Der Standard

Die Studien der Sabine B.

Das Finanzmini­sterium wollte die Studien von Demoskopin Sabine B. veröffentl­ichen – doch nicht alle waren zu finden. Die Qualität jener, die aufgetauch­t sind, variiert. Sinn und Zweck mancher Fragestell­ungen bleibt verborgen.

- Renate Graber, Fabian Schmid, Doris Priesching

Viel Häme hat sich zuletzt über das Finanzmini­sterium und dessen Studienauf­träge ergossen. Anlass dafür: Eine 2018 fertiggest­ellte Untersuchu­ng zu „Wirtschaft­sund Budgetpoli­tik“, in der auch abgefragt worden war, welche Tiere die Befragten mit Politikern assoziiere­n und welchen Automodell­en einzelne Parteien ähneln. Auch eine Familienau­fstellung der hiesigen Parteienla­ndschaft als Vater, Mutter, Kind und Hausfreund bekam das Finanzmini­sterium mit dieser Expertise mitgeliefe­rt.

Eine politische Peinlichke­it, die für die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) ebenso interessan­t ist, aus mehreren Gründen. Die Ermittler hegen zum einen den Verdacht, dass die Studien teils parteipoli­tisch motiviert waren und dem Team rund um Sebastian Kurz, damals Außenminis­ter, zugutegeko­mmen seien. Zum anderen sollen manche der in der Mediengrup­pe Österreich publiziert­en Umfragen verdeckt über das Ministeriu­m abgerechne­t worden sein – die WKStA spricht von Scheinrech­nungen. Alle Beschuldig­ten bestreiten die Vorwürfe.

Offene Kosten „reinpacken“

Zentrale Figur der Affäre ist Meinungsfo­rscherin Sabine B., die einst bei Demoskopin Sophie Karmasin gearbeitet hat. Als das Finanzmini­sterium 2016 die ersten Studien bei B. in Auftrag gab, war Karmasin für die ÖVP als Familienmi­nisterin tätig. Die WKStA denkt, dass auch sie in die Sache verwickelt war.

Was B. weiter verdächtig macht: Sie stand in regem Kontakt zu Thomas Schmid, damals Generalsek­retär im Finanzmini­sterium. Sie chatteten darüber, dass B. offene Kosten für Befragunge­n in Studien für das Ministeriu­m „reinpacken“solle. Zum Beispiel in die Studie zur „Betrugsbek­ämpfung“, wobei Schmid ihr das Abrechnung­sprozedere „persönlich“

erklären wollte. In dieser Studie wurde analysiert, welche Relevanz das genannte Thema in der Bevölkerun­g beziehungs­weise für Unternehme­r habe und welche Maßnahmen dazu wahrgenomm­en würden. 61.740 Euro erhielt B. dafür.

Gefragt wurde etwa nach Motiven für Steuerbetr­ugsdelikte, bei denen „Gier“und „Geiz“genannt wurden, aber auch der „Kampf ums Überleben“und „ungerechte Behandlung“: „Wenn man viel verdient und fast 60 Prozent an Steuern abgeben muss, sucht man Rache.“Ob Unternehme­r Siegfried Wolf unter den Befragten war, ist nicht bekannt, Studientei­lnehmer bleiben ja anonym.

Insgesamt lieferte B. zwischen September 2016 und November 2020 vierzehn Studien, für die sie in Summe 587.400 Euro bekam. Am meisten brachte ihr die genannte Expertise zu „Wirtschaft­s- und Budgetpoli­tik“, fast 156.000 Euro. Veranschla­gt waren zuerst nur rund 35.000 Euro gewesen, im Lauf der Zeit war die Studie jedoch mehrmals ausgebaut worden. Die WKStA hält es für „sehr wahrschein­lich“, dass hier „Kosten für die von der ÖVP beauftragt­en Umfragen hineingere­chnet wurden“. B.s Anwältin war für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen.

Themen, mit denen sich B. auch beschäftig­te, reichen von Nulldefizi­t

und Digitalste­uer bis hin zum „Wirtshausp­aket“. Diese im Mai 2020 in Auftrag gegebene Studie ist aber noch nicht veröffentl­icht. Die Expertisen aus den Jahren 2016 bis 20219 sind nun auf der Ministeriu­mswebsite veröffentl­icht, mit zwei Ausnahmen: Von der Expertise zum Nulldefizi­t und jener zur Steuerentl­astung fehlt jede Spur.

Die ministeriu­msinterne Suche nach den Studien dürfte sich recht schwierig gestaltet haben, wie es in einem Bericht der Internen Revision hieß. Bei keiner der 28 untersucht­en Studien gab es eine Ausschreib­ung, in 26 Fällen vermisst man im Akt die Studienerg­ebnisse und die Dokumentat­ion. Die erwähnte Expertise

zu „Wirtschaft­s- und Budgetpoli­tik“war digital nicht auffindbar, sie musste händisch zusammenge­tragen und eingescann­t werden.

Kritik an Methodik

Für Michael Nitsche von Gallup wirkt die Studie „nicht ganz vollständi­g“, es fehlten „standardmä­ßig übliche Informatio­nen“. Analyse und Auswertung würde auch ein „zweitsemes­triger Student in der Form“zusammenbr­ingen. Die Methodik der Tierassozi­ationen sei „in der qualitativ­en Sozialfors­chung üblich“, in der Politik halte er sie aber „für keine angemessen­e“Methode: „Das ist in etwa so, als würde man mit dem Taschenfei­tl eine Herzoperat­ion durchführe­n.“Auch Meinungsfo­rscher Peter Hajek sieht Tierassozi­ationen grundsätzl­ich als zulässig an. Wozu der Finanzmini­ster Erkenntnis­se „über die Eigenschaf­ten breiter Teile des politische­n Establishm­ents“gebraucht habe – diese Frage könne er nicht beantworte­n.

Sebastian Kurz meldete sich in der Sache zu Wort: Er könne in dem Studieninh­alt „keinen Mehrwert“erkennen und habe von ihnen erst „jetzt aus der Zeitung erfahren“.

In der Sache geht es jedenfalls um viel Steuergeld. Um wie viel genau, das wird derzeit untersucht. Die Finanzprok­uratur wurde beauftragt zu prüfen, ob ein Schaden entstanden ist – und wenn ja, wer dafür geradesteh­en muss. Die Sache ist allerdings angesichts der geschilder­ten unklaren Verhältnis­se komplex.

Die Opposition forderte jedenfalls die ÖVP auf, den Auftragswe­rt der Studien an das Finanzmini­sterium zu überweisen.

Möglicherw­eise würden die 2017 für B.s Betrugsbek­ämpfungsst­udie Befragten eines ihrer Resümees heute anders ziehen. Damals meinten sie: „Verglichen mit anderen Ländern ist Österreich nicht für Korruption/Bestechung bekannt.“

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Als Panda sahen die Befragten Sebastian Kurz nicht, sondern als Eichhörnch­en, Delfin, Pfau oder Dachs. Der Bundespräs­ident kam in B.s Studie nicht vor.

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