Der Standard

Geschmackl­os, aber (noch) nicht strafbar

Wegen NS-Anspielung­en auf den Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen schlägt Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen eigenen Tatbestand für Antisemiti­smus vor. Experten sehen das kritisch.

- Jan Michael Marchart

Die einen tragen Judenstern­e, auf denen „ungeimpft“steht. Ein anderer hält ein Schild mit der Aufschrift „Impfen macht frei“in die Höhe. Immer wieder vergleiche­n sich die Teilnehmer­innen und Teilnehmer auf den wöchentlic­hen Protesten gegen die CoronaMaßn­ahmen mit den Jüdinnen und Juden im Nationalso­zialismus.

Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) will nicht länger hinnehmen, dass die Demonstran­tinnen und Demonstran­ten die Opfer der NS-Zeit derart und noch

dazu straffrei verächtlic­h machen können, während der Hitlergruß sanktionie­rt wird. Sobotka schlug deshalb anlässlich des HolocaustG­edenkens einen eigenen Straftatbe­stand für Antisemiti­smus vor.

Verbotsges­etz ausreichen­d

Die Israelitis­che Kultusgeme­inde Wien (IKG) begrüßte das. Ihr Präsident Oskar Deutsch beobachtet eine „deutliche Zunahme von ShoahVerha­rmlosungen und Verbreitun­g antisemiti­scher Verschwöru­ngsmythen“im Bezug auf die Pandemie. Im ersten Halbjahr des vergangene­n Jahres verdoppelt­en sich auch die bei der IKG gemeldeten antisemiti­schen Vorfälle auf insgesamt 562.

Doch braucht es überhaupt einen eigenen Antisemiti­smusparagr­afen? Der Strafrecht­sprofessor der Universitä­t

Innsbruck, Andreas Venier, sieht das Vorhaben Sobotkas sehr kritisch. Er hält das Verbotsges­etz und den Verhetzung­statbestan­d für ausreichen­d. „Damit ist alles, was nach NS-Wiederbetä­tigung riecht, und auch strafwürdi­ges antisemiti­sches Verhalten umfasst“, sagt Venier. Abgesehen davon sei das Verbotsges­etz schon jetzt gespickt mit allgemein gehaltenen Bestimmung­en, die äußerst auslegungs­bedürftig seien. „Ich glaube, es ist rechtsstaa­tlich bedenklich und kriminalpo­litisch auch nicht wünschensw­ert, noch einen solchen unbestimmt­en Paragrafen in das Gesetz zu packen“, sagt Venier.

Der Experte glaubt auch nicht, dass das Strafrecht für Sobotkas Beispiele der richtige Weg ist. Natürlich sei es „zutiefst geschmackl­os“, wenn Personen auf den CoronaMaßn­ahmen-Demonstrat­ionen mit Judenstern­en herumlaufe­n. Aber der Strafrecht­ler ist der Meinung, dass eine Demokratie diese Geschmackl­osigkeit wohl aushalten müsse. „Das Strafrecht sollte sich darauf beschränke­n, sozial unerträgli­ches Verhalten zu bestrafen, dem mit anderen Mitteln nicht beizukomme­n ist. Gegen die Verharmlos­ung der gelben Sterne etwa braucht es eine geschichtl­iche Bewusstsei­nsbildung, die allen klarmacht, dass die gegenwärti­gen Maßsität

nahmen gegen die Corona-Pandemie unmöglich mit den Ausgrenzun­gsund Verfolgung­smaßnahmen der Nazis vergleichb­ar sind“, sagt Venier. „Aber das ist die Aufgabe der Politik, der Schulen, der Medien, der Zivilgesel­lschaft und aus meiner Sicht erfolgvers­prechender, als einige Demonstrie­rer mit Judenstern­en auf der Brust durch einen neuen Straftatbe­stand auch noch zu Märtyrern einer falsch verstanden­en Meinungsfr­eiheit zu machen.“

Da knüpft Alois Birklbauer an. Auch der Leiter des Strafrecht­sinstituts der Johannes-Kepler-Univer

Linz hält einen eigenen Tatbestand für nicht notwendig. Im Verbotsges­etz sei „einiges gegen Antisemiti­smus drinnen“. Nicht zu unterschät­zen sei auch der Verhetzung­sparagraf. Dieser umfasse nicht nur Hetze gegen Religionen, sondern auch Rassismus und Sexismus. Birklbauer glaubt, dass die gelben Sterne hingegen schon mit einem kleinen Kniff strafrecht­lich relevant werden könnten. Nämlich wenn nicht erst die „gröbliche“Verharmlos­ung des Holocaust nach Verbotsges­etz strafbar werde, sondern schon die Verharmlos­ung an sich.

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Einige Teilnehmer­innen und Teilnehmer bei den Corona-Demos vergleiche­n sich seit Monaten mit den Opfern des Holocaust.

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