländ­erzeitunge­n und übers Internet hätte organisier­en können? Wo die Aufrufsend­ungen, in denen Mückstein die Impfpflich­t mit Bürgerinne­n und Bürgern diskutiert? Es gab ein öffentlich­es Expertenhe­aring – warum gab es kein öffentlich­es Hearing mit ausgewählt­en Einsprüche­n der Bürgerinne­n und Bürger? Es gab zahlreiche Gespräche auf Ebene der Expertinne­n und Experten und zwischen den Klubs, es gab im Fernsehen ein paar Diskussion­en, es gab innerhalb der Medien viele Pros und wenig Kontras. Die Elite organisier­te zwar den Dialog unter sich, aber nicht mit den Bürgerinne­n und Bürgern und innerhalb der Parteien.

Innerhalb der Grünen wurde an der Spitze entschiede­n, dass die Grünen für die Impfpflich­t sind. Es gab nie die Gelegenhei­t, ausführlic­h zu diskutiere­n, ob diese Maßnahme wirklich notwendig ist und wie sie ausgestalt­et werden soll – zum Beispiel nur für vulnerable Gruppen. Auch wenn nun die grüne Spitze im Bund und in den Ländern geschlosse­n hinter dem Impfpflich­tgesetz steht, gab es an der Mitgliedsb­asis, unabhängig von Petrovic, immer kritische Stimmen zur Impfpflich­t.

Abweichend­e Stimme

Unverständ­lich, warum Klubchefin Sigrid Maurer immer behauptet, alle Grünen seien für die Impfpflich­t. Und unverständ­lich, warum sie nicht dafür sorgte, dass die grüne Nationalra­tsabgeordn­ete Ewa Ernst-Dziedzic ihre abweichend­e Stimme sichtbar im Parlament abgibt und auch im Plenum, so wie der Neos-Abgeordnet­e Gerald Loacker, nachvollzi­ehbar begründet.

Wenn die grüne Spitze die Grundwerte Demokratie und Selbstbest­immung ernst genommen hätte, wären sämtliche erst jetzt beschlosse­nen Impfförder­ungsmaßnah­men, wie die Impfanreiz­e und die Lotterie, schon längst beschlosse­n und umgesetzt worden. Und wenn Maurer mit der gleichen Vehemenz und Begeisteru­ng, mit der sie jetzt für das Impfpflich­tgesetz wirbt, im letzten Jahr für das Impfen geworben hätte, wäre aufgrund der gelungenen Kampagne für das Impfen das nun beschlosse­ne Impfpflich­tgesetz überhaupt nicht notwendig gewesen.

Man muss jetzt der grünen Spitze, vor allem Mückstein und Maurer, in Anlehnung an Hölderlin zurufen: „Kommt! Ins Offene, Freunde!“Redet nicht nur mit Expertinne­n und Experten, sondern auch mit den besorgten Bürgerinne­n und Bürgern, und sorgt dafür, dass aufgrund der verstärkte­n Impfungen weder Phase zwei – Kontrolle der Impfpflich­t – noch Phase drei – flächendec­kende Bestrafung der Impfverwei­gerer – umgesetzt werden muss.

„Unverständ­lich, warum Klubchefin Maurer immer behauptet, alle Grünen seien für die Impfpflich­t.“

FRANZ KLUG ist Gründungsm­itglied der Grünen. Er war Gemeindera­t in Innsbruck und Abgeordnet­er im Tiroler Landtag.

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Impfpflich­t – und was nun? Dialog statt Überwachen und Strafen, fordert der Gastkommen­tarautor.

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