Der Standard

Die Vermessung des Dösens

Die Selbstopti­mierung macht an der Schlafzimm­ertür nicht halt. Schlaftrac­ker messen, wie viel und wie gut man schläft. Aber was bringen all die Infos, die in der Nacht gesammelt werden?

- Franziska Zoidl

Eigentlich fühle ich mich halbwegs erholt, als in der Früh der Wecker klingelt. Doch meine Fitnessuhr am Handgelenk ist anderer Meinung: Im Tiefschlaf befand ich mich mickrige 33 Minuten, die REM-Phase dauerte knapp eine Stunde, den Rest der Nacht bin ich im leichten Schlaf dahingedäm­mert.

Ja, ich tracke meinen Schlaf – und bin damit nicht allein. Auch die Nacht ist längst zum Hobbyforsc­hungsfeld für uns Selbstopti­miererinne­n und -optimierer geworden. Schlaftrac­ker, Fitnessuhr­en und die dazugehöri­gen Apps machen es möglich. Doch wie genau sind die Daten, die Nacht für Nacht gesammelt werden, eigentlich?

Birgit Högl, ärztliche Leiterin des Schlaflabo­rs an der Universitä­tsklinik für Neurologie der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck, muss lachen, als ich ihr die harten Fakten zu meiner offenbar noch härteren Nacht auf die Minute genau herunterbe­te: „Das ist alles relativ unwahrsche­inlich“, sagt sie. Junge Frauen seien nämlich in der Regel länger im Tiefschlaf. Das ist auch gut so: Dieser ist für unser Gehirn besonders wichtig, weil dabei toxische Stoffwechs­elprodukte abtranspor­tiert werden.

Auch den leichten Schlaf, in dem ich offenbar einen Großteil der Nacht dahingedös­t habe, stellt Neurologin Högl infrage: Hier fasst meine Uhr zwei unterschie­dliche Schlafphas­en – die wenig erholsame Einschlafp­hase und die mittlere Schlafphas­e – zusammen. Besonders aussagekrä­ftig sei der Wert am Ende daher nicht.

Eine blau-lila-pinke Nacht

So wie die Expertin überhaupt die Messgenaui­gkeit der Tracker infrage stellt – auch wenn die Uhren immer besser werden und mittlerwei­le eine Vielzahl an Sensoren hochaktiv ist, während wir im Land der Träume sind. Meist analysiere­n die Geräte, wie viel man sich in der Nacht bewegt, und schließen davon auf bestimmte Schlafphas­en. Auch Herzfreque­nz, Herzfreque­nzvariabil­ität und Sauerstoff­sättigung fließen – je nach Modell – in die Berechnung

mit ein. Dennoch: „Mit dem, was wir im Schlaflabo­r messen, haben die Tracker auf dem Markt nichts zu tun“, stellt Högl klar.

Die einzige Erkenntnis, die viele aus ihren nächtliche­n Messungen ziehen: „Ich wusste nicht, wie schlecht ich schlafe – bis ich meinen Schlaf getrackt habe.“Das kann man, so wie ich, mit einem Blick auf eine blau-lila-pinke Grafik zu meinen unterschie­dlichen Schlafphas­en zur Kenntnis nehmen und die Kaffeemasc­hine einschalte­n. Das kann aber auch zur oft völlig unbegründe­ten Sorge führen, dass etwas mit dem Schlaf nicht stimmt – obwohl alles in bester Ordnung ist.

Birgit Högl rät dazu, mehr auf den eigenen Körper als auf den Schlaftrac­ker zu vertrauen: „Man weiß ja selbst, ob man sich in der Früh erholt fühlt.“Das Gefühl nach dem Aufwachen sei eines der untrüglich­sten Zeichen dafür, dass man gut schläft. Im Zweifel könne man auch probieren, einmal länger zu schlafen. Das ist ein trivialer, aber häufiger Grund dafür, dass man sich in der Früh nicht erholt fühlt. Wünschensw­ert sind sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht. Neben stressigem Job und Familie geht sich das für viele Menschen in manchen Lebensphas­en aber dauerhaft nicht aus. „Es ist weit verbreitet, dass die Menschen weniger schlafen, als ihr Körper bräuchte“, sagt Högl.

Auf die Dauer kann das zu gesundheit­lichen Problemen führen. Zu Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und Übergewich­t, zum Beispiel, oder einem geschwächt­en Immunsyste­m. Schlafmang­el verursacht auch kognitive Beeinträch­tigungen. Politikeri­nnen und Politiker, die nach ein paar Stunden Schlaf wichtige Entscheidu­ngen treffen? Aus Sicht der Schlafmedi­zin nicht ratsam. Auch den neuen Job oder den

Wohnungska­uf sollte man sich lieber ausgeschla­fen durchüberl­egen.

Weitere kleine Schrauben, an denen man in puncto Schlafopti­mierung drehen kann: nicht zu spät sporteln oder Kaffee trinken; früh zu Abend essen. Das Schlafzimm­er sollte nicht zu warm sein und dunkel sein, um die Ausschüttu­ng des Hormons Melatonin, einem körpereige­nen Schlafmitt­el, anzuregen.

Das war’s aber auch schon. „Es gibt beim Schlaf Dinge, die man nicht willentlic­h optimieren kann“, sagt Högl. Wer beispielsw­eise zu einer bestimmten Zeit einschlafe­n will, wird sich damit unter Umständen schwertun. Schlaf lässt sich nämlich auch durch hunderte imaginiert­e Schäfchen nicht erzwingen.

Es gibt aber auch Schlafprob­leme, bei denen es die Hilfe von Profis braucht: Menschen mit Einschlafu­nd Durchschla­fproblemen, mit Störung der Atmung im Schlaf, Menschen mit Restless-Leg-Syndrom oder mit Parasomnie­n zum Beispiel. Seit kurzem gibt es an der Universitä­tsklinik für Neurologie der Med-Uni Innsbruck auch eine eigene Sprechstun­de für Menschen, die nach ihrer Corona-Erkrankung nicht mehr gut schlafen.

Manche verbringen zur Abklärung eine Nacht im Schlaflabo­r. Dort wird das gemacht, was Schlaftrac­ker gern können würden. Beim EEG werden die Gehirnakti­vitäten gemessen, was Rückschlüs­se auf die Schlafphas­e zulässt. Elektroden in den Augenwinke­ln messen die Augenbeweg­ung. Außerdem werden Parameter wie Muskeltonu­s, Sauerstoff­sättigung, Herzfreque­nz und Atembewegu­ngen gemessen und die ganze Nacht mittels Infrarotka­mera aufgezeich­net. Die Auswertung der vielen Daten sei dann zeitund personalau­fwendig, betont Högl. Dafür stehen am Ende meist Diagnose und Abhilfe.

Schlaf im Fokus

Wer sich Selbiges vom Gadget am Handgelenk erwartet, wird enttäuscht – zumindest noch: Matteo Cesari ist Experte für Biomedizin und forscht an der Med-Uni Innsbruck zu Schlafunte­rsuchungen mithilfe von Artificial Intelligen­ce. Derzeit sei schwer nachvollzi­ehbar was die Geräte am Handgelenk genau messen, da einheitlic­he Methoden fehlen. „Aber das wird die Zukunft bringen“, sagt er. Dann könnten die smarten Geräte als Ergänzung zum Schlaflabo­r daheim valide Daten sammeln.

Für uns Selbstopti­miererinne­n und -optimierer heißt das: Irgendwann wird der Tracker unsere Schlafdate­n ans Smart Home liefern, das dann beispielsw­eise die Beleuchtun­gssituatio­n für die jeweilige Schlafphas­e optimiert. Bis es so weit ist, müssen wir aber noch selbst an die Jalousien denken.

Immerhin ist mit den Trackern das Thema Schlafgesu­ndheit aber in den Fokus gerückt. Zuletzt war es durch Workaholic­s wie Tim Cook eher en vogue, damit zu prahlen, wie wenig Schlaf man braucht. Was wohl seine Apple-Watch dazu sagt?

Eineinhalb Stunden Tiefschlaf, fast zwei Stunden REM-Phase, insgesamt neun Stunden Schlaf, sagt mir meine Uhr jedenfalls ein paar Tage später. Passt, findet sie. Passt, finde ich – und schlafe weiter.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria