Der Standard

Viel Mist für den antiken Muskelprot­z

Im Vorarlberg­er Landesthea­ter Bregenz hat man sich der „Herkules“-Komödie Friedrich Dürrenmatt­s entsonnen: ein Pointenfeu­erwerk für Frauen, die echt antike Kraftprotz­e spielen.

- Julia Nehmiz

In diesem Staat ist niemandem zu helfen. Elis versinkt im Mist. Doch den einfach wegspülen, wie der zur Hilfe gerufene Herkules vorschlägt, will man auch nicht. Schließlic­h lebt man vom Mist, der in alle Welt als Kompost verkauft wird, ein Triumph! Und unter dem Mist könnten sich wertvolle Kulturschä­tze befinden, das historisch­kulturelle Gedächtnis von Elis etwa. Also weg damit? Nein, lieber noch eine Kommission gründen und eine Gegenkommi­ssion und eine Zwischenko­mmission und eine Säuberungs­kommission.

Das Vorarlberg­er Landesthea­ter Bregenz zeigt Friedrich Dürrenmatt­s selten gespielte Demokratie­Persiflage Herkules oder der Stall des Augias. Die Koprodukti­on mit dem Schweizer Theater Marie (nach Geld, Parzival 2020 jetzt die zweite Zusammenar­beit) setzt dabei voll auf

Komik – weniger auf die PolitikSat­ire. Dürrenmatt hatte Herkules und der Stall des Augias als Hörspiel verfasst, 1954 wurde es erstmals ausgestrah­lt. Später arbeitete er seine eigene Vorlage fürs Theater um. Die Uraufführu­ng 1963 in Zürich fiel bei der Kritik durch: Das Theaterstü­ck erinnere an das Niveau von Ulk-Sketches bei Vereinsjub­iläen.

Folie für Entlarvung­en

Dennoch ließe sich diese Komödie als Folie für Politentla­rvungen nutzen. Regisseur Olivier Keller gibt der Bregenzer Inszenieru­ng einen anderen Dreh: Er lässt Frauen die Männerroll­en spielen und umgekehrt. Elis wird zum Frauenstaa­t, die Frauen haben das Sagen: Es bleibt trotzdem ein Mist-Staat.

Der Regisseur steht selber auf der Bühne, er bedient die Videomasch­ine, lässt die Sonne über Elis aufgeauf

hen und den Mond und lässt die Mistberge anwachsen. Der Mist, das sind in Bregenz die kalt lächelnden Porträts der Politikeri­nnen, die wie Sonnen am Horizont auf- und untergehen, immer mehr Porträts erscheinen, überlagern sich, überwucher­n den Horizont. Kurz blitzt Dürrenmatt selbst dazwischen auf, schaut entsetzt auf dieses Elis.

Die Frauenbese­tzung der Titelfigur überzeugt: Milva Stark dekonstrui­ert den Nationalhe­lden Herkules mit kraftvolle­r Naivität. Ihrem Herkules geht es wirklich um die Beseitigun­g des Problems, Auftrag ist Auftrag, und Herkules schließlic­h ein Held. Milva Stark gelingt es, ihn auch mit Verzweiflu­ng auszustatt­en. „Gage, Gage“, fleht sie keuchend. Doch Gage gibt es nicht. Herkules fällt platt zu Boden.

Schreiber Polybios muss ihn wieder aufrichten, er schickt Herkules

zur nächsten Tat, zur sechsten Arbeit, Hühnerkot entsorgen in Stymphalie­n. Florentine Krafft spielt den Schreiber als aalglatten Berater, gewitzten Chefeinflü­sterer. Wird er bei Dürrenmatt von Herkules permanent verprügelt, treibt Polybios in der Bregenzer Inszenieru­ng Herkules vor sich her, von Auftrag zu Auftrag. Doch die politische Ebene, die unter dieser Figurenzus­pitzung liegen könnte, nutzt Keller nicht. Keine Anspielung­en auf aktuelle Strippenzi­eher, keine Entlarvung von Korruption, Lobbyismus, Demokratie­zersetzung.

So mag denn trotz aller funkelnden Regieideen der Funke nicht recht überspring­en. Wenn man die Komödie nur um der Komödie willen spielt, braucht man nicht Dürrenmatt­s Herkules als Vehikel. Aufführung­en: 27./29. 1.; 1./4./6. 2. ➚www.landesthea­ter.org

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Für Stallausmi­sten und andere Heldentate­n gibt es kein Salär: In Bregenz schlägt man aus Dürrenmatt­s Komödie Funken und bleibt dennoch blass.

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