Der Standard

Tod im Schatten des Triumphs

In den Wochen nach der Erstbestei­gung forderte der K2 seinen Tribut. Im dritten Höhenlager herrschte Chaos, fünf Männer blieben auf dem Berg.

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Das erste Opfer hieß Sergi Mingote. Der spanische Bergführer stürzte 600 Meter weit ab, während Nepals Helden noch auf dem Weg ins Tal waren. „Vielleicht hat ihn ein Stein getroffen, oder er ist ausgerutsc­ht“, sagte Juan Pablo Mohr. Der Chilene war wenige Schritte vor ihm gegangen. Einige Wochen später war er selbst tot.

Der K2 kennt viele Wege, seine Herausford­erer zu töten. Wer auf seinen Steilflank­en ungesicher­t fällt, kann sich kaum halten. Wer eine Nacht außerhalb des Zelts verbringen muss, erfriert. Wer von einem der zahllosen Felsbrocke­n getroffen wird, droht bewusstlos in den Tod zu fallen. Auf über 8000 Metern klettert die Gefahr immer mit. Doch nirgends ist die Wahrschein­lichkeit, nicht zurückzuke­hren, so groß wie auf dem zweithöchs­ten Gipfel der Welt. Im Schatten der Erstbestei­gung starben fünf Männer.

Menschen

Wenn man über den Tod im Hochgebirg­e schreibt, kann das gefühllos klingen. Das Ende ist hier eben eine Wahrschein­lichkeit, die allen bewusst ist, eine mathematis­che Kategorie. Manche Bergsteige­r können über Risiken sprechen, als wären es Spalten in Excel-Tabellen. Steinschla­g 0,005; Höhenkrank­heit 0,01; Lawine 0,02. Aber wenn man über diesen am K2 so raffgierig­en Tod schreibt, muss man auch bedenken: Sergi Mingote kommt nie wieder nach Hause. Juan Pablo Mohr kann nie wieder seine Freunde anrufen.

Nach der nepalesisc­hen Heldentat sahen andere ihre Chance gekommen. Nach zwei Wochen Wind tat sich ein kurzes Wetterfens­ter auf. 4. Februar 2021: Colin O’Brady erreicht C3 als Erster und baut mit seinen Sherpas das mitgebrach­te Dreimannze­lt auf. „Wir wollten Schnee schmelzen, etwas essen, Socken wechseln“, sagt der USAmerikan­er dem STANDARD. Am späten Nachmittag erreichen immer mehr Bergsteige­r und Sherpas das dritte Höhenlager. Ohne Zelt.

Vielleicht waren die zuvor vom Organisato­r SST verstauten Zelte vom Schnee verschütte­t worden, vielleicht hatte sie der Wind vom Berg geweht, vielleicht war es ein Planungsfe­hler. Bei 39 Grad minus suchen die Ankommende­n verzweifel­t Herberge. „Für mich ist es verrückt, im Winter ohne eigenes Zelt auf den K2 zu gehen. Aber natürlich sagt man den Leuten nicht, dass sie draußen bleiben sollen“, sagt O’Brady. Mehr als 20 Menschen quetschen sich in vier Zwei- und Dreimannze­lte, auch Schlafsäck­e fehlen.

Eine Sardine kann sich nicht auf einen Gipfelstur­m vorbereite­n. „Ich wollte trockene Socken anziehen, aber andere Leute lagen auf meinen Beinen“, sagt O’Brady. Er beschließt, am Morgen abzusteige­n. „Es war schwierig. Am Ende habe ich meiner Intuition gehorcht.“Ab Mitternach­t versuchen einige Einzelkämp­fer ihr Glück. Manche kommen mit Erfrierung­en zurück, viele haben Probleme mit kaputtem Material.

Drei bleiben auf dem Berg. Keine einsamen Glücksritt­er, sondern ein winterreif­es Team mit realistisc­hen Gipfelambi­tionen: der Isländer John Snorri, der von ihm angeheuert­e Ali Sadpara, Winter-Erstbestei­ger des Nanga Parbat und der wohl beliebtest­e Mensch über 8000 Metern, sowie Juan Pablo Mohr. Dass Sadparas Sohn Sajid als Einziger der Seilschaft überlebt, verdankt er seinem Sauerstoff­gerät. Als das spinnt, schickt ihn sein Vater nach unten.

Was genau an diesem 5. Februar dem Trio zustößt, ist nicht restlos geklärt. Vielleicht erreichen die Männer den Gipfel, vielleicht müssen sie kurz davor umdrehen, jedenfalls sterben sie beim Abstieg. Das beweisen ihre Leichen, die im Sommer gefunden werden: Snorri und Sadpara über dem Flaschenha­ls, Mohr darunter. „Sie sind wahrschein­lich erfroren oder an Erschöpfun­g gestorben“, schreibt der Ukrainer Walentin Sipawin, der Mohrs Körper im Schnee entdeckt hat.

Das letzte Opfer

Als das Trio erst einige Stunden verscholle­n ist, als in die Sorge noch Hoffnung gemischt ist, stirbt Atanas Skatov. Elia Saikaly seilt gerade auf 7000 Metern ab: „Aus dem Nichts flog ein Körper an mir vorbei. Es gab keine Warnung, keinen Schrei“, schreibt er später. „Ich sah, wie sein Körper an den eisigen Flanken des K2 abprallte.“Einen Monat zuvor hat Skatov noch Yoga-Stunden im Basislager gegeben, seine Freundin Sheny wartet dort auf ihn. Wahrschein­lich hat der Bulgare nach der schlaflose­n Nacht im gedrängten Zelt einen Fehler beim Seilwechse­l gemacht.

Zehn Helden, fünf Tote. Als wollte der K2 all jene warnen, die mit ihren Haken und Eisen seine Winterruhe stören wollen: Wer auf seinem Gipfel Glückselig­keit erleben will, muss alles riskieren. Ali Sadpara wird nie wieder mit seinem Sohn ein Gipfelfoto machen. Atanas Skatov wird nie wieder ein Basislager bei Laune halten. John Snorri wird nie wieder seine sechs Kinder umarmen. (schau)

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