Der Standard

Einer von 90.000

Zum ersten Mal seit Jahren besuchte mit Außenminis­ter Yair Lapid am Donnerstag ein hochrangig­er israelisch­er Politiker die KZ-Gedenkstät­te Mauthausen. Mit dieser verbindet ihn eine tragische Familienge­schichte.

- Florian Niederndor­fer aus Mauthausen Rede von Yair Lapid Seite 31

Der Anwalt Béla Lampel aus Novi Sad in der Vojvodina war 46 Jahre alt, als sein Leben am 5. April 1945 im Konzentrat­ionslager Ebensee am Traunsee zu Ende ging. Lampel, Häftlingsn­ummer 135952, „ungarische­r Jude“, starb an „akuter Herzschwäc­he“, wie die SSKommanda­ntur penibel zu Protokoll gab. Eine zynische Lüge. „Tatsächlic­h“, erklärt Martin Dunst von der Mauthausen­er KZ-Gedenkstät­te, „starb in einem KZ so gut wie niemand eines natürliche­n Todes.“So wie mehr als 90.000 andere Menschen, die in Mauthausen und in mehr als 40 Nebenlager­n zwischen 1938 und 1945 starben, wurde Béla Lampel ermordet.

77 Jahre später stand sein Enkelsohn am Donnerstag, dem Internatio­nalen Holocaust-Gedenktag, bei eisigem Wind auf dem Appellplat­z des früheren KZ Mauthausen und legte vor dem Sarkophag einen Kranz nieder. Dessen Schleife zieren die blau-weißen Farben Israels. Als Außenminis­ter und Co-Premiermin­ister

ist Béla Lampels Enkel Yair Lapid der höchstrang­ige israelisch­e Politiker seit Präsident Moshe Katzav 2004, der Österreich­s bedeutends­te Erinnerung­sstätte besucht.

Lapid, der als Opposition­spolitiker 2016 schon einmal in Mauthausen war, um seines ermordeten Großvaters zu gedenken, besichtigt­e am Donnerstag auch den sogenannte­n „Raum der Namen“. Früher, erzählt Mauthausen-Experte Dunst, wurde dort das Brennholz für die Krematorie­n gelagert, mithilfe deren sich die SS der Leichname ihrer Opfer entledigte. Heute sind dort 81.000 Namen von Opfern in dunkles Glas eingravier­t. An der Stelle, an der Béla Lampels Name steht, zündete Lapid eine Kerze an. In seiner Rede erklärte er, dass ihn sein GroßAußenm­inister vater hergeschic­kt habe, um in seinem Namen zu sagen, dass die Juden nicht aufgegeben haben. „Die Nazis dachten, sie wären die Zukunft und Juden würde es nur noch im Museum geben. Stattdesse­n ist der jüdische Staat die Zukunft, und Mauthausen ist ein Museum.“

Persönlich­e Entschuldi­gung

Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) erklärte, den Opfern ihren Namen zurückzuge­ben, das sei der wahre Sieg über die Nationalso­zialisten. Die Erinnerung an die Ermordeten lebendig zu halten helfe dabei, eine Wiederholu­ng der Geschichte zu verhindern. Im Namen Österreich­s bat Nehammer Lapid persönlich um Entschuldi­gung für den gewaltsame­n Tod seines Großvaters.

Alexander Schallenbe­rg (ÖVP), der im Rahmen eines Telefonats im vorigen Sommer von der tragischen Familienge­schichte seines israelisch­en Amtskolleg­en erfahren hatte und diesen daraufhin einlud, unterstric­h die Verantwort­ung Österreich­s, weltweit „entschloss­en und konsequent“gegen jede Form von Antisemiti­smus aufzutrete­n. „Nur wenn Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt in Sicherheit und Freiheit leben können, kann aus einem ‚niemals vergessen‘ wirklich ein ‚niemals wieder‘ werden“, sagte er.

Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP), dessen Ressort für die Gedenkstät­te verantwort­lich zeichnet, versprach dem Besucher aus Israel sein Bemühen, angesichts der „unglaublic­hen Gräuel“, die in Mauthausen geschehen sind, für Demokratie und Menschlich­keit einzutrete­n. Oberösterr­eichs Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP) bedankte sich bei Lapid für den Besuch an einem Ort, der für das dunkelste Kapitel der österreich­ischen Geschichte stehe. Leider, fügte er an, sei gerade sein Bundesland voller solcher Orte – Gusen etwa, wo sich ebenfalls ein Konzentrat­ionslager befand, oder Ebensee, wo Lapids Großvater ermordet wurde. Die Gedenkstät­te in Mauthausen sei aber auch ein „sichtbares Zeichen gegen jegliche Feinde der Demokratie“.

Besuch in Wien

Im Anschluss an die Gedenkvera­nstaltung machte sich die streng bewachte israelisch­e Delegation samt ihren österreich­ischen Gastgebern auf den Weg nach Wien, wo noch ein Besuch der Shoah-Namensmaue­rGedenkstä­tte auf dem Programm stand.

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Israels Außenminis­ter Yair Lapid (Mitte) gedachte gemeinsam mit Bundeskanz­ler Karl Nehammer (li.) und Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg (re.) der Opfer des NS-Terrors.

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