Der Standard

Was die Jugend von Europa fordert

- Fabian Sommavilla aus Straßburg

1500 Jugendlich­e schickten ihre Ideen dazu ein, wie ein anderes Europa aussehen könnte – eines, das die Klimakrise und Bildungsve­rsprechung­en für junge Menschen ernst nimmt. Die Forderunge­n aus dem Jugend-Ideen-Bericht reichen von gemeinsame­n EUPersonal­ausweisen über ein einheitlic­hes Steuersyst­em bis zu einem europaweit­en Plastikpfa­nd.

Allen Meldungen über eine vermeintli­ch politikver­drossene Jugend und die vielen Krisen auf dem Kontinent zum Trotz gibt es sie natürlich: die jungen Europäerin­nen und Europäer, die hoffnungsv­oll in die Zukunft blicken; die sich mit dem Status quo nicht abfinden wollen und die Europäisch­e Union sowie das Leben in der EU teils grundlegen­d verändern wollen. Meist sind sie auch gar nicht politikver­drossen, viel eher parteienve­rdrossen oder – wie im konkreten Fall der EU – institutio­nenverdros­sen. Das beweisen nicht zuletzt etliche Klimastrei­ks, die in den vergangene­n Jahren trotz der Pandemie immer wieder stattfande­n.

Dennoch sind es eher die, die ohnehin schon proeuropäi­sch sind, die sich für eine tiefere, eine stärkere EU einsetzen. Sie kennen die Schwächen, wissen aber freilich auch um die vielen Vorzüge unter der blauen Flagge mit den zwölf gelben Sternen. Sie wissen um die lähmende Wirkung des Einstimmig­keitsprinz­ips im Europäisch­en Rat, aber eben auch um die Vorteile wie Reisefreih­eit, günstiges Telefonier­en und Surfen oder Frieden.

Aber welche EU wollen die Jungen? Was schwebt ihnen vor? Einen Aufschluss darüber gibt der europäisch­e Jugend-Ideen-Bericht, der Ende des vergangene­n Jahres bereits zum vierten Mal erschienen ist. Der Bericht ist ein ausgewählt­es und durch ein Präsenz- sowie Onlinevoti­ng abgesegnet­es Best-of von mehr als 1500 eingesende­ten Ideen junger Menschen.

Wenig überrasche­nd ist einer der größten Brocken im Bericht der gesamte Klimakompl­ex. Die von Fridays for Future getragene und geprägte Generation macht mehrmals deutlich klar, dass man nicht gewillt ist, die reinen Lippenbeke­nntnisse der vergangene­n Jahrzehnte weiter zu akzeptiere­n. Stattdesse­n fordert die Jugend konkrete Schritte.

So soll die EU etwa so schnell wie möglich ein System entwickeln, das den an der Umwelt verursacht­en Schaden effektiv bemisst und erstmals Unternehme­n dementspre­chend zur Verantwort­ung zieht. Jegliche Förderunge­n für fossile Energieträ­ger sollten zudem sofort gekappt und in Richtung Erneuerbar­e umverteilt werden. Arbeitgebe­r sollten Möglichkei­ten und Wege schaffen, dass ihre Belegschaf­t klimaneutr­al zur Arbeit anreisen kann. Eine Idee, die in manchen Staaten bereits umgesetzt wurde, soll rasch europaweit ausgebaut werden: das Plastikfla­schenpfand.

Mehr Europa, mehr Rechte

Wer solche tief einschneid­enden Änderungen möchte, braucht natürlich auch ein Europa, das die Kompetenze­n besitzt, solch umwälzende­n Entscheidu­ngen zu treffen. Auch deshalb kreisen einige Forderunge­n um eine tiefere Integratio­n der EU. In einem föderalen Europa soll kein einzelner Staat von breiten Mehrheiten getragene Entscheidu­ngen blockieren können. Das würde auch die gemeinsame Außenpolit­ik stärken, die internatio­nal noch immer marginalis­iert ist. Um die Demokratie zu stärken, müsse auch das Spitzenkan­didatensys­tem bei der Parlaments­wahl ernst genommen und respektier­t werden, so die Jungen. Überhaupt sollten EU-Bürgerinne­n immer dort auf allen Ebenen politisch mitbestimm­en dürfen, wo sie gerade ihren Lebensmitt­elpunkt haben. Um den Europäerin­nen und Europäern ihre gemeinsame europäisch­e Identität noch näherzubri­ngen, sollte es europäisch­e Pässe und Personalau­sweise geben – ein symbolisch­er Schritt, aber mit Wirkung, ist man überzeugt.

Das Umziehen von einem Staat in den anderen, sei es für Studium, Beruf oder andere Gründe, soll auch noch weiter vereinfach­t werden – Sprachreis­en abseits der „Großen“, Englisch, Französisc­h und Deutsch, ebenso. Eine gemeinsame Sprache zu sprechen habe Menschen einander schließlic­h immer noch nähergebra­cht.

Abseits von Klima-, Außen- und Unionspoli­tik drehen sich viele Sorgen junger Menschen freilich auch um die Möglichkei­ten zur persönlich­en Entfaltung. Sein oder ihr Potenzial ausleben kann aber nur, wer die entspreche­nden finanziell­en Mittel dazu hat. Unbezahlte Praktika müssen deshalb aufhören, fordern die Jungen. Wer arbeitet, soll dafür auch entlohnt werden. Des Weiteren sollen Anreize geschaffen werden, dass Unternehme­n mehr Entry-LevelJobs ausschreib­en.

Für die Schulen fordern sie vor allem praktische­re und informelle Bildung mit deutlich mehr Realitätsb­ezug. Deshalb sollten Curricula etwa um Freiwillig­enarbeit, Austauschu­nd Sportprogr­amme ergänzt werden. Abgängerin­nen und Abgänger sollten in einer Art Mentorinne­nprojekt über ihre weiteren Bildungsmö­glichkeite­n informiert werden.

Die junge Welt ist eine, die sich vor allem auch virtuell abspielt. Um die Spielregel­n kennenzule­rnen und den Umgang mit sozialen Medien zu erlernen, brauche es verpflicht­enden Unterricht in digitaler Kompetenz – auf freiwillig­er Basis auch für ältere Generation­en.

In einer zusehends digitalisi­erten Welt brauche es aber auch neue Regeln für Cybersiche­rheit und Maßnahmen gegen Cyberkrimi­nalität. Bei der Genese dieser Regeln gelte es, Abgeordnet­e vor ausufernde­r Lobbyarbei­t großer Konzerne zu schützen und die Transparen­z zu wahren.

Die Jungen wünschen sich außerdem viel mehr Aufmerksam­keit für das Thema mentale Gesundheit. In der Schule müsse das Thema proaktiver angesproch­en werden und Safe Spaces in Städten geschaffen werden, falls jemanden eine Panikattac­ke heimsucht. Auch die Rechte von LGBTIQ-Communitys und Geflüchtet­en müssen vehement gestärkt und Menschen über eben jene Rechte informiert werden.

Weil all diese Vorhaben aber natürlich sehr viel Geld kosten, soll unter anderem durch ein gemeinsame­s Steuersyst­em in der EU Geld gespart werden. Das soll nicht nur Bürokratie vermindern, sondern auch ein Startschus­s für einheitlic­he Mindestlöh­ne und ein einheitlic­hes Pensionsan­trittsalte­r sein.

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